Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln und alle Kräfte, nämlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ur- sprüngliche Motiv des Aggressors erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg, seinem Wesen nach, ein wirk- liches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas ver- stärkte Diplomatie, eine kräftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen mäßigen Vortheil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten.
Diese beschränkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges rührte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, worauf er sich stützte. Daß aber ausge- zeichnete Feldherren und Könige wie Gustav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso aus- gezeichneten Heeren nicht stärker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmäßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was früher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natürliche In- teresse, die Nähe, die Berührung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persönliche Bekanntschaft gethan hatte, um den einzelnen zu verhindern schnell groß zu werden, das that jetzt, wo die Staaten größer und ihre Centra weiter von einander entfernt waren, die größere Ausbildung der Geschäfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Theil daran hatten.
III 8
Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln und alle Kraͤfte, naͤmlich alle Motive, ſchienen zu ruhen. Das ur- ſpruͤngliche Motiv des Aggreſſors erſtarb in Vorſicht und Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg, ſeinem Weſen nach, ein wirk- liches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten miſchten; ſeiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas ver- ſtaͤrkte Diplomatie, eine kraͤftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen maͤßigen Vortheil zu ſetzen, um beim Friedensſchluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigſten.
Dieſe beſchraͤnkte, zuſammengeſchrumpfte Geſtalt des Krieges ruͤhrte, wie wir geſagt haben, von der ſchmalen Unterlage her, worauf er ſich ſtuͤtzte. Daß aber ausge- zeichnete Feldherren und Koͤnige wie Guſtav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenſo aus- gezeichneten Heeren nicht ſtaͤrker aus der Maſſe der Totalerſcheinungen hervortreten konnten, daß auch ſie ſich gefallen laſſen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmaͤßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politiſchen Gleichgewicht Europas. Was fruͤher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natuͤrliche In- tereſſe, die Naͤhe, die Beruͤhrung, die verwandtſchaftliche Verbindung, die perſoͤnliche Bekanntſchaft gethan hatte, um den einzelnen zu verhindern ſchnell groß zu werden, das that jetzt, wo die Staaten groͤßer und ihre Centra weiter von einander entfernt waren, die groͤßere Ausbildung der Geſchaͤfte. Die politiſchen Intereſſen, Anziehungen und Abſtoßungen hatten ſich zu einem ſehr verfeinerten Syſtem ausgebildet, ſo daß kein Kanonenſchuß in Europa geſchehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Theil daran hatten.
III 8
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Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln und alle
Kraͤfte, naͤmlich alle Motive, ſchienen zu ruhen. Das ur-
ſpruͤngliche Motiv des Aggreſſors erſtarb in Vorſicht und
Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg, ſeinem Weſen nach, ein wirk-
liches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten miſchten;
ſeiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas ver-
ſtaͤrkte Diplomatie, eine kraͤftigere Art zu unterhandeln,
in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten
waren. Sich in einen maͤßigen Vortheil zu ſetzen, um
beim Friedensſchluß davon Gebrauch zu machen, war das
Ziel auch des Ehrgeizigſten.
Dieſe beſchraͤnkte, zuſammengeſchrumpfte Geſtalt des
Krieges ruͤhrte, wie wir geſagt haben, von der ſchmalen
Unterlage her, worauf er ſich ſtuͤtzte. Daß aber ausge-
zeichnete Feldherren und Koͤnige wie Guſtav Adolph,
Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenſo aus-
gezeichneten Heeren nicht ſtaͤrker aus der Maſſe der
Totalerſcheinungen hervortreten konnten, daß auch ſie ſich
gefallen laſſen mußten, in dem allgemeinen Niveau des
mittelmaͤßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politiſchen
Gleichgewicht Europas. Was fruͤher bei der Menge
kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natuͤrliche In-
tereſſe, die Naͤhe, die Beruͤhrung, die verwandtſchaftliche
Verbindung, die perſoͤnliche Bekanntſchaft gethan hatte,
um den einzelnen zu verhindern ſchnell groß zu werden,
das that jetzt, wo die Staaten groͤßer und ihre Centra
weiter von einander entfernt waren, die groͤßere Ausbildung
der Geſchaͤfte. Die politiſchen Intereſſen, Anziehungen und
Abſtoßungen hatten ſich zu einem ſehr verfeinerten Syſtem
ausgebildet, ſo daß kein Kanonenſchuß in Europa geſchehen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/127>, abgerufen am 22.11.2024.
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