Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_072.001
sich auf die Taube stürzt. Erhaben die Pyramide, der p1c_072.002
Sonnenobelisk, der aus der fluthenden Nilüberschwemmung p1c_072.003
emporsteigt. Der Mensch nimmt, in so fern der Raum p1c_072.004
und seine Dimensionen ästhetischen Eindruck auf ihn machen, p1c_072.005
Rücksicht auf die Art, wie er in demselben gestellt ist. Er p1c_072.006
denkt sich das Herausgehen aus sich selbst mit unendlicher p1c_072.007
Kraft, als eine unendliche Linie, und sich selbst als den p1c_072.008
Punkt, der die unendliche Linie gegen sich zu begränzt. Er p1c_072.009
denkt sich das Ziehen dieser Linie, bey immer neuer Kraftäußerung p1c_072.010
beschleunigt (das Heftige), den Standpunkt, p1c_072.011
von dem er ausgeht, auf den er immer zurückkommt, fest, p1c_072.012
(das Starke). Dieser Standpunkt ist ihm ein relativer p1c_072.013
Ort, in Absicht auf alle Dimensionen des Raums, die p1c_072.014
ihn umgeben. Er verliert sich in der Unendlichkeit, er mag p1c_072.015
sich dieselbe als eine Sphäre, wie den sichtbaren Himmel, p1c_072.016
oder ohne alle Begränzung denken, welches mathematisch p1c_072.017
richtiger ist (das Große). Jn so fern er aber sein Haupt, p1c_072.018
als den edelsten Theil seines Körpers ansieht, von wo aus p1c_072.019
alle dessen Bewegungen regiert werden, in so fern denkt er p1c_072.020
sich nach oben zu, alles Göttliche, den Himmel oder p1c_072.021
den absoluten Ort, das Centrum der Weltregierung oberhalb p1c_072.022
(das Erhabene). Der Nutzen dieser Eintheilung p1c_072.023
bey Beurtheilung poetischer Gedanken ist leicht abzusehen, p1c_072.024
da die Anwendung der sinnlichen Analogieen auf die Gedankenwelt p1c_072.025
bald gemacht ist. Starke Stellen: Man fragt p1c_072.026
die Medea: wen hast du gegen diese unzähligen mächtigen p1c_072.027
Feinde? Sie antwortet: mich. Man fragt den Mahomet: p1c_072.028
welch Recht hast du, die Völker zu betrügen? Er

p1c_072.001
sich auf die Taube stürzt. Erhaben die Pyramide, der p1c_072.002
Sonnenobelisk, der aus der fluthenden Nilüberschwemmung p1c_072.003
emporsteigt. Der Mensch nimmt, in so fern der Raum p1c_072.004
und seine Dimensionen ästhetischen Eindruck auf ihn machen, p1c_072.005
Rücksicht auf die Art, wie er in demselben gestellt ist. Er p1c_072.006
denkt sich das Herausgehen aus sich selbst mit unendlicher p1c_072.007
Kraft, als eine unendliche Linie, und sich selbst als den p1c_072.008
Punkt, der die unendliche Linie gegen sich zu begränzt. Er p1c_072.009
denkt sich das Ziehen dieser Linie, bey immer neuer Kraftäußerung p1c_072.010
beschleunigt (das Heftige), den Standpunkt, p1c_072.011
von dem er ausgeht, auf den er immer zurückkommt, fest, p1c_072.012
(das Starke). Dieser Standpunkt ist ihm ein relativer p1c_072.013
Ort, in Absicht auf alle Dimensionen des Raums, die p1c_072.014
ihn umgeben. Er verliert sich in der Unendlichkeit, er mag p1c_072.015
sich dieselbe als eine Sphäre, wie den sichtbaren Himmel, p1c_072.016
oder ohne alle Begränzung denken, welches mathematisch p1c_072.017
richtiger ist (das Große). Jn so fern er aber sein Haupt, p1c_072.018
als den edelsten Theil seines Körpers ansieht, von wo aus p1c_072.019
alle dessen Bewegungen regiert werden, in so fern denkt er p1c_072.020
sich nach oben zu, alles Göttliche, den Himmel oder p1c_072.021
den absoluten Ort, das Centrum der Weltregierung oberhalb p1c_072.022
(das Erhabene). Der Nutzen dieser Eintheilung p1c_072.023
bey Beurtheilung poetischer Gedanken ist leicht abzusehen, p1c_072.024
da die Anwendung der sinnlichen Analogieen auf die Gedankenwelt p1c_072.025
bald gemacht ist. Starke Stellen: Man fragt p1c_072.026
die Medea: wen hast du gegen diese unzähligen mächtigen p1c_072.027
Feinde? Sie antwortet: mich. Man fragt den Mahomet: p1c_072.028
welch Recht hast du, die Völker zu betrügen? Er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="72"/><lb n="p1c_072.001"/>
sich auf die Taube stürzt. <hi rendition="#g">Erhaben</hi> die Pyramide, der <lb n="p1c_072.002"/>
Sonnenobelisk, der aus der fluthenden Nilüberschwemmung <lb n="p1c_072.003"/>
emporsteigt. Der Mensch nimmt, in so fern der Raum <lb n="p1c_072.004"/>
und seine Dimensionen ästhetischen Eindruck auf ihn machen, <lb n="p1c_072.005"/>
