Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

von zukünfftigen Dingen.
ren Handlungen sich zu richten pflegen; oder sie
haben in den vorhandenen und gegenwärtigen
Dingen gewisse Umstände entdeckt, die andere nicht
wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man
zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat,
als zu einem Anfänger, selbst in Ansehung der
Einsicht in die Kranckheit, da doch alle bekannte
Arten der Kranckheiten aus Büchern können er-
lernt werden? als daher, weil man versichert ist,
daß die erfahrne Art, doch mehr allgemeine
Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet
haben, als ein noch unversuchter Artzt wissen kan:
Und daß er vermöge eben dieser seiner Erfahrung,
auch die geringsten Umstände bemercken werde.
So ist es schlimm vor Gelehrte zu peroriren, und
ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil sie,
als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit
dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie
muthmassen zu viel. Geschäffte aber, wie sie
durch die Seclen der Menschen getrieben werde,
haben so gut ihren Lauf, als die Gedenckart eines
Redners. Wer also lange Zeit in Geschäfften
gesteckt und vielmals gesehen hat, wie Geschäffte
sind angefangen, abgewiesen, gehindert, befördert,
durchgesetzt worden, dabey die Personen kennt, die
mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von
dem Fortgange des Geschäffts vieles voraus sagen.

§. 16.
Besondere Art der Scharfsichtigkeit beym
Muthmassen.

Jndem man aber im Muthmassen glücklich
seyn will; und dieserhalb auf die gegenwärtige

Beschaf-
B b 5

von zukuͤnfftigen Dingen.
ren Handlungen ſich zu richten pflegen; oder ſie
haben in den vorhandenen und gegenwaͤrtigen
Dingen gewiſſe Umſtaͤnde entdeckt, die andere nicht
wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man
zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat,
als zu einem Anfaͤnger, ſelbſt in Anſehung der
Einſicht in die Kranckheit, da doch alle bekannte
Arten der Kranckheiten aus Buͤchern koͤnnen er-
lernt werden? als daher, weil man verſichert iſt,
daß die erfahrne Art, doch mehr allgemeine
Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet
haben, als ein noch unverſuchter Artzt wiſſen kan:
Und daß er vermoͤge eben dieſer ſeiner Erfahrung,
auch die geringſten Umſtaͤnde bemercken werde.
So iſt es ſchlimm vor Gelehrte zu peroriren, und
ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil ſie,
als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit
dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie
muthmaſſen zu viel. Geſchaͤffte aber, wie ſie
durch die Seclen der Menſchen getrieben werde,
haben ſo gut ihren Lauf, als die Gedenckart eines
Redners. Wer alſo lange Zeit in Geſchaͤfften
geſteckt und vielmals geſehen hat, wie Geſchaͤffte
ſind angefangen, abgewieſen, gehindert, befoͤrdert,
durchgeſetzt worden, dabey die Perſonen kennt, die
mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von
dem Fortgange des Geſchaͤffts vieles voraus ſagen.

§. 16.
Beſondere Art der Scharfſichtigkeit beym
Muthmaſſen.

Jndem man aber im Muthmaſſen gluͤcklich
ſeyn will; und dieſerhalb auf die gegenwaͤrtige

