Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

"Tinchen!" rief Oncle Heinrich, "Vetter
Staunitz dachte dennoch sehr edel; und was fängt
jetzt die Hexe zu raisonniren an, da sie ihren
Theil hat?!"

Die Gesellschaft lachte laut auf; Tina reichte
Staunitz zur Versöhnung die kleine Hand, und
bat ihn, die Geschichte fortzusetzen. Er begann
daher von Neuem:

"Adeline war genesen; aber sie mogte sich der
wieder erlangten Gesundheit nicht freun, denn ihr
Geschick war trübe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬
sicht in die nächste Zukunft sehn zu können.
Wir überlegten zusammen auf alle Weise, wie
sie auf eine selbstständige Art leben könne, denn
ein Geständniß meiner glühenden Liebe vermogte
ich jetzt nicht zu thun; da sagte sie mit einem
unendlich trüben Blicke: Mein Freund, ich kann
Ihnen nicht länger lästig sein, wenn mir gleich
nichts übrig bleibt, als mein Leben durch meiner
Hände Arbeit zu fristen. Vielleicht, es giebt ja
in unserer Zeit so manche Erziehungsanstalt, so
manche Schule, wo eine Stelle unbesetzt ist, viel¬
leicht öffnet sich mir auf diese Weise eine Aussicht.
Zu dem Manne zurückzukehren, der meiner Mutter
letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand

„Tinchen!“ rief Oncle Heinrich, „Vetter
Staunitz dachte dennoch ſehr edel; und was faͤngt
jetzt die Hexe zu raiſonniren an, da ſie ihren
Theil hat?!“

Die Geſellſchaft lachte laut auf; Tina reichte
Staunitz zur Verſoͤhnung die kleine Hand, und
bat ihn, die Geſchichte fortzuſetzen. Er begann
daher von Neuem:

„Adeline war geneſen; aber ſie mogte ſich der
wieder erlangten Geſundheit nicht freun, denn ihr
Geſchick war truͤbe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬
ſicht in die naͤchſte Zukunft ſehn zu koͤnnen.
Wir uͤberlegten zuſammen auf alle Weiſe, wie
ſie auf eine ſelbſtſtaͤndige Art leben koͤnne, denn
ein Geſtaͤndniß meiner gluͤhenden Liebe vermogte
ich jetzt nicht zu thun; da ſagte ſie mit einem
unendlich truͤben Blicke: Mein Freund, ich kann
Ihnen nicht laͤnger laͤſtig ſein, wenn mir gleich
nichts uͤbrig bleibt, als mein Leben durch meiner
Haͤnde Arbeit zu friſten. Vielleicht, es giebt ja
in unſerer Zeit ſo manche Erziehungsanſtalt, ſo
manche Schule, wo eine Stelle unbeſetzt iſt, viel¬
leicht oͤffnet ſich mir auf dieſe Weiſe eine Ausſicht.
Zu dem Manne zuruͤckzukehren, der meiner Mutter
letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0228" n="222"/>
        <p>&#x201E;Tinchen!&#x201C; rief Oncle Heinrich, &#x201E;Vetter<lb/>
Staunitz dachte dennoch &#x017F;ehr edel; und was fa&#x0364;ngt<lb/>
jetzt die Hexe zu rai&#x017F;onniren an, da &#x017F;ie ihren<lb/>
Theil hat?!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft lachte laut auf; Tina reichte<lb/>
Staunitz zur Ver&#x017F;o&#x0364;hnung die kleine Hand, und<lb/>
bat ihn, die Ge&#x017F;chichte fortzu&#x017F;etzen. Er begann<lb/>
daher von Neuem:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Adeline war gene&#x017F;en; aber &#x017F;ie mogte &#x017F;ich der<lb/>
wieder erlangten Ge&#x017F;undheit nicht freun, denn ihr<lb/>
Ge&#x017F;chick war tru&#x0364;be, zu unruhvoll, um mit Zuver¬<lb/>
&#x017F;icht in die na&#x0364;ch&#x017F;te Zukunft &#x017F;ehn zu ko&#x0364;nnen.<lb/>
Wir u&#x0364;berlegten zu&#x017F;ammen auf alle Wei&#x017F;e, wie<lb/>
&#x017F;ie auf eine &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndige Art leben ko&#x0364;nne, denn<lb/>
ein Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß meiner glu&#x0364;henden Liebe vermogte<lb/>
ich jetzt nicht zu thun; da &#x017F;agte &#x017F;ie mit einem<lb/>
unendlich tru&#x0364;ben Blicke: Mein Freund, ich kann<lb/>
Ihnen nicht la&#x0364;nger la&#x0364;&#x017F;tig &#x017F;ein, wenn mir gleich<lb/>
nichts u&#x0364;brig bleibt, als mein Leben durch meiner<lb/>
Ha&#x0364;nde Arbeit zu fri&#x017F;ten. Vielleicht, es giebt ja<lb/>
in un&#x017F;erer Zeit &#x017F;o manche Erziehungsan&#x017F;talt, &#x017F;o<lb/>
manche Schule, wo eine Stelle unbe&#x017F;etzt i&#x017F;t, viel¬<lb/>
leicht o&#x0364;ffnet &#x017F;ich mir auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e eine Aus&#x017F;icht.<lb/>
Zu dem Manne zuru&#x0364;ckzukehren, der meiner Mutter<lb/>
letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0228] „Tinchen!“ rief Oncle Heinrich, „Vetter Staunitz dachte dennoch ſehr edel; und was faͤngt jetzt die Hexe zu raiſonniren an, da ſie ihren Theil hat?!“ Die Geſellſchaft lachte laut auf; Tina reichte Staunitz zur Verſoͤhnung die kleine Hand, und bat ihn, die Geſchichte fortzuſetzen. Er begann daher von Neuem: „Adeline war geneſen; aber ſie mogte ſich der wieder erlangten Geſundheit nicht freun, denn ihr Geſchick war truͤbe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬ ſicht in die naͤchſte Zukunft ſehn zu koͤnnen. Wir uͤberlegten zuſammen auf alle Weiſe, wie ſie auf eine ſelbſtſtaͤndige Art leben koͤnne, denn ein Geſtaͤndniß meiner gluͤhenden Liebe vermogte ich jetzt nicht zu thun; da ſagte ſie mit einem unendlich truͤben Blicke: Mein Freund, ich kann Ihnen nicht laͤnger laͤſtig ſein, wenn mir gleich nichts uͤbrig bleibt, als mein Leben durch meiner Haͤnde Arbeit zu friſten. Vielleicht, es giebt ja in unſerer Zeit ſo manche Erziehungsanſtalt, ſo manche Schule, wo eine Stelle unbeſetzt iſt, viel¬ leicht oͤffnet ſich mir auf dieſe Weiſe eine Ausſicht. Zu dem Manne zuruͤckzukehren, der meiner Mutter letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/228
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/228>, abgerufen am 26.11.2024.