verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth, meine Fassung zu behaupten, und war zuletzt herzlich froh, als wir die nächste Stadt erreicht hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall so auf's Geradewohl nach Hamburg zu reisen, um hier eine alte Tante aufzusuchen, von der sie seit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten hatte, sondern wo möglich erst von hier aus Er¬ kundigungen über sie einzuziehn. Da ward Ade¬ line plötzlich ernster, und schien zu erschrecken. Gott, sagte sie, ich habe eine liebe Freundin, die vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬ lien gefolgt sein muß; diese kennt meine Tante, und wird Bericht von ihr geben können. Aber sie ist weit fort, und keine Hoffnung da, sie zu sehn.
Jetzt erst fiel mir der Brief der niedlichen Deutschen ein, den sie mir in Rom zur Besor¬ gung anvertraut. Unter tausend Entschuldigungen, wie hätte ich auch in dieser verhängnißvollen Zeit an den Brief denken können! überreichte ich ihn Adelinen, die ihn rasch durchlas, und zuletzt laut weinend in das Kanapee zurücksank, auf dem wir Platz genommen hatten. Ich begriff diesen sonderbaren Zustand nicht; der Brief war zur Erde gefallen, und als ich einen Blick hinein
verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth, meine Faſſung zu behaupten, und war zuletzt herzlich froh, als wir die naͤchſte Stadt erreicht hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall ſo auf's Geradewohl nach Hamburg zu reiſen, um hier eine alte Tante aufzuſuchen, von der ſie ſeit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten hatte, ſondern wo moͤglich erſt von hier aus Er¬ kundigungen uͤber ſie einzuziehn. Da ward Ade¬ line ploͤtzlich ernſter, und ſchien zu erſchrecken. Gott, ſagte ſie, ich habe eine liebe Freundin, die vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬ lien gefolgt ſein muß; dieſe kennt meine Tante, und wird Bericht von ihr geben koͤnnen. Aber ſie iſt weit fort, und keine Hoffnung da, ſie zu ſehn.
Jetzt erſt fiel mir der Brief der niedlichen Deutſchen ein, den ſie mir in Rom zur Beſor¬ gung anvertraut. Unter tauſend Entſchuldigungen, wie haͤtte ich auch in dieſer verhaͤngnißvollen Zeit an den Brief denken koͤnnen! uͤberreichte ich ihn Adelinen, die ihn raſch durchlas, und zuletzt laut weinend in das Kanapee zuruͤckſank, auf dem wir Platz genommen hatten. Ich begriff dieſen ſonderbaren Zuſtand nicht; der Brief war zur Erde gefallen, und als ich einen Blick hinein
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verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth,
meine Faſſung zu behaupten, und war zuletzt
herzlich froh, als wir die naͤchſte Stadt erreicht
hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall
ſo auf's Geradewohl nach Hamburg zu reiſen,
um hier eine alte Tante aufzuſuchen, von der ſie
ſeit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten
hatte, ſondern wo moͤglich erſt von hier aus Er¬
kundigungen uͤber ſie einzuziehn. Da ward Ade¬
line ploͤtzlich ernſter, und ſchien zu erſchrecken.
Gott, ſagte ſie, ich habe eine liebe Freundin, die
vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬
lien gefolgt ſein muß; dieſe kennt meine Tante,
und wird Bericht von ihr geben koͤnnen. Aber
ſie iſt weit fort, und keine Hoffnung da, ſie
zu ſehn.
Jetzt erſt fiel mir der Brief der niedlichen
Deutſchen ein, den ſie mir in Rom zur Beſor¬
gung anvertraut. Unter tauſend Entſchuldigungen,
wie haͤtte ich auch in dieſer verhaͤngnißvollen Zeit
an den Brief denken koͤnnen! uͤberreichte ich ihn
Adelinen, die ihn raſch durchlas, und zuletzt laut
weinend in das Kanapee zuruͤckſank, auf dem
wir Platz genommen hatten. Ich begriff dieſen
ſonderbaren Zuſtand nicht; der Brief war zur
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/224>, abgerufen am 27.07.2024.
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