Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet. Ich sah nach meiner Uhr; es war in der That spät geworden, und beschloß, am Arme des ent¬ zückten Legationsrathes meine einsame Wohnung aufzusuchen. In der letzten Aufregung hatte ich mich sehr an den köstlichen Punsch gehalten, es mogte wohl zu viel gewesen sein, denn es schien sich mir Alles zu verwirren, und ich wähnte zu träumen. Vor dem Hause hielt ein schöner Wagen; nach wenigen Augenblicken erschien der Freiherr mit Marien und seiner Frau. Die Be¬ dienten hielten hellleuchtende Laternen in den Händen, und ein magischer Schein fiel auf die reizende Gestalt des Mädchens, das in meinem Herzen eine so plötzliche Verheerung angerichtet, und ehe ich noch recht zu mir selbst kam, rollte der Wagen bereits um die Ecke der düstern Straße.
Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen Arm in den seinen, und nach einem kurzen Schweigen begann er: "Mir ist solch ein Engel noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬ aus betrübt macht, ja mich empören kann, ist der alberne, sinnlose Stolz des Alten. Wir sind doch meiner Seele nicht vom gemeinsten Gewächs, und haben Sie wohl die Blicke gesehn, die mir der Mensch zuwarf, als ich mit seinem Kinde sprach?"
Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet. Ich ſah nach meiner Uhr; es war in der That ſpaͤt geworden, und beſchloß, am Arme des ent¬ zuͤckten Legationsrathes meine einſame Wohnung aufzuſuchen. In der letzten Aufregung hatte ich mich ſehr an den koͤſtlichen Punſch gehalten, es mogte wohl zu viel geweſen ſein, denn es ſchien ſich mir Alles zu verwirren, und ich waͤhnte zu traͤumen. Vor dem Hauſe hielt ein ſchoͤner Wagen; nach wenigen Augenblicken erſchien der Freiherr mit Marien und ſeiner Frau. Die Be¬ dienten hielten hellleuchtende Laternen in den Haͤnden, und ein magiſcher Schein fiel auf die reizende Geſtalt des Maͤdchens, das in meinem Herzen eine ſo ploͤtzliche Verheerung angerichtet, und ehe ich noch recht zu mir ſelbſt kam, rollte der Wagen bereits um die Ecke der duͤſtern Straße.
Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen Arm in den ſeinen, und nach einem kurzen Schweigen begann er: „Mir iſt ſolch ein Engel noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬ aus betruͤbt macht, ja mich empoͤren kann, iſt der alberne, ſinnloſe Stolz des Alten. Wir ſind doch meiner Seele nicht vom gemeinſten Gewaͤchs, und haben Sie wohl die Blicke geſehn, die mir der Menſch zuwarf, als ich mit ſeinem Kinde ſprach?“
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Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet.
Ich ſah nach meiner Uhr; es war in der That
ſpaͤt geworden, und beſchloß, am Arme des ent¬
zuͤckten Legationsrathes meine einſame Wohnung
aufzuſuchen. In der letzten Aufregung hatte ich
mich ſehr an den koͤſtlichen Punſch gehalten, es
mogte wohl zu viel geweſen ſein, denn es ſchien
ſich mir Alles zu verwirren, und ich waͤhnte zu
traͤumen. Vor dem Hauſe hielt ein ſchoͤner
Wagen; nach wenigen Augenblicken erſchien der
Freiherr mit Marien und ſeiner Frau. Die Be¬
dienten hielten hellleuchtende Laternen in den
Haͤnden, und ein magiſcher Schein fiel auf die
reizende Geſtalt des Maͤdchens, das in meinem
Herzen eine ſo ploͤtzliche Verheerung angerichtet,
und ehe ich noch recht zu mir ſelbſt kam, rollte
der Wagen bereits um die Ecke der duͤſtern Straße.
Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen
Arm in den ſeinen, und nach einem kurzen
Schweigen begann er: „Mir iſt ſolch ein Engel
noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬
aus betruͤbt macht, ja mich empoͤren kann, iſt
der alberne, ſinnloſe Stolz des Alten. Wir ſind
doch meiner Seele nicht vom gemeinſten Gewaͤchs,
und haben Sie wohl die Blicke geſehn, die mir der
Menſch zuwarf, als ich mit ſeinem Kinde ſprach?“
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/136>, abgerufen am 27.07.2024.
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