Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

von der histor. Erkentniß überhaupt.
und das Sylbenmaaß nichts Poetisches an sich
haben. Kurtz, die Gedichte gehören nicht allein
zur historischen Erkentniß, sondern halten auch so
gar das allerfeinste von der historischen Erkent-
niß in sich.

§. 34.
Einfluß der Historie in die Critick.

Die Critick wird in so mannigfaltiger Be-
deutung genommen, daß es schwer werden wird,
dem Worte iemahls eine bestimte Bedeutung zu
verschaffen: Man mag sie aber in einem so weit-
läufftigen
Verstande nehmen, als man immer
will, so erstrecket sich doch ihre Herrschafft nicht
weiter, als über historische Dinge. Hingegen
mag man auch eine so enge Bedeutung dieses
Wortes annehmen, als man nur will, so wird
man doch allemahl mit einem Stücke der histori-
schen Erkentniß zu schaffen haben. Man urtheilt
nehmlich über historische und poetische Schrifften,
über Reden, ob sie nach der Sprachkunst unta-
delhafft; ob sie vollständig, ob sie schön geschrie-
ben? ob sie dem vorgeblichen Verfasser zukom-
men, oder untergeschoben sind? ob sie gantz, oder
mit Fehlern in unsere Hände gekommen? und
wie diesen abzuhelffen sey? Alles dieses ist histo-
risch; und eine blosse Anwendung der allgemei-
nen Beschaffenheit historischer Dinge auf eintzelne
Fälle. Daher ist klar, daß die Critick überhaupt,
und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen
Regeln der historischen Erkentniß müsse erkannt,
erkläret und bewiesen werden: woferne man nicht

unter
B 3

von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt.
und das Sylbenmaaß nichts Poetiſches an ſich
haben. Kurtz, die Gedichte gehoͤren nicht allein
zur hiſtoriſchen Erkentniß, ſondern halten auch ſo
gar das allerfeinſte von der hiſtoriſchen Erkent-
niß in ſich.

§. 34.
Einfluß der Hiſtorie in die Critick.

Die Critick wird in ſo mannigfaltiger Be-
deutung genommen, daß es ſchwer werden wird,
dem Worte iemahls eine beſtimte Bedeutung zu
verſchaffen: Man mag ſie aber in einem ſo weit-
laͤufftigen
Verſtande nehmen, als man immer
will, ſo erſtrecket ſich doch ihre Herrſchafft nicht
weiter, als uͤber hiſtoriſche Dinge. Hingegen
mag man auch eine ſo enge Bedeutung dieſes
Wortes annehmen, als man nur will, ſo wird
man doch allemahl mit einem Stuͤcke der hiſtori-
ſchen Erkentniß zu ſchaffen haben. Man urtheilt
nehmlich uͤber hiſtoriſche und poetiſche Schrifften,
uͤber Reden, ob ſie nach der Sprachkunſt unta-
delhafft; ob ſie vollſtaͤndig, ob ſie ſchoͤn geſchrie-
ben? ob ſie dem vorgeblichen Verfaſſer zukom-
men, oder untergeſchoben ſind? ob ſie gantz, oder
mit Fehlern in unſere Haͤnde gekommen? und
wie dieſen abzuhelffen ſey? Alles dieſes iſt hiſto-
riſch; und eine bloſſe Anwendung der allgemei-
nen Beſchaffenheit hiſtoriſcher Dinge auf eintzelne
Faͤlle. Daher iſt klar, daß die Critick uͤberhaupt,
und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen
Regeln der hiſtoriſchen Erkentniß muͤſſe erkannt,
erklaͤret und bewieſen werden: woferne man nicht

