gewesen, oder 2) die vorhandene Aussage weg- geschafft worden. (§. 8.) Wenn man alle diese Regeln bey alten und neuen Geschichten beobachtet, so wird man finden, daß eine ungemeine Menge von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he- ben wollen ist eine Unmöglichkeit: denn wie die Menschen unvermeidlicher Weise unendlich vieles nicht wissen; also ist auch nothwendig, daß sie vie- les nur mit zweiffeln wissen. Denn das Mittel zwischen wissen und nicht wissen ist zweiffeln.
§. 11. Von der historischen Wahrscheinlichkeit.
Wahrscheinlichkeit ist eine Art des Zweif- fels, welche schwehr zu bestimmen ist. Sie äus- sert sich aber so in der Seele. Bey manchem Zweif- fel ist uns das Bejahen so sehr am Hertzen gelegen, als das Verneinen, und wir trauen uns nicht vor die Wahrheit eines oder des andern zu stehen. Manchmahl aber sind wir auf die Wahrheit einer Sache ziemlich versichert, nur ist etwas, daß auch die Vorstellung des Gegentheils immer bey uns re- ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit mehrerer Klarheit geschiehet, als in der andern. Dieser Zustand der Seele ist unläugbar, daß er bey vielen Dingen in unserer Seele vorhanden sey. Da nun dieselbe