unter dem Titul der Critick ein Befugniß, den andern nach seinem Dünckel und Eigensinn zu ta- deln, und mit einer alten Schrifft nach seinem Gefallen zu schalten und zu walten, verstehen und einführen will.
§. 35. Einfluß der Historie in die Gottes- gelahrheit.
Die Gottesgelahrheit hat mit der histo- rischen Erkentniß mehr zu schaffen, und ist mit derselben genauer verbunden, als man sich gemei- niglich einbildet. Jhr Grund ist die heilige Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derselben, so fällt es gleich in die Augen, daß eine recht grosse Menge derselben Geschichte sind. Gantze Bücher werden deswegen schlecht weg darinnen die histori- schen Bücher genennet. Die Prophezeyungen sowohl altes als neuen Testamentes, sind ohne Zweifel denen historischen Wahrheiten beyzuzeh- len. Jm übrigen finden wir durchgängig die schärfsten Gesetze, Ermahnungen, Verheissungen und Drohungen, welche mit der Historie eine ge- naue Verbindung haben (§. 28.). Das Ev- angelium ist gleich seiner Benennung nach, ei- ne gute Bothschafft, oder eine erfreuliche Nachricht. Selbst die Gebete und Bitten, der- gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen, gehören zur historischen Erkentniß (§. cit.). Kan man also wohl zweifeln, daß eine genauere Er- kentniß von der Beschaffenheit der historischen Er- kentniß überhaupt, eine gute Einleitung zum Ver-
stande
Erſtes Capitel,
unter dem Titul der Critick ein Befugniß, den andern nach ſeinem Duͤnckel und Eigenſinn zu ta- deln, und mit einer alten Schrifft nach ſeinem Gefallen zu ſchalten und zu walten, verſtehen und einfuͤhren will.
§. 35. Einfluß der Hiſtorie in die Gottes- gelahrheit.
Die Gottesgelahrheit hat mit der hiſto- riſchen Erkentniß mehr zu ſchaffen, und iſt mit derſelben genauer verbunden, als man ſich gemei- niglich einbildet. Jhr Grund iſt die heilige Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derſelben, ſo faͤllt es gleich in die Augen, daß eine recht groſſe Menge derſelben Geſchichte ſind. Gantze Buͤcher werden deswegen ſchlecht weg darinnen die hiſtori- ſchen Buͤcher genennet. Die Prophezeyungen ſowohl altes als neuen Teſtamentes, ſind ohne Zweifel denen hiſtoriſchen Wahrheiten beyzuzeh- len. Jm uͤbrigen finden wir durchgaͤngig die ſchaͤrfſten Geſetze, Ermahnungen, Verheiſſungen und Drohungen, welche mit der Hiſtorie eine ge- naue Verbindung haben (§. 28.). Das Ev- angelium iſt gleich ſeiner Benennung nach, ei- ne gute Bothſchafft, oder eine erfreuliche Nachricht. Selbſt die Gebete und Bitten, der- gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen, gehoͤren zur hiſtoriſchen Erkentniß (§. cit.). Kan man alſo wohl zweifeln, daß eine genauere Er- kentniß von der Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Er- kentniß uͤberhaupt, eine gute Einleitung zum Ver-
ſtande
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0058"n="22"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erſtes Capitel,</hi></fw><lb/>
unter dem Titul der <hirendition="#fr">Critick</hi> ein Befugniß, den<lb/>
andern nach ſeinem Duͤnckel und Eigenſinn zu ta-<lb/>
deln, und mit einer alten Schrifft nach ſeinem<lb/>
Gefallen zu ſchalten und zu walten, verſtehen<lb/>
und einfuͤhren will.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 35.<lb/>
Einfluß der Hiſtorie in die Gottes-<lb/>
gelahrheit.</head><lb/><p>Die <hirendition="#fr">Gottesgelahrheit</hi> hat mit der hiſto-<lb/>
riſchen Erkentniß mehr zu ſchaffen, und iſt mit<lb/>
derſelben genauer verbunden, als man ſich gemei-<lb/>
niglich einbildet. Jhr Grund iſt die heilige<lb/>
Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derſelben,<lb/>ſo faͤllt es gleich in die Augen, daß eine recht groſſe<lb/>
Menge derſelben Geſchichte ſind. Gantze Buͤcher<lb/>
werden deswegen ſchlecht weg darinnen die <hirendition="#fr">hiſtori-<lb/>ſchen</hi> Buͤcher genennet. Die Prophezeyungen<lb/>ſowohl altes als neuen Teſtamentes, ſind ohne<lb/>
Zweifel denen hiſtoriſchen Wahrheiten beyzuzeh-<lb/>
len. Jm uͤbrigen finden wir durchgaͤngig die<lb/>ſchaͤrfſten Geſetze, Ermahnungen, Verheiſſungen<lb/>
und Drohungen, welche mit der Hiſtorie eine ge-<lb/>
naue Verbindung haben (§. 28.). Das <hirendition="#fr">Ev-<lb/>
angelium</hi> iſt gleich ſeiner Benennung nach, ei-<lb/>
ne <hirendition="#fr">gute Bothſchafft,</hi> oder eine <hirendition="#fr">erfreuliche<lb/>
Nachricht.</hi> Selbſt die Gebete und Bitten, der-<lb/>
gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen,<lb/>
gehoͤren zur hiſtoriſchen Erkentniß (§. <hirendition="#aq">cit.</hi>). Kan<lb/>
man alſo wohl zweifeln, daß eine genauere Er-<lb/>
kentniß von der Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Er-<lb/>
kentniß uͤberhaupt, eine gute Einleitung zum Ver-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſtande</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[22/0058]
Erſtes Capitel,
unter dem Titul der Critick ein Befugniß, den
andern nach ſeinem Duͤnckel und Eigenſinn zu ta-
deln, und mit einer alten Schrifft nach ſeinem
Gefallen zu ſchalten und zu walten, verſtehen
und einfuͤhren will.
§. 35.
Einfluß der Hiſtorie in die Gottes-
gelahrheit.
Die Gottesgelahrheit hat mit der hiſto-
riſchen Erkentniß mehr zu ſchaffen, und iſt mit
derſelben genauer verbunden, als man ſich gemei-
niglich einbildet. Jhr Grund iſt die heilige
Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derſelben,
ſo faͤllt es gleich in die Augen, daß eine recht groſſe
Menge derſelben Geſchichte ſind. Gantze Buͤcher
werden deswegen ſchlecht weg darinnen die hiſtori-
ſchen Buͤcher genennet. Die Prophezeyungen
ſowohl altes als neuen Teſtamentes, ſind ohne
Zweifel denen hiſtoriſchen Wahrheiten beyzuzeh-
len. Jm uͤbrigen finden wir durchgaͤngig die
ſchaͤrfſten Geſetze, Ermahnungen, Verheiſſungen
und Drohungen, welche mit der Hiſtorie eine ge-
naue Verbindung haben (§. 28.). Das Ev-
angelium iſt gleich ſeiner Benennung nach, ei-
ne gute Bothſchafft, oder eine erfreuliche
Nachricht. Selbſt die Gebete und Bitten, der-
gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen,
gehoͤren zur hiſtoriſchen Erkentniß (§. cit.). Kan
man alſo wohl zweifeln, daß eine genauere Er-
kentniß von der Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Er-
kentniß uͤberhaupt, eine gute Einleitung zum Ver-
ſtande
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/58>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.