auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 für das Eindringen in Frankreich gemacht wurde, so können wir ihn unmöglich billigen. Die russische, östreichische und preußische Armee befanden sich auf einem Punkt bei Frank- furt am Main in der natürlichsten und geradesten Rich- tung gegen den Schwerpunkt der französischen Monarchie. Man trennte sie, um mit einer Armee von Mainz her, mit der andern durch die Schweiz in Frankreich einzudrin- gen. Da der Feind so schwach an Kräften war daß an eine Vertheidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte, so war der ganze Vortheil welchen man von diesem kon- centrischen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang: daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den Elsaß eroberte, mit der andern die Franche-Comte ge- nommen wurde War dieser kleine Vortheil der Mühe werth nach der Schweiz zu marschiren? -- Wir wissen wohl daß noch andere, übrigens eben so schlechte, Gründe für diesen Marsch entschieden haben, wir bleiben aber hier bei dem Element stehen wovon wir gerade handeln.
Von der andern Seite war Bonaparte der Mann der die Vertheidigung gegen einen koncentrischen Angriff sehr wohl verstand, wie sein meisterhafter Feldzug von 1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm sehr an der Zahl überlegen war, so räumte man doch bei jeder Gelegenheit ein, wie sehr er es moralisch sei. Er kam zu spät bei seiner Armee nach Chalons an und dachte überhaupt zu geringschätzig von seinen Gegnern, und doch fehlte wenig daran daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen hätte; und wie fand er sie bei Brienne dennoch geschwächt? Blücher hatte von seinen 65,000 Mann noch 27,000 unter den Händen, und die Hauptarmee von 200,000 Mann noch 100,000. Es war unmöglich dem Gegner ein besseres
auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 fuͤr das Eindringen in Frankreich gemacht wurde, ſo koͤnnen wir ihn unmoͤglich billigen. Die ruſſiſche, oͤſtreichiſche und preußiſche Armee befanden ſich auf einem Punkt bei Frank- furt am Main in der natuͤrlichſten und geradeſten Rich- tung gegen den Schwerpunkt der franzoͤſiſchen Monarchie. Man trennte ſie, um mit einer Armee von Mainz her, mit der andern durch die Schweiz in Frankreich einzudrin- gen. Da der Feind ſo ſchwach an Kraͤften war daß an eine Vertheidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte, ſo war der ganze Vortheil welchen man von dieſem kon- centriſchen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang: daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den Elſaß eroberte, mit der andern die Franche-Comté ge- nommen wurde War dieſer kleine Vortheil der Muͤhe werth nach der Schweiz zu marſchiren? — Wir wiſſen wohl daß noch andere, uͤbrigens eben ſo ſchlechte, Gruͤnde fuͤr dieſen Marſch entſchieden haben, wir bleiben aber hier bei dem Element ſtehen wovon wir gerade handeln.
Von der andern Seite war Bonaparte der Mann der die Vertheidigung gegen einen koncentriſchen Angriff ſehr wohl verſtand, wie ſein meiſterhafter Feldzug von 1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm ſehr an der Zahl uͤberlegen war, ſo raͤumte man doch bei jeder Gelegenheit ein, wie ſehr er es moraliſch ſei. Er kam zu ſpaͤt bei ſeiner Armee nach Chalons an und dachte uͤberhaupt zu geringſchaͤtzig von ſeinen Gegnern, und doch fehlte wenig daran daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen haͤtte; und wie fand er ſie bei Brienne dennoch geſchwaͤcht? Bluͤcher hatte von ſeinen 65,000 Mann noch 27,000 unter den Haͤnden, und die Hauptarmee von 200,000 Mann noch 100,000. Es war unmoͤglich dem Gegner ein beſſeres
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auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 fuͤr das
Eindringen in Frankreich gemacht wurde, ſo koͤnnen wir
ihn unmoͤglich billigen. Die ruſſiſche, oͤſtreichiſche und
preußiſche Armee befanden ſich auf einem Punkt bei Frank-
furt am Main in der natuͤrlichſten und geradeſten Rich-
tung gegen den Schwerpunkt der franzoͤſiſchen Monarchie.
Man trennte ſie, um mit einer Armee von Mainz her,
mit der andern durch die Schweiz in Frankreich einzudrin-
gen. Da der Feind ſo ſchwach an Kraͤften war daß an
eine Vertheidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte,
ſo war der ganze Vortheil welchen man von dieſem kon-
centriſchen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang:
daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den
Elſaß eroberte, mit der andern die Franche-Comté ge-
nommen wurde War dieſer kleine Vortheil der Muͤhe
werth nach der Schweiz zu marſchiren? — Wir wiſſen wohl
daß noch andere, uͤbrigens eben ſo ſchlechte, Gruͤnde fuͤr
dieſen Marſch entſchieden haben, wir bleiben aber hier bei
dem Element ſtehen wovon wir gerade handeln.
Von der andern Seite war Bonaparte der Mann
der die Vertheidigung gegen einen koncentriſchen Angriff
ſehr wohl verſtand, wie ſein meiſterhafter Feldzug von
1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm ſehr an der Zahl
uͤberlegen war, ſo raͤumte man doch bei jeder Gelegenheit
ein, wie ſehr er es moraliſch ſei. Er kam zu ſpaͤt bei
ſeiner Armee nach Chalons an und dachte uͤberhaupt zu
geringſchaͤtzig von ſeinen Gegnern, und doch fehlte wenig
daran daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen
haͤtte; und wie fand er ſie bei Brienne dennoch geſchwaͤcht?
Bluͤcher hatte von ſeinen 65,000 Mann noch 27,000 unter
den Haͤnden, und die Hauptarmee von 200,000 Mann noch
100,000. Es war unmoͤglich dem Gegner ein beſſeres
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/182>, abgerufen am 27.11.2024.
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