Menschen überhoben zu sein, und ließ durch die kunstgeübte Lisette langsam ihre Toilette vollenden. Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬ rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen, hielt sie nicht für räthlich, und nahm sich fest vor, so unruhig auch das kleine Herz unter dem Schneebusen klopfte, sich den Vormittag über allein auf dem Zimmer zu beschäftigen. Sie öffnete mit einem etwas verdrießlichen Gesichtchen den eleganten Bücherschrank, wählte und wählte, und setzte sich endlich am Fenster zum Lesen nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig und breit, also mit dem Buche nur sogleich wieder in den Schrank hinein bis auf andere Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte sie ein Blumenbouquet zu malen angefangen; sie ließ sich von Lisetten reines Tuschwasser herbeiholen, und rieb die Farben auf. Aber das war nicht zum Aushalten, die Pinsel wollten nicht schließen, und die Farbe war krümlich und unrein. Blauen¬ stein war auch ein geübter Maler; er hatte öfter mit ihr über die Kunst geredet, er schwebte vor ihrem Auge, aus jeder Rosenknospe ihres Bou¬ quets schien er herauszuschauen, und nun war an ein ruhiges Ausführen der freundlichen Blüthen¬ kinder nicht mehr zu denken. Also ebenfalls weg damit; ohnehin schmerzten die Augen ein
Menſchen uͤberhoben zu ſein, und ließ durch die kunſtgeuͤbte Liſette langſam ihre Toilette vollenden. Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬ rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen, hielt ſie nicht fuͤr raͤthlich, und nahm ſich feſt vor, ſo unruhig auch das kleine Herz unter dem Schneebuſen klopfte, ſich den Vormittag uͤber allein auf dem Zimmer zu beſchaͤftigen. Sie oͤffnete mit einem etwas verdrießlichen Geſichtchen den eleganten Buͤcherſchrank, waͤhlte und waͤhlte, und ſetzte ſich endlich am Fenſter zum Leſen nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig und breit, alſo mit dem Buche nur ſogleich wieder in den Schrank hinein bis auf andere Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte ſie ein Blumenbouquet zu malen angefangen; ſie ließ ſich von Liſetten reines Tuſchwaſſer herbeiholen, und rieb die Farben auf. Aber das war nicht zum Aushalten, die Pinſel wollten nicht ſchließen, und die Farbe war kruͤmlich und unrein. Blauen¬ ſtein war auch ein geuͤbter Maler; er hatte oͤfter mit ihr uͤber die Kunſt geredet, er ſchwebte vor ihrem Auge, aus jeder Roſenknoſpe ihres Bou¬ quets ſchien er herauszuſchauen, und nun war an ein ruhiges Ausfuͤhren der freundlichen Bluͤthen¬ kinder nicht mehr zu denken. Alſo ebenfalls weg damit; ohnehin ſchmerzten die Augen ein
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Menſchen uͤberhoben zu ſein, und ließ durch die
kunſtgeuͤbte Liſette langſam ihre Toilette vollenden.
Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬
rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen,
hielt ſie nicht fuͤr raͤthlich, und nahm ſich feſt
vor, ſo unruhig auch das kleine Herz unter dem
Schneebuſen klopfte, ſich den Vormittag uͤber
allein auf dem Zimmer zu beſchaͤftigen. Sie
oͤffnete mit einem etwas verdrießlichen Geſichtchen
den eleganten Buͤcherſchrank, waͤhlte und waͤhlte,
und ſetzte ſich endlich am Fenſter zum Leſen
nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig
und breit, alſo mit dem Buche nur ſogleich
wieder in den Schrank hinein bis auf andere
Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte ſie ein
Blumenbouquet zu malen angefangen; ſie ließ
ſich von Liſetten reines Tuſchwaſſer herbeiholen,
und rieb die Farben auf. Aber das war nicht
zum Aushalten, die Pinſel wollten nicht ſchließen,
und die Farbe war kruͤmlich und unrein. Blauen¬
ſtein war auch ein geuͤbter Maler; er hatte oͤfter
mit ihr uͤber die Kunſt geredet, er ſchwebte vor
ihrem Auge, aus jeder Roſenknoſpe ihres Bou¬
quets ſchien er herauszuſchauen, und nun war an
ein ruhiges Ausfuͤhren der freundlichen Bluͤthen¬
kinder nicht mehr zu denken. Alſo ebenfalls
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/96>, abgerufen am 22.11.2024.
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