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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Figur? -- Richtig, ein Schleier und eine zierliche
Hand kamen zum Vorschein. In demselben
Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutscher; zwei
Jokeien sprangen hinten herunter, der eine riß
den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob
die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom
Gesicht nichts sehn. Die Gestalt mußte Blauen¬
stein schon irgendwo einmal gesehn haben, so
ungewöhnlich dies herrliche Ebenmaß, diese so
verführerische Fülle der lieblichsten Formen auch
waren. Nein, -- doch ja, in seinem elterlichen
Hause hing ein Bild nach Angelika Kaufmann,
die Hore des Frühlings vorstellend; war es doch,
als ob die junge Fremde zu dem Bilde gesessen
habe. Die junge? war sie denn auch noch
jung, konnte nicht eine ältere Person ihre schöne
Gestalt conservirt haben? --

Der Graf war neu gestärkt erwacht; die
Thüre öffnete sich, die Dame trat herein, und
warf sich mit zurückgeschlagenem Schleier dem
Grafen in die weit geöffneten Arme. Es war
seine Tochter. Beide waren anfangs keines
Wortes mächtig, bis sich endlich der Graf erhob,
und den entfernt stehenden Blauenstein herbei¬
winkte. "Hier," sagte er, und führte sein lieb¬
liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt

Figur? — Richtig, ein Schleier und eine zierliche
Hand kamen zum Vorſchein. In demſelben
Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutſcher; zwei
Jokeien ſprangen hinten herunter, der eine riß
den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob
die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom
Geſicht nichts ſehn. Die Geſtalt mußte Blauen¬
ſtein ſchon irgendwo einmal geſehn haben, ſo
ungewoͤhnlich dies herrliche Ebenmaß, dieſe ſo
verfuͤhreriſche Fuͤlle der lieblichſten Formen auch
waren. Nein, — doch ja, in ſeinem elterlichen
Hauſe hing ein Bild nach Angelika Kaufmann,
die Hore des Fruͤhlings vorſtellend; war es doch,
als ob die junge Fremde zu dem Bilde geſeſſen
habe. Die junge? war ſie denn auch noch
jung, konnte nicht eine aͤltere Perſon ihre ſchoͤne
Geſtalt conſervirt haben? —

Der Graf war neu geſtaͤrkt erwacht; die
Thuͤre oͤffnete ſich, die Dame trat herein, und
warf ſich mit zuruͤckgeſchlagenem Schleier dem
Grafen in die weit geoͤffneten Arme. Es war
ſeine Tochter. Beide waren anfangs keines
Wortes maͤchtig, bis ſich endlich der Graf erhob,
und den entfernt ſtehenden Blauenſtein herbei¬
winkte. „Hier,“ ſagte er, und fuͤhrte ſein lieb¬
liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt

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[9/0015] Figur? — Richtig, ein Schleier und eine zierliche Hand kamen zum Vorſchein. In demſelben Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutſcher; zwei Jokeien ſprangen hinten herunter, der eine riß den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom Geſicht nichts ſehn. Die Geſtalt mußte Blauen¬ ſtein ſchon irgendwo einmal geſehn haben, ſo ungewoͤhnlich dies herrliche Ebenmaß, dieſe ſo verfuͤhreriſche Fuͤlle der lieblichſten Formen auch waren. Nein, — doch ja, in ſeinem elterlichen Hauſe hing ein Bild nach Angelika Kaufmann, die Hore des Fruͤhlings vorſtellend; war es doch, als ob die junge Fremde zu dem Bilde geſeſſen habe. Die junge? war ſie denn auch noch jung, konnte nicht eine aͤltere Perſon ihre ſchoͤne Geſtalt conſervirt haben? — Der Graf war neu geſtaͤrkt erwacht; die Thuͤre oͤffnete ſich, die Dame trat herein, und warf ſich mit zuruͤckgeſchlagenem Schleier dem Grafen in die weit geoͤffneten Arme. Es war ſeine Tochter. Beide waren anfangs keines Wortes maͤchtig, bis ſich endlich der Graf erhob, und den entfernt ſtehenden Blauenſtein herbei¬ winkte. „Hier,“ ſagte er, und fuͤhrte ſein lieb¬ liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/15>, abgerufen am 11.12.2024.