Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

von alten u. ausländisch. Geschichten.
bey den sehr alten Geschichten, am ersten der Um-
stand äussern, daß die Nachrichten der Unwahr-
scheinlichkeit
unterworffen sind. Denn in den
Sitten und Verfassungen gehen mit der Zeit
grosse Veränderungen vor: und Völcker, die am
weitesten von einander entfernet sind, sind auch in
Ansehung der Sitten und Verfassungen am meisten
von einander unterschieden. Nun lässet sich zwar
aus der Unwahrscheinlichkeit, die Unrichtigkeit der
Sache selbst nicht sicher schlüssen; (§. 25. C. 10.)
aber es entstehet doch daraus eine Schwierigkeit,
die Sache zu glauben. Vor den Geschicht-
schreiber aber entstehet daraus die Pflicht, daß wenn
er mit seiner Erzehlung und Beschreibung Beyfall
finden will, er entweder das, was darunter am al-
lerunwahrscheinlichsten ist, gar auslassen muß;
oder er muß wissen, die Sache begreifflich zu
machen: woran es so wohl noch grossen Theils den
alten Geschichten der Römer und Griechen, als
auch vielen Nachrichten aus sehr entfernten Landen,
besonders von China, fehlet.



Zwölfftes Capitel,
Von zukünfftigen Dingen.
§. 1.
Zukünfftige Dinge gehören auch zur histo-
rischen Erkentniß.

Die Geschichte und Historien werden
zwar gemeiniglich nur vor geschehene und
vergangene Dinge gebraucht; und zwar
darum, weil diese den grösten Theil unserer histori-

schen

von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.
bey den ſehr alten Geſchichten, am erſten der Um-
ſtand aͤuſſern, daß die Nachrichten der Unwahr-
ſcheinlichkeit
unterworffen ſind. Denn in den
Sitten und Verfaſſungen gehen mit der Zeit
groſſe Veraͤnderungen vor: und Voͤlcker, die am
weiteſten von einander entfernet ſind, ſind auch in
Anſehung der Sitten und Verfaſſungen am meiſten
von einander unterſchieden. Nun laͤſſet ſich zwar
aus der Unwahrſcheinlichkeit, die Unrichtigkeit der
Sache ſelbſt nicht ſicher ſchluͤſſen; (§. 25. C. 10.)
aber es entſtehet doch daraus eine Schwierigkeit,
die Sache zu glauben. Vor den Geſchicht-
ſchreiber aber entſtehet daraus die Pflicht, daß wenn
er mit ſeiner Erzehlung und Beſchreibung Beyfall
finden will, er entweder das, was darunter am al-
lerunwahrſcheinlichſten iſt, gar auslaſſen muß;
oder er muß wiſſen, die Sache begreifflich zu
machen: woran es ſo wohl noch groſſen Theils den
alten Geſchichten der Roͤmer und Griechen, als
auch vielen Nachrichten aus ſehr entfernten Landen,
beſonders von China, fehlet.



Zwoͤlfftes Capitel,
Von zukuͤnfftigen Dingen.
§. 1.
Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren auch zur hiſto-
riſchen Erkentniß.

Die Geſchichte und Hiſtorien werden
zwar gemeiniglich nur vor geſchehene und
vergangene Dinge gebraucht; und zwar
darum, weil dieſe den groͤſten Theil unſerer hiſtori-

