in der Nachbarschaft wie auf den Messias, aber sie mußten sich das Mäulchen wischen!"
"Und Comtesse Albertine?" fragte Blauenstein ganz blaß und bebend wie Espenlaub.
"Nun," sagte der Verlobungsreferendar heim¬ lich lächelnd, "die hoffte just nicht, denn die konnte nur pfeifen, und sie hatte zehn an jedem ihrer Finger. Jung, hübsch, reich, und dabei gut, wie die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen Mann sehn, dem sie mißfiele. Was in der Welt könnte der noch mangeln?"
Weibliche Würde! dachte Blauenstein tief im Innersten verwundert bei sich, und entließ den alten Schwätzer. -- Wie ungeheuer hatte ihn das Mädchen getäuscht! Verlobt, verlobt! tönte es in ihm wieder, und das ganze Riesengebirge wälzte sich mit seiner Last auf das gequälte Herz. Wie war es möglich, sich so zu ver¬ stellen, sein redliches Streben so zu belohnen! -- Und ihre Anspielungen beim Schach, waren sie nicht eine Bürgschaft für seine besten Hoff¬ nungen? -- Die alte Tante Letty hatte ihm bei Tische erzählt, Tina habe seit dem Tode ihrer Mutter im Hause der Madam Lafleure in der Residenz eine
in der Nachbarſchaft wie auf den Meſſias, aber ſie mußten ſich das Maͤulchen wiſchen!“
„Und Comteſſe Albertine?“ fragte Blauenſtein ganz blaß und bebend wie Espenlaub.
„Nun,“ ſagte der Verlobungsreferendar heim¬ lich laͤchelnd, „die hoffte juſt nicht, denn die konnte nur pfeifen, und ſie hatte zehn an jedem ihrer Finger. Jung, huͤbſch, reich, und dabei gut, wie die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen Mann ſehn, dem ſie mißfiele. Was in der Welt koͤnnte der noch mangeln?“
Weibliche Wuͤrde! dachte Blauenſtein tief im Innerſten verwundert bei ſich, und entließ den alten Schwaͤtzer. — Wie ungeheuer hatte ihn das Maͤdchen getaͤuſcht! Verlobt, verlobt! toͤnte es in ihm wieder, und das ganze Rieſengebirge waͤlzte ſich mit ſeiner Laſt auf das gequaͤlte Herz. Wie war es moͤglich, ſich ſo zu ver¬ ſtellen, ſein redliches Streben ſo zu belohnen! — Und ihre Anſpielungen beim Schach, waren ſie nicht eine Buͤrgſchaft fuͤr ſeine beſten Hoff¬ nungen? — Die alte Tante Letty hatte ihm bei Tiſche erzaͤhlt, Tina habe ſeit dem Tode ihrer Mutter im Hauſe der Madam Lafleure in der Reſidenz eine
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in der Nachbarſchaft wie auf den Meſſias, aber
ſie mußten ſich das Maͤulchen wiſchen!“
„Und Comteſſe Albertine?“ fragte Blauenſtein
ganz blaß und bebend wie Espenlaub.
„Nun,“ ſagte der Verlobungsreferendar heim¬
lich laͤchelnd, „die hoffte juſt nicht, denn die konnte
nur pfeifen, und ſie hatte zehn an jedem ihrer
Finger. Jung, huͤbſch, reich, und dabei gut, wie
die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen
Mann ſehn, dem ſie mißfiele. Was in der Welt
koͤnnte der noch mangeln?“
Weibliche Wuͤrde! dachte Blauenſtein tief im
Innerſten verwundert bei ſich, und entließ den
alten Schwaͤtzer. — Wie ungeheuer hatte ihn
das Maͤdchen getaͤuſcht! Verlobt, verlobt! toͤnte
es in ihm wieder, und das ganze Rieſengebirge
waͤlzte ſich mit ſeiner Laſt auf das gequaͤlte
Herz. Wie war es moͤglich, ſich ſo zu ver¬
ſtellen, ſein redliches Streben ſo zu belohnen!
— Und ihre Anſpielungen beim Schach, waren
ſie nicht eine Buͤrgſchaft fuͤr ſeine beſten Hoff¬
nungen? — Die alte Tante Letty hatte ihm bei
Tiſche erzaͤhlt, Tina habe ſeit dem Tode ihrer Mutter
im Hauſe der Madam Lafleure in der Reſidenz eine
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/36>, abgerufen am 16.02.2025.
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