Rücksicht auf die Art, wie er in demselben gestellt ist. Er <lb n="p1c_072.006"/>
denkt sich das Herausgehen aus sich selbst mit unendlicher <lb n="p1c_072.007"/>
Kraft, als eine unendliche Linie, und sich selbst als den <lb n="p1c_072.008"/>
Punkt, der die unendliche Linie gegen sich zu begränzt. Er <lb n="p1c_072.009"/>
denkt sich das Ziehen dieser Linie, bey immer neuer Kraftäußerung <lb n="p1c_072.010"/>
beschleunigt (das <hi rendition="#g">Heftige</hi>), den Standpunkt, <lb n="p1c_072.011"/>
von dem er ausgeht, auf den er immer zurückkommt, fest, <lb n="p1c_072.012"/>
(das <hi rendition="#g">Starke</hi>). Dieser Standpunkt ist ihm ein <hi rendition="#g">relativer</hi> <lb n="p1c_072.013"/>
Ort, in Absicht auf alle Dimensionen des Raums, die <lb n="p1c_072.014"/>
ihn umgeben. Er verliert sich in der Unendlichkeit, er mag <lb n="p1c_072.015"/>
sich dieselbe als eine Sphäre, wie den sichtbaren Himmel, <lb n="p1c_072.016"/>
oder ohne alle Begränzung denken, welches mathematisch <lb n="p1c_072.017"/>
richtiger ist (das <hi rendition="#g">Große</hi>). Jn so fern er aber sein Haupt, <lb n="p1c_072.018"/>
als den edelsten Theil seines Körpers ansieht, von wo aus <lb n="p1c_072.019"/>
alle dessen Bewegungen regiert werden, in so fern denkt er <lb n="p1c_072.020"/>
sich nach <hi rendition="#g">oben</hi> zu, alles <hi rendition="#g">Göttliche,</hi> den Himmel oder <lb n="p1c_072.021"/>
den absoluten Ort, das Centrum der Weltregierung oberhalb <lb n="p1c_072.022"/>
(das <hi rendition="#g">Erhabene</hi>). Der Nutzen dieser Eintheilung <lb n="p1c_072.023"/>
bey Beurtheilung poetischer Gedanken ist leicht abzusehen, <lb n="p1c_072.024"/>
da die Anwendung der sinnlichen Analogieen auf die Gedankenwelt <lb n="p1c_072.025"/>
bald gemacht ist. <hi rendition="#g">Starke</hi> Stellen: Man fragt <lb n="p1c_072.026"/>
die <hi rendition="#g">Medea:</hi> wen hast du gegen diese unzähligen mächtigen <lb n="p1c_072.027"/>
Feinde? Sie antwortet: <hi rendition="#g">mich.</hi> Man fragt den Mahomet: <lb n="p1c_072.028"/>
welch Recht hast du, die Völker zu betrügen? Er
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0130] p1c_072.001 sich auf die Taube stürzt. Erhaben die Pyramide, der p1c_072.002 Sonnenobelisk, der aus der fluthenden Nilüberschwemmung p1c_072.003 emporsteigt. Der Mensch nimmt, in so fern der Raum p1c_072.004 und seine Dimensionen ästhetischen Eindruck auf ihn machen, p1c_072.005 Rücksicht auf die Art, wie er in demselben gestellt ist. Er p1c_072.006 denkt sich das Herausgehen aus sich selbst mit unendlicher p1c_072.007 Kraft, als eine unendliche Linie, und sich selbst als den p1c_072.008 Punkt, der die unendliche Linie gegen sich zu begränzt. Er p1c_072.009 denkt sich das Ziehen dieser Linie, bey immer neuer Kraftäußerung p1c_072.010 beschleunigt (das Heftige), den Standpunkt, p1c_072.011 von dem er ausgeht, auf den er immer zurückkommt, fest, p1c_072.012 (das Starke). Dieser Standpunkt ist ihm ein relativer p1c_072.013 Ort, in Absicht auf alle Dimensionen des Raums, die p1c_072.014 ihn umgeben. Er verliert sich in der Unendlichkeit, er mag p1c_072.015 sich dieselbe als eine Sphäre, wie den sichtbaren Himmel, p1c_072.016 oder ohne alle Begränzung denken, welches mathematisch p1c_072.017 richtiger ist (das Große). Jn so fern er aber sein Haupt, p1c_072.018 als den edelsten Theil seines Körpers ansieht, von wo aus p1c_072.019 alle dessen Bewegungen regiert werden, in so fern denkt er p1c_072.020 sich nach oben zu, alles Göttliche, den Himmel oder p1c_072.021 den absoluten Ort, das Centrum der Weltregierung oberhalb p1c_072.022 (das Erhabene). Der Nutzen dieser Eintheilung p1c_072.023 bey Beurtheilung poetischer Gedanken ist leicht abzusehen, p1c_072.024 da die Anwendung der sinnlichen Analogieen auf die Gedankenwelt p1c_072.025 bald gemacht ist. Starke Stellen: Man fragt p1c_072.026 die Medea: wen hast du gegen diese unzähligen mächtigen p1c_072.027 Feinde? Sie antwortet: mich. Man fragt den Mahomet: p1c_072.028 welch Recht hast du, die Völker zu betrügen? Er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/130
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/130>, abgerufen am 24.11.2024.