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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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neuen dauernden Eroberung führen konnte, wie die von
Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit
nicht die Niederwerfung des östreichischen Staates, sondern
einen untergeordneten Zweck, nämlich Zeit- und Kraftgewinn
beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck
verfolgen ohne zu fürchten daß er damit sein ganzes
Dasein auf das Spiel setzte. *) Wenn aber Preußen 1806
und Östreich 1805 und 1809 sich noch ein viel beschei-
deneres Ziel vorsetzte, nämlich: die Franzosen über den
Rhein zu treiben, so konnten sie das vernünftigerweise
nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe der Begebenheiten
zu durchlaufen, die sich, sowohl im Fall des guten als
schlechten Erfolges, wahrscheinlich an den ersten Schritt
anknüpfen und bis zum Frieden führen würde. Dies
war ganz unerläßlich, sowohl, um bei sich auszumachen
wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten,
als, wie und wo sie den feindlichen Sieg zum Stehen
zu bringen, im Stande wären.

Worin der Unterschied beider Verhältnisse sei, zeigt

*) Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kollin gewonnen, und
mithin die östreichische Hauptarmee mit ihren beiden obersten Feldherren
in Prag gefangen genommen, so war das ein so furchtbarer Schlag, daß
er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die östreichische
Monarchie zu erschüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu ge-
winnen. Dieser, für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Er-
folgen der neuesten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids
und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender gewesen wäre,
würde nach dem Gewinn dieser einen Schlacht höchst wahrscheinlich ein-
getreten sein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht wider-
spricht; denn diese spricht nur von Dem, was der König mit seiner Offen-
sive ursprünglich beabsichtigte; die Einschließung und Gefangennahme der
feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereigniß, was außer aller Berech-
nung lag und woran der König nicht gedacht hatte, wenigstens nicht eher
als bis die Östreicher durch ihre ungeschickte Aufstellung bei Prag dazu
Veranlassung gaben.

neuen dauernden Eroberung fuͤhren konnte, wie die von
Schleſien und Sachſen war, ſo geſchah es, weil er damit
nicht die Niederwerfung des oͤſtreichiſchen Staates, ſondern
einen untergeordneten Zweck, naͤmlich Zeit- und Kraftgewinn
beabſichtigte, und er durfte dieſen untergeordneten Zweck
verfolgen ohne zu fuͤrchten daß er damit ſein ganzes
Daſein auf das Spiel ſetzte. *) Wenn aber Preußen 1806
und Öſtreich 1805 und 1809 ſich noch ein viel beſchei-
deneres Ziel vorſetzte, naͤmlich: die Franzoſen uͤber den
Rhein zu treiben, ſo konnten ſie das vernuͤnftigerweiſe
nicht, ohne im Geiſte die ganze Reihe der Begebenheiten
zu durchlaufen, die ſich, ſowohl im Fall des guten als
ſchlechten Erfolges, wahrſcheinlich an den erſten Schritt
anknuͤpfen und bis zum Frieden fuͤhren wuͤrde. Dies
war ganz unerlaͤßlich, ſowohl, um bei ſich auszumachen
wie weit ſie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten,
als, wie und wo ſie den feindlichen Sieg zum Stehen
zu bringen, im Stande waͤren.

Worin der Unterſchied beider Verhaͤltniſſe ſei, zeigt

*) Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kollin gewonnen, und
mithin die öſtreichiſche Hauptarmee mit ihren beiden oberſten Feldherren
in Prag gefangen genommen, ſo war das ein ſo furchtbarer Schlag, daß
er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die öſtreichiſche
Monarchie zu erſchüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu ge-
winnen. Dieſer, für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Er-
folgen der neueſten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids
und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender geweſen wäre,
würde nach dem Gewinn dieſer einen Schlacht höchſt wahrſcheinlich ein-
getreten ſein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht wider-
ſpricht; denn dieſe ſpricht nur von Dem, was der König mit ſeiner Offen-
ſive urſprünglich beabſichtigte; die Einſchließung und Gefangennahme der
feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereigniß, was außer aller Berech-
nung lag und woran der König nicht gedacht hatte, wenigſtens nicht eher
als bis die Öſtreicher durch ihre ungeſchickte Aufſtellung bei Prag dazu
Veranlaſſung gaben.
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[100/0114] neuen dauernden Eroberung fuͤhren konnte, wie die von Schleſien und Sachſen war, ſo geſchah es, weil er damit nicht die Niederwerfung des oͤſtreichiſchen Staates, ſondern einen untergeordneten Zweck, naͤmlich Zeit- und Kraftgewinn beabſichtigte, und er durfte dieſen untergeordneten Zweck verfolgen ohne zu fuͤrchten daß er damit ſein ganzes Daſein auf das Spiel ſetzte. *) Wenn aber Preußen 1806 und Öſtreich 1805 und 1809 ſich noch ein viel beſchei- deneres Ziel vorſetzte, naͤmlich: die Franzoſen uͤber den Rhein zu treiben, ſo konnten ſie das vernuͤnftigerweiſe nicht, ohne im Geiſte die ganze Reihe der Begebenheiten zu durchlaufen, die ſich, ſowohl im Fall des guten als ſchlechten Erfolges, wahrſcheinlich an den erſten Schritt anknuͤpfen und bis zum Frieden fuͤhren wuͤrde. Dies war ganz unerlaͤßlich, ſowohl, um bei ſich auszumachen wie weit ſie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als, wie und wo ſie den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen, im Stande waͤren. Worin der Unterſchied beider Verhaͤltniſſe ſei, zeigt *) Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kollin gewonnen, und mithin die öſtreichiſche Hauptarmee mit ihren beiden oberſten Feldherren in Prag gefangen genommen, ſo war das ein ſo furchtbarer Schlag, daß er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die öſtreichiſche Monarchie zu erſchüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu ge- winnen. Dieſer, für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Er- folgen der neueſten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender geweſen wäre, würde nach dem Gewinn dieſer einen Schlacht höchſt wahrſcheinlich ein- getreten ſein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht wider- ſpricht; denn dieſe ſpricht nur von Dem, was der König mit ſeiner Offen- ſive urſprünglich beabſichtigte; die Einſchließung und Gefangennahme der feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereigniß, was außer aller Berech- nung lag und woran der König nicht gedacht hatte, wenigſtens nicht eher als bis die Öſtreicher durch ihre ungeſchickte Aufſtellung bei Prag dazu Veranlaſſung gaben.

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/114>, abgerufen am 24.11.2024.