Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

für den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung sein positi-
ves Ziel. Diese Vorstellungsart könnte gelten, wenn man
im Stande wäre zu sagen: der Angreifende muß nach
einer bestimmten Anzahl vergeblicher Versuche ermüden
und nachlassen. Allein diese Nothwendigkeit fehlt eben.
Sehen wir auf das reelle Erschöpfen der Kräfte, so ist der
Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, im Nachtheil.
Der Angriff schwächt, aber nur in dem Sinn daß es
einen Umschwungspunkt geben kann; wo dieser gar nicht
mehr gedacht wird, ist die Schwächung allerdings größer
beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils ist
er der Schwächere und bei gleicher Einbuße verliert
er also mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge-
wöhnlich einen Theil seiner Länder und Hülfsquellen.

Es kann also hieraus kein Grund des Nachlassens
für den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer
nur die Vorstellung übrig, daß, wenn der Angreifende
seine Streiche wiederholt, während der Vertheidiger Nichts
thut als sie abzuwehren, dieser die Gefahr, daß einer früher
oder später gelingen könnte, durch kein Gegengewicht aus-
gleichen kann.

Wenn also auch wirklich die Erschöpfung oder viel-
mehr die Ermüdung des Stärkeren schon oft einen Frie-
den herbeigeführt hat, so liegt das in jener Halbheit
welche der Krieg meistens hat, und kann philosophisch
nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver-
theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts übrig als
daß diese ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet,
der überhaupt ihr eigentliches Charakteristikon ist. Dieser
Begriff schließt eine Veränderung der Umstände, eine
Verbesserung der Lage in sich, die also, da wo sie durch
innere Mittel, d. h. durch den Widerstand selbst, gar

fuͤr den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung ſein poſiti-
ves Ziel. Dieſe Vorſtellungsart koͤnnte gelten, wenn man
im Stande waͤre zu ſagen: der Angreifende muß nach
einer beſtimmten Anzahl vergeblicher Verſuche ermuͤden
und nachlaſſen. Allein dieſe Nothwendigkeit fehlt eben.
Sehen wir auf das reelle Erſchoͤpfen der Kraͤfte, ſo iſt der
Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, im Nachtheil.
Der Angriff ſchwaͤcht, aber nur in dem Sinn daß es
einen Umſchwungspunkt geben kann; wo dieſer gar nicht
mehr gedacht wird, iſt die Schwaͤchung allerdings groͤßer
beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils iſt
er der Schwaͤchere und bei gleicher Einbuße verliert
er alſo mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge-
woͤhnlich einen Theil ſeiner Laͤnder und Huͤlfsquellen.

Es kann alſo hieraus kein Grund des Nachlaſſens
fuͤr den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer
nur die Vorſtellung uͤbrig, daß, wenn der Angreifende
ſeine Streiche wiederholt, waͤhrend der Vertheidiger Nichts
thut als ſie abzuwehren, dieſer die Gefahr, daß einer fruͤher
oder ſpaͤter gelingen koͤnnte, durch kein Gegengewicht aus-
gleichen kann.