ſchen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0417" n="381"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von alten u. ausla&#x0364;ndi&#x017F;ch. Ge&#x017F;chichten.</hi></fw><lb/>
bey den &#x017F;ehr alten Ge&#x017F;chichten, am er&#x017F;ten der Um-<lb/>
&#x017F;tand a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern, daß die Nachrichten der <hi rendition="#fr">Unwahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit</hi> unterworffen &#x017F;ind. Denn in den<lb/><hi rendition="#fr">Sitten</hi> und <hi rendition="#fr">Verfa&#x017F;&#x017F;ungen</hi> gehen mit der Zeit<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Vera&#x0364;nderungen vor: und Vo&#x0364;lcker, die am<lb/>
weite&#x017F;ten von einander entfernet &#x017F;ind, &#x017F;ind auch in<lb/>
An&#x017F;ehung der Sitten und Verfa&#x017F;&#x017F;ungen am mei&#x017F;ten<lb/>
von einander unter&#x017F;chieden. Nun la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich zwar<lb/>
aus der Unwahr&#x017F;cheinlichkeit, die Unrichtigkeit der<lb/>
Sache &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;icher &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; (§. 25. C. 10.)<lb/>
aber es ent&#x017F;tehet doch daraus eine Schwierigkeit,<lb/>
die Sache zu glauben. Vor den Ge&#x017F;chicht-<lb/>
&#x017F;chreiber aber ent&#x017F;tehet daraus die Pflicht, daß wenn<lb/>
er mit &#x017F;einer Erzehlung und Be&#x017F;chreibung Beyfall<lb/>
finden will, er entweder das, was darunter am al-<lb/>
lerunwahr&#x017F;cheinlich&#x017F;ten i&#x017F;t, gar <hi rendition="#fr">ausla&#x017F;&#x017F;en</hi> muß;<lb/>
oder er muß wi&#x017F;&#x017F;en, die Sache <hi rendition="#fr">begreifflich</hi> zu<lb/>
machen: woran es &#x017F;o wohl noch gro&#x017F;&#x017F;en Theils den<lb/>
alten Ge&#x017F;chichten der Ro&#x0364;mer und Griechen, als<lb/>
auch vielen Nachrichten aus &#x017F;ehr entfernten Landen,<lb/>
be&#x017F;onders von China, fehlet.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Zwo&#x0364;lfftes Capitel,<lb/>
Von zuku&#x0364;nfftigen Dingen.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 1.<lb/>
Zuku&#x0364;nfftige Dinge geho&#x0364;ren auch zur hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;chen Erkentniß.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte</hi> und <hi rendition="#fr">Hi&#x017F;torien</hi> werden<lb/>
zwar gemeiniglich nur vor ge&#x017F;chehene und<lb/><hi rendition="#fr">vergangene</hi> Dinge gebraucht; und zwar<lb/>
darum, weil die&#x017F;e den gro&#x0364;&#x017F;ten Theil un&#x017F;erer hi&#x017F;tori-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0417] von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. bey den ſehr alten Geſchichten, am erſten der Um- ſtand aͤuſſern, daß die Nachrichten der Unwahr- ſcheinlichkeit unterworffen ſind. Denn in den Sitten und Verfaſſungen gehen mit der Zeit groſſe Veraͤnderungen vor: und Voͤlcker, die am weiteſten von einander entfernet ſind, ſind auch in Anſehung der Sitten und Verfaſſungen am meiſten von einander unterſchieden. Nun laͤſſet ſich zwar aus der Unwahrſcheinlichkeit, die Unrichtigkeit der Sache ſelbſt nicht ſicher ſchluͤſſen; (§. 25. C. 10.) aber es entſtehet doch daraus eine Schwierigkeit, die Sache zu glauben. Vor den Geſchicht- ſchreiber aber entſtehet daraus die Pflicht, daß wenn er mit ſeiner Erzehlung und Beſchreibung Beyfall finden will, er entweder das, was darunter am al- lerunwahrſcheinlichſten iſt, gar auslaſſen muß; oder er muß wiſſen, die Sache begreifflich zu machen: woran es ſo wohl noch groſſen Theils den alten Geſchichten der Roͤmer und Griechen, als auch vielen Nachrichten aus ſehr entfernten Landen, beſonders von China, fehlet. Zwoͤlfftes Capitel, Von zukuͤnfftigen Dingen. §. 1. Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren auch zur hiſto- riſchen Erkentniß. Die Geſchichte und Hiſtorien werden zwar gemeiniglich nur vor geſchehene und vergangene Dinge gebraucht; und zwar darum, weil dieſe den groͤſten Theil unſerer hiſtori- ſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/417
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/417>, abgerufen am 13.11.2024.