unter
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0057" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von der hi&#x017F;tor. Erkentniß u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
und das Sylbenmaaß nichts Poeti&#x017F;ches an &#x017F;ich<lb/>
haben. Kurtz, die Gedichte geho&#x0364;ren nicht allein<lb/>
zur hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkentniß, &#x017F;ondern halten auch &#x017F;o<lb/>
gar das <hi rendition="#fr">allerfein&#x017F;te</hi> von der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkent-<lb/>
niß in &#x017F;ich.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 34.<lb/>
Einfluß der Hi&#x017F;torie in die Critick.</head><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">Critick</hi> wird in &#x017F;o mannigfaltiger Be-<lb/>
deutung genommen, daß es &#x017F;chwer werden wird,<lb/>
dem Worte iemahls eine be&#x017F;timte Bedeutung zu<lb/>
ver&#x017F;chaffen: Man mag &#x017F;ie aber in einem &#x017F;o <hi rendition="#fr">weit-<lb/>
la&#x0364;ufftigen</hi> Ver&#x017F;tande nehmen, als man immer<lb/>
will, &#x017F;o er&#x017F;trecket &#x017F;ich doch ihre Herr&#x017F;chafft nicht<lb/>
weiter, als u&#x0364;ber hi&#x017F;tori&#x017F;che Dinge. Hingegen<lb/>
mag man auch eine &#x017F;o <hi rendition="#fr">enge</hi> Bedeutung die&#x017F;es<lb/>
Wortes annehmen, als man nur will, &#x017F;o wird<lb/>
man doch allemahl mit einem Stu&#x0364;cke der hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;chen Erkentniß zu &#x017F;chaffen haben. Man urtheilt<lb/>
nehmlich u&#x0364;ber hi&#x017F;tori&#x017F;che und poeti&#x017F;che Schrifften,<lb/>
u&#x0364;ber Reden, ob &#x017F;ie nach der Sprachkun&#x017F;t unta-<lb/>
delhafft; ob &#x017F;ie voll&#x017F;ta&#x0364;ndig, ob &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;n ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben? ob &#x017F;ie dem vorgeblichen Verfa&#x017F;&#x017F;er zukom-<lb/>
men, oder unterge&#x017F;choben &#x017F;ind? ob &#x017F;ie gantz, oder<lb/>
mit Fehlern in un&#x017F;ere Ha&#x0364;nde gekommen? und<lb/>
wie die&#x017F;en abzuhelffen &#x017F;ey? Alles die&#x017F;es i&#x017F;t hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;ch; und eine blo&#x017F;&#x017F;e Anwendung der allgemei-<lb/>
nen Be&#x017F;chaffenheit hi&#x017F;tori&#x017F;cher Dinge auf eintzelne<lb/>
Fa&#x0364;lle. Daher i&#x017F;t klar, daß die Critick u&#x0364;berhaupt,<lb/>
und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen<lb/>
Regeln der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkentniß mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e erkannt,<lb/>
erkla&#x0364;ret und bewie&#x017F;en werden: woferne man nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">unter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0057] von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. und das Sylbenmaaß nichts Poetiſches an ſich haben. Kurtz, die Gedichte gehoͤren nicht allein zur hiſtoriſchen Erkentniß, ſondern halten auch ſo gar das allerfeinſte von der hiſtoriſchen Erkent- niß in ſich. §. 34. Einfluß der Hiſtorie in die Critick. Die Critick wird in ſo mannigfaltiger Be- deutung genommen, daß es ſchwer werden wird, dem Worte iemahls eine beſtimte Bedeutung zu verſchaffen: Man mag ſie aber in einem ſo weit- laͤufftigen Verſtande nehmen, als man immer will, ſo erſtrecket ſich doch ihre Herrſchafft nicht weiter, als uͤber hiſtoriſche Dinge. Hingegen mag man auch eine ſo enge Bedeutung dieſes Wortes annehmen, als man nur will, ſo wird man doch allemahl mit einem Stuͤcke der hiſtori- ſchen Erkentniß zu ſchaffen haben. Man urtheilt nehmlich uͤber hiſtoriſche und poetiſche Schrifften, uͤber Reden, ob ſie nach der Sprachkunſt unta- delhafft; ob ſie vollſtaͤndig, ob ſie ſchoͤn geſchrie- ben? ob ſie dem vorgeblichen Verfaſſer zukom- men, oder untergeſchoben ſind? ob ſie gantz, oder mit Fehlern in unſere Haͤnde gekommen? und wie dieſen abzuhelffen ſey? Alles dieſes iſt hiſto- riſch; und eine bloſſe Anwendung der allgemei- nen Beſchaffenheit hiſtoriſcher Dinge auf eintzelne Faͤlle. Daher iſt klar, daß die Critick uͤberhaupt, und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen Regeln der hiſtoriſchen Erkentniß muͤſſe erkannt, erklaͤret und bewieſen werden: woferne man nicht unter B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/57
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/57>, abgerufen am 27.11.2024.