Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu sind began- gen worden. Aber vor einen Geschichtschreiber, der an der Ehre seines Heldens Theil nimmt, wie solches auch die Liebe des Nächsten erfordert; wenn er anders irgend etwas vor sich siehet, das eine Blame abwenden kan; so wird seine gantze Auf- mercksamkeit darüber rege. Wiewohl gedachter Abt auch also hätte dencken können; was der Vice- Cantzler des Ordens, demselben vor keine Schande gehalten, das darff ein Geschichtschreiber demsel- ben auch wohl zuschreiben, ohne ihm, wegen der Ehre seiner Helden bange seyn zu lassen.
§. 16. Schwehre Arbeit, mit wahrscheinlichen Geschich- ten umzugehen.
Man merckt schon hieraus, in was für eine Weit- läufftigkeit man geräth, wenn man sich wegen der Wahrscheinlichkeit eines einigen Facti und Bege- benheit, wobey nur ein Ja und ein Nein mög- lich ist, mit andern Menschen vereinständigen will, auch daß es nöthig sey, ihnen schon vieles von seinem Hertzenszustand zu entdecken. Aber wie wird es vollends werden, wenn man auf andere histori- sche Stücke siehet, in welchen vornehmlich die Wahrscheinlichkeit herrschet, und die, ihrer Natur nach, nicht eine einige Begebenheit, son- dern eine grosse Menge, ja, nach Gelegenheit un- zehlige in sich fassen. Da ist es um so viel schweh- rer, Menschen mit einander zu vereinigen, weil bisher wenigstens noch gar nicht Regeln vorhanden gewesen sind, wie man nun im geringsten von sol-
chen
Zehendes Capitel,
Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu ſind began- gen worden. Aber vor einen Geſchichtſchreiber, der an der Ehre ſeines Heldens Theil nimmt, wie ſolches auch die Liebe des Naͤchſten erfordert; wenn er anders irgend etwas vor ſich ſiehet, das eine Blame abwenden kan; ſo wird ſeine gantze Auf- merckſamkeit daruͤber rege. Wiewohl gedachter Abt auch alſo haͤtte dencken koͤnnen; was der Vice- Cantzler des Ordens, demſelben vor keine Schande gehalten, das darff ein Geſchichtſchreiber demſel- ben auch wohl zuſchreiben, ohne ihm, wegen der Ehre ſeiner Helden bange ſeyn zu laſſen.
§. 16. Schwehre Arbeit, mit wahrſcheinlichen Geſchich- ten umzugehen.
Man merckt ſchon hieraus, in was fuͤr eine Weit- laͤufftigkeit man geraͤth, wenn man ſich wegen der Wahrſcheinlichkeit eines einigen Facti und Bege- benheit, wobey nur ein Ja und ein Nein moͤg- lich iſt, mit andern Menſchen vereinſtaͤndigen will, auch daß es noͤthig ſey, ihnen ſchon vieles von ſeinem Hertzenszuſtand zu entdecken. Aber wie wird es vollends werden, wenn man auf andere hiſtori- ſche Stuͤcke ſiehet, in welchen vornehmlich die Wahrſcheinlichkeit herrſchet, und die, ihrer Natur nach, nicht eine einige Begebenheit, ſon- dern eine groſſe Menge, ja, nach Gelegenheit un- zehlige in ſich faſſen. Da iſt es um ſo viel ſchweh- rer, Menſchen mit einander zu vereinigen, weil bisher wenigſtens noch gar nicht Regeln vorhanden geweſen ſind, wie man nun im geringſten von ſol-
chen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0374"n="338"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Zehendes Capitel,</hi></fw><lb/>
Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu ſind began-<lb/>
gen worden. Aber vor einen Geſchichtſchreiber,<lb/>
der an der Ehre ſeines Heldens Theil nimmt, wie<lb/>ſolches auch die Liebe des Naͤchſten erfordert; wenn<lb/>