Beſchaf-
B b 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0429" n="393"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von zuku&#x0364;nfftigen Dingen.</hi></fw><lb/>
ren Handlungen &#x017F;ich zu richten pflegen; oder &#x017F;ie<lb/>
haben in den vorhandenen und gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
Dingen gewi&#x017F;&#x017F;e Um&#x017F;ta&#x0364;nde entdeckt, die andere nicht<lb/>
wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man<lb/>
zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat,<lb/>
als zu einem Anfa&#x0364;nger, &#x017F;elb&#x017F;t in An&#x017F;ehung der<lb/><hi rendition="#fr">Ein&#x017F;icht</hi> in die Kranckheit, da doch alle bekannte<lb/>
Arten der Kranckheiten aus Bu&#x0364;chern ko&#x0364;nnen er-<lb/>
lernt werden? als daher, weil man ver&#x017F;ichert i&#x017F;t,<lb/>
daß die erfahrne Art, doch mehr <hi rendition="#fr">allgemeine</hi><lb/>
Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet<lb/>
haben, als ein noch unver&#x017F;uchter Artzt wi&#x017F;&#x017F;en kan:<lb/>
Und daß er vermo&#x0364;ge eben die&#x017F;er &#x017F;einer Erfahrung,<lb/>
auch die gering&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde bemercken werde.<lb/>
So i&#x017F;t es &#x017F;chlimm vor Gelehrte zu peroriren, und<lb/>
ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil &#x017F;ie,<lb/>
als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit<lb/>
dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie<lb/><hi rendition="#fr">muthma&#x017F;&#x017F;en</hi> zu viel. <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte</hi> aber, wie &#x017F;ie<lb/>
durch die Seclen der Men&#x017F;chen getrieben werde,<lb/>
haben &#x017F;o gut ihren <hi rendition="#fr">Lauf,</hi> als die Gedenckart eines<lb/>
Redners. Wer al&#x017F;o lange Zeit in Ge&#x017F;cha&#x0364;fften<lb/>
ge&#x017F;teckt und vielmals ge&#x017F;ehen hat, wie Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte<lb/>
&#x017F;ind angefangen, abgewie&#x017F;en, gehindert, befo&#x0364;rdert,<lb/>
durchge&#x017F;etzt worden, dabey die Per&#x017F;onen kennt, die<lb/>
mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von<lb/>
dem Fortgange des Ge&#x017F;cha&#x0364;ffts vieles voraus &#x017F;agen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 16.<lb/>
Be&#x017F;ondere Art der Scharf&#x017F;ichtigkeit beym<lb/>
Muthma&#x017F;&#x017F;en.</head><lb/>
          <p>Jndem man aber im Muthma&#x017F;&#x017F;en glu&#x0364;cklich<lb/>
&#x017F;eyn will; und die&#x017F;erhalb auf die gegenwa&#x0364;rtige<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Be&#x017F;chaf-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0429] von zukuͤnfftigen Dingen. ren Handlungen ſich zu richten pflegen; oder ſie haben in den vorhandenen und gegenwaͤrtigen Dingen gewiſſe Umſtaͤnde entdeckt, die andere nicht wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat, als zu einem Anfaͤnger, ſelbſt in Anſehung der Einſicht in die Kranckheit, da doch alle bekannte Arten der Kranckheiten aus Buͤchern koͤnnen er- lernt werden? als daher, weil man verſichert iſt, daß die erfahrne Art, doch mehr allgemeine Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet haben, als ein noch unverſuchter Artzt wiſſen kan: Und daß er vermoͤge eben dieſer ſeiner Erfahrung, auch die geringſten Umſtaͤnde bemercken werde. So iſt es ſchlimm vor Gelehrte zu peroriren, und ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil ſie, als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie muthmaſſen zu viel. Geſchaͤffte aber, wie ſie durch die Seclen der Menſchen getrieben werde, haben ſo gut ihren Lauf, als die Gedenckart eines Redners. Wer alſo lange Zeit in Geſchaͤfften geſteckt und vielmals geſehen hat, wie Geſchaͤffte ſind angefangen, abgewieſen, gehindert, befoͤrdert, durchgeſetzt worden, dabey die Perſonen kennt, die mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von dem Fortgange des Geſchaͤffts vieles voraus ſagen. §. 16. Beſondere Art der Scharfſichtigkeit beym Muthmaſſen. Jndem man aber im Muthmaſſen gluͤcklich ſeyn will; und dieſerhalb auf die gegenwaͤrtige Beſchaf- B b 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/429
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/429>, abgerufen am 13.11.2024.