Wenn alſo auch wirklich die Erſchoͤpfung oder viel-
mehr die Ermuͤdung des Staͤrkeren ſchon oft einen Frie-
den herbeigefuͤhrt hat, ſo liegt das in jener Halbheit
welche der Krieg meiſtens hat, und kann philoſophiſch
nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver-
theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts uͤbrig als
daß dieſe ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet,
der uͤberhaupt ihr eigentliches Charakteriſtikon iſt. Dieſer
Begriff ſchließt eine Veraͤnderung der Umſtaͤnde, eine
Verbeſſerung der Lage in ſich, die alſo, da wo ſie durch
innere Mittel, d. h. durch den Widerſtand ſelbſt, gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="155"/>
fu&#x0364;r den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung &#x017F;ein po&#x017F;iti-<lb/>
ves Ziel. Die&#x017F;e Vor&#x017F;tellungsart ko&#x0364;nnte gelten, wenn man<lb/>
im Stande wa&#x0364;re zu &#x017F;agen: der Angreifende muß nach<lb/>
einer be&#x017F;timmten Anzahl vergeblicher Ver&#x017F;uche ermu&#x0364;den<lb/>
und nachla&#x017F;&#x017F;en. Allein die&#x017F;e Nothwendigkeit fehlt eben.<lb/>
Sehen wir auf das reelle Er&#x017F;cho&#x0364;pfen der Kra&#x0364;fte, &#x017F;o i&#x017F;t der<lb/>
Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, <hi rendition="#g">im Nachtheil</hi>.<lb/>
Der Angriff &#x017F;chwa&#x0364;cht, aber nur in dem Sinn daß es<lb/>
einen Um&#x017F;chwungspunkt geben kann; wo die&#x017F;er gar nicht<lb/>
mehr gedacht wird, i&#x017F;t die Schwa&#x0364;chung allerdings gro&#x0364;ßer<lb/>
beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils i&#x017F;t<lb/>
er der Schwa&#x0364;chere und bei gleicher Einbuße verliert<lb/>
er al&#x017F;o mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich einen Theil &#x017F;einer La&#x0364;nder und Hu&#x0364;lfsquellen.</p><lb/>
          <p>Es kann al&#x017F;o hieraus kein Grund des Nachla&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
fu&#x0364;r den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer<lb/>
nur die Vor&#x017F;tellung u&#x0364;brig, daß, wenn der Angreifende<lb/>
&#x017F;eine Streiche wiederholt, wa&#x0364;hrend der Vertheidiger Nichts<lb/>
thut als &#x017F;ie abzuwehren, die&#x017F;er die Gefahr, daß einer fru&#x0364;her<lb/>
oder &#x017F;pa&#x0364;ter gelingen ko&#x0364;nnte, durch kein Gegengewicht aus-<lb/>
gleichen kann.</p><lb/>
          <p>Wenn al&#x017F;o auch wirklich die Er&#x017F;cho&#x0364;pfung oder viel-<lb/>
mehr die Ermu&#x0364;dung des Sta&#x0364;rkeren &#x017F;chon oft einen Frie-<lb/>
den herbeigefu&#x0364;hrt hat, &#x017F;o liegt das in jener Halbheit<lb/>
welche der Krieg mei&#x017F;tens hat, und kann philo&#x017F;ophi&#x017F;ch<lb/>
nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver-<lb/>
theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts u&#x0364;brig als<lb/>
daß die&#x017F;e ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet,<lb/>
der u&#x0364;berhaupt ihr eigentliches Charakteri&#x017F;tikon i&#x017F;t. Die&#x017F;er<lb/>
Begriff &#x017F;chließt eine Vera&#x0364;nderung der Um&#x017F;ta&#x0364;nde, eine<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erung der Lage in &#x017F;ich, die al&#x017F;o, da wo &#x017F;ie durch<lb/>
innere Mittel, d. h. durch den Wider&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;t, gar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0169] fuͤr den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung ſein poſiti- ves Ziel. Dieſe Vorſtellungsart koͤnnte gelten, wenn man im Stande waͤre zu ſagen: der Angreifende muß nach einer beſtimmten Anzahl vergeblicher Verſuche ermuͤden und nachlaſſen. Allein dieſe Nothwendigkeit fehlt eben. Sehen wir auf das reelle Erſchoͤpfen der Kraͤfte, ſo iſt der Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, im Nachtheil. Der Angriff ſchwaͤcht, aber nur in dem Sinn daß es einen Umſchwungspunkt geben kann; wo dieſer gar nicht mehr gedacht wird, iſt die Schwaͤchung allerdings groͤßer beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils iſt er der Schwaͤchere und bei gleicher Einbuße verliert er alſo mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge- woͤhnlich einen Theil ſeiner Laͤnder und Huͤlfsquellen. Es kann alſo hieraus kein Grund des Nachlaſſens fuͤr den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer nur die Vorſtellung uͤbrig, daß, wenn der Angreifende ſeine Streiche wiederholt, waͤhrend der Vertheidiger Nichts thut als ſie abzuwehren, dieſer die Gefahr, daß einer fruͤher oder ſpaͤter gelingen koͤnnte, durch kein Gegengewicht aus- gleichen kann. Wenn alſo auch wirklich die Erſchoͤpfung oder viel- mehr die Ermuͤdung des Staͤrkeren ſchon oft einen Frie- den herbeigefuͤhrt hat, ſo liegt das in jener Halbheit welche der Krieg meiſtens hat, und kann philoſophiſch nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver- theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts uͤbrig als daß dieſe ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet, der uͤberhaupt ihr eigentliches Charakteriſtikon iſt. Dieſer Begriff ſchließt eine Veraͤnderung der Umſtaͤnde, eine Verbeſſerung der Lage in ſich, die alſo, da wo ſie durch innere Mittel, d. h. durch den Widerſtand ſelbſt, gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/169
Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/169>, abgerufen am 26.11.2024.