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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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bleiben will, in all' seinem Handeln sehr beengt sein.
Denkt er gar darauf dem Feinde jenseits ein entscheidendes
Gefecht zu geben oder darf er erwarten daß dieser ihm
dazu entgegenkommen wird, so begiebt er sich in große
Gefahren; ohne bedeutende moralische und physische Über-
legenheit wird sich also ein Feldherr in diese Lage nicht
begeben.

2. Aus dieser Schwierigkeit des bloßen Hintersichneh-
mens des Flusses entsteht auch die Möglichkeit ihn wirk-
lich zu vertheidigen viel öfter als es sonst der Fall sein
würde. Setzt man voraus daß diese Vertheidigung nicht
als das einzige Heil betrachtet, sondern so eingerichtet wird
daß, wenn sie selbst mißlungen ist, doch noch ein Wider-
stand in der Nähe des Flusses möglich bleibt: so treten
zu dem Widerstand, welchen der Angreifende durch die Ver-
theidigung des Flusses erleiden kann, in seinem Kalkül auch
noch alle Vortheile wovon unter No. 1. gesprochen ist, und
Beides zusammen macht daß man die Feldherrn beim
Angriff vor einem vertheidigten Fluß so viel Respekt
haben sieht.

3. Aber wir haben im vorigen Buch gesehn, daß
unter gewissen Bedingungen die eigentliche Vertheidigung
des Flusses recht gute Erfolge verspricht, und wenn wir
auf die Erfahrung sehen, so müssen wir gestehen daß diese
Erfolge eigentlich noch viel häufiger eintreten als die Theo-
rie sie verspricht, weil man in dieser doch nur mit den
wirklichen Verhältnissen rechnet wie sie sich finden, wäh-
rend in der Ausführung dem Angreifenden gewöhnlich alle
etwas schwieriger erscheinen als sie wirklich sind, und da-
her ein starker Hemmschuh seines Handelns werden.

Ist nun gar von einem Angriff die Rede, der nicht
auf eine große Entscheidung geht und nicht mit durchgreifender

III 2

bleiben will, in all’ ſeinem Handeln ſehr beengt ſein.
Denkt er gar darauf dem Feinde jenſeits ein entſcheidendes
Gefecht zu geben oder darf er erwarten daß dieſer ihm
dazu entgegenkommen wird, ſo begiebt er ſich in große
Gefahren; ohne bedeutende moraliſche und phyſiſche Über-
legenheit wird ſich alſo ein Feldherr in dieſe Lage nicht
begeben.

2. Aus dieſer Schwierigkeit des bloßen Hinterſichneh-
mens des Fluſſes entſteht auch die Moͤglichkeit ihn wirk-
lich zu vertheidigen viel oͤfter als es ſonſt der Fall ſein
wuͤrde. Setzt man voraus daß dieſe Vertheidigung nicht
als das einzige Heil betrachtet, ſondern ſo eingerichtet wird
daß, wenn ſie ſelbſt mißlungen iſt, doch noch ein Wider-
ſtand in der Naͤhe des Fluſſes moͤglich bleibt: ſo treten
zu dem Widerſtand, welchen der Angreifende durch die Ver-
theidigung des Fluſſes erleiden kann, in ſeinem Kalkuͤl auch
noch alle Vortheile wovon unter No. 1. geſprochen iſt, und
Beides zuſammen macht daß man die Feldherrn beim
Angriff vor einem vertheidigten Fluß ſo viel Reſpekt
haben ſieht.

3. Aber wir haben im vorigen Buch geſehn, daß
unter gewiſſen Bedingungen die eigentliche Vertheidigung
des Fluſſes recht gute Erfolge verſpricht, und wenn wir
auf die Erfahrung ſehen, ſo muͤſſen wir geſtehen daß dieſe
Erfolge eigentlich noch viel haͤufiger eintreten als die Theo-
rie ſie verſpricht, weil man in dieſer doch nur mit den
wirklichen Verhaͤltniſſen rechnet wie ſie ſich finden, waͤh-
rend in der Ausfuͤhrung dem Angreifenden gewoͤhnlich alle
etwas ſchwieriger erſcheinen als ſie wirklich ſind, und da-
her ein ſtarker Hemmſchuh ſeines Handelns werden.

Iſt nun gar von einem Angriff die Rede, der nicht
auf eine große Entſcheidung geht und nicht mit durchgreifender

III 2
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[17/0031] bleiben will, in all’ ſeinem Handeln ſehr beengt ſein. Denkt er gar darauf dem Feinde jenſeits ein entſcheidendes Gefecht zu geben oder darf er erwarten daß dieſer ihm dazu entgegenkommen wird, ſo begiebt er ſich in große Gefahren; ohne bedeutende moraliſche und phyſiſche Über- legenheit wird ſich alſo ein Feldherr in dieſe Lage nicht begeben. 2. Aus dieſer Schwierigkeit des bloßen Hinterſichneh- mens des Fluſſes entſteht auch die Moͤglichkeit ihn wirk- lich zu vertheidigen viel oͤfter als es ſonſt der Fall ſein wuͤrde. Setzt man voraus daß dieſe Vertheidigung nicht als das einzige Heil betrachtet, ſondern ſo eingerichtet wird daß, wenn ſie ſelbſt mißlungen iſt, doch noch ein Wider- ſtand in der Naͤhe des Fluſſes moͤglich bleibt: ſo treten zu dem Widerſtand, welchen der Angreifende durch die Ver- theidigung des Fluſſes erleiden kann, in ſeinem Kalkuͤl auch noch alle Vortheile wovon unter No. 1. geſprochen iſt, und Beides zuſammen macht daß man die Feldherrn beim Angriff vor einem vertheidigten Fluß ſo viel Reſpekt haben ſieht. 3. Aber wir haben im vorigen Buch geſehn, daß unter gewiſſen Bedingungen die eigentliche Vertheidigung des Fluſſes recht gute Erfolge verſpricht, und wenn wir auf die Erfahrung ſehen, ſo muͤſſen wir geſtehen daß dieſe Erfolge eigentlich noch viel haͤufiger eintreten als die Theo- rie ſie verſpricht, weil man in dieſer doch nur mit den wirklichen Verhaͤltniſſen rechnet wie ſie ſich finden, waͤh- rend in der Ausfuͤhrung dem Angreifenden gewoͤhnlich alle etwas ſchwieriger erſcheinen als ſie wirklich ſind, und da- her ein ſtarker Hemmſchuh ſeines Handelns werden. Iſt nun gar von einem Angriff die Rede, der nicht auf eine große Entſcheidung geht und nicht mit durchgreifender III 2

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/31>, abgerufen am 25.11.2024.