er anders irgend etwas vor ſich ſiehet, das eine<lb/>
Blame abwenden kan; ſo wird ſeine gantze Auf-<lb/>
merckſamkeit daruͤber rege. Wiewohl gedachter<lb/>
Abt auch alſo haͤtte dencken koͤnnen; was der Vice-<lb/>
Cantzler des Ordens, demſelben vor keine Schande<lb/>
gehalten, das darff ein Geſchichtſchreiber demſel-<lb/>
ben auch wohl zuſchreiben, ohne ihm, wegen der<lb/>
Ehre ſeiner Helden bange ſeyn zu laſſen.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 16.<lb/>
Schwehre Arbeit, mit wahrſcheinlichen Geſchich-<lb/>
ten umzugehen.</head><lb/><p>Man merckt ſchon hieraus, in was fuͤr eine Weit-<lb/>
laͤufftigkeit man geraͤth, wenn man ſich wegen der<lb/>
Wahrſcheinlichkeit eines einigen <hirendition="#aq">Facti</hi> und <hirendition="#fr">Bege-<lb/>
benheit</hi>, wobey nur <hirendition="#fr">ein Ja</hi> und <hirendition="#fr">ein Nein</hi> moͤg-<lb/>
lich iſt, mit andern Menſchen vereinſtaͤndigen will,<lb/>
auch daß es noͤthig ſey, ihnen ſchon vieles von ſeinem<lb/>
Hertzenszuſtand zu entdecken. Aber wie wird es<lb/>
vollends werden, wenn man auf andere <hirendition="#fr">hiſtori-<lb/>ſche</hi> Stuͤcke ſiehet, in welchen vornehmlich<lb/>
die Wahrſcheinlichkeit herrſchet, und die, ihrer<lb/>
Natur nach, nicht <hirendition="#fr">eine einige</hi> Begebenheit, ſon-<lb/>
dern eine groſſe Menge, ja, nach Gelegenheit un-<lb/>
zehlige in ſich faſſen. Da iſt es um ſo viel ſchweh-<lb/>
rer, Menſchen mit einander zu vereinigen, weil<lb/>
bisher wenigſtens noch gar nicht Regeln vorhanden<lb/>
geweſen ſind, wie man nun im geringſten von ſol-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">chen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[338/0374]
Zehendes Capitel,
Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu ſind began-
gen worden. Aber vor einen Geſchichtſchreiber,
der an der Ehre ſeines Heldens Theil nimmt, wie
ſolches auch die Liebe des Naͤchſten erfordert; wenn
er anders irgend etwas vor ſich ſiehet, das eine
Blame abwenden kan; ſo wird ſeine gantze Auf-
merckſamkeit daruͤber rege. Wiewohl gedachter
Abt auch alſo haͤtte dencken koͤnnen; was der Vice-
Cantzler des Ordens, demſelben vor keine Schande
gehalten, das darff ein Geſchichtſchreiber demſel-
ben auch wohl zuſchreiben, ohne ihm, wegen der
Ehre ſeiner Helden bange ſeyn zu laſſen.
§. 16.
Schwehre Arbeit, mit wahrſcheinlichen Geſchich-
ten umzugehen.
Man merckt ſchon hieraus, in was fuͤr eine Weit-
laͤufftigkeit man geraͤth, wenn man ſich wegen der
Wahrſcheinlichkeit eines einigen Facti und Bege-
benheit, wobey nur ein Ja und ein Nein moͤg-
lich iſt, mit andern Menſchen vereinſtaͤndigen will,
auch daß es noͤthig ſey, ihnen ſchon vieles von ſeinem
Hertzenszuſtand zu entdecken. Aber wie wird es
vollends werden, wenn man auf andere hiſtori-
ſche Stuͤcke ſiehet, in welchen vornehmlich
die Wahrſcheinlichkeit herrſchet, und die, ihrer
Natur nach, nicht eine einige Begebenheit, ſon-
dern eine groſſe Menge, ja, nach Gelegenheit un-
zehlige in ſich faſſen. Da iſt es um ſo viel ſchweh-
rer, Menſchen mit einander zu vereinigen, weil
bisher wenigſtens noch gar nicht Regeln vorhanden
geweſen ſind, wie man nun im geringſten von ſol-
chen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/374>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.