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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Tina sah mit einem halben Viertelsblick zu
ihm auf, sie drückte ihn mit sanfter Gewalt ein
wenig von sich ab, zog ihn wieder näher, und
ihr Köpfchen ihm in süßer Hingebung entgegen¬
neigend, vereinigten sich die Lippen beider Lie¬
benden zu einem langen, seelenvollen Kusse, der
den Bund der treuesten Herzen besiegelte!

Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina
war nicht die Comtesse von Blumenau, sie war
das unbefangene, tändelnde Kind der Natur, und
im süßen Kosen flog ihr die Zeit an der Seite
des heiß Geliebten pfeilschnell hinweg. Sie erwie¬
derte das trauliche Du, sie ließ es geschehn, daß
sie Blauenstein auf seinem Knie wiegte, und ver¬
galt seine stürmische Zärtlichkeit mit hundert Küssen
der keuschesten Liebe. Von solcher zarten Hin¬
gebung, solch kindlicher, süßen Vertraulichkeit haben
die erbärmlichen Menschen unserer vornehmen
Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer
sie kennen lernen will die Seligkeit der ersten,
warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der
suche sich eine Tina!

Nun ging es an ein Fragen und Erzählen,
daß Tina selbst laut auflachen mußte, wie sich
das Alles so schnell gemacht habe. Sie zupfte

Tina ſah mit einem halben Viertelsblick zu
ihm auf, ſie druͤckte ihn mit ſanfter Gewalt ein
wenig von ſich ab, zog ihn wieder naͤher, und
ihr Koͤpfchen ihm in ſuͤßer Hingebung entgegen¬
neigend, vereinigten ſich die Lippen beider Lie¬
benden zu einem langen, ſeelenvollen Kuſſe, der
den Bund der treueſten Herzen beſiegelte!

Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina
war nicht die Comteſſe von Blumenau, ſie war
das unbefangene, taͤndelnde Kind der Natur, und
im ſuͤßen Koſen flog ihr die Zeit an der Seite
des heiß Geliebten pfeilſchnell hinweg. Sie erwie¬
derte das trauliche Du, ſie ließ es geſchehn, daß
ſie Blauenſtein auf ſeinem Knie wiegte, und ver¬
galt ſeine ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit mit hundert Kuͤſſen
der keuſcheſten Liebe. Von ſolcher zarten Hin¬
gebung, ſolch kindlicher, ſuͤßen Vertraulichkeit haben
die erbaͤrmlichen Menſchen unſerer vornehmen
Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer
ſie kennen lernen will die Seligkeit der erſten,
warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der
ſuche ſich eine Tina!

Nun ging es an ein Fragen und Erzaͤhlen,
daß Tina ſelbſt laut auflachen mußte, wie ſich
das Alles ſo ſchnell gemacht habe. Sie zupfte

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[183/0189] Tina ſah mit einem halben Viertelsblick zu ihm auf, ſie druͤckte ihn mit ſanfter Gewalt ein wenig von ſich ab, zog ihn wieder naͤher, und ihr Koͤpfchen ihm in ſuͤßer Hingebung entgegen¬ neigend, vereinigten ſich die Lippen beider Lie¬ benden zu einem langen, ſeelenvollen Kuſſe, der den Bund der treueſten Herzen beſiegelte! Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina war nicht die Comteſſe von Blumenau, ſie war das unbefangene, taͤndelnde Kind der Natur, und im ſuͤßen Koſen flog ihr die Zeit an der Seite des heiß Geliebten pfeilſchnell hinweg. Sie erwie¬ derte das trauliche Du, ſie ließ es geſchehn, daß ſie Blauenſtein auf ſeinem Knie wiegte, und ver¬ galt ſeine ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit mit hundert Kuͤſſen der keuſcheſten Liebe. Von ſolcher zarten Hin¬ gebung, ſolch kindlicher, ſuͤßen Vertraulichkeit haben die erbaͤrmlichen Menſchen unſerer vornehmen Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer ſie kennen lernen will die Seligkeit der erſten, warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der ſuche ſich eine Tina! Nun ging es an ein Fragen und Erzaͤhlen, daß Tina ſelbſt laut auflachen mußte, wie ſich das Alles ſo ſchnell gemacht habe. Sie zupfte

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/189>, abgerufen am 28.11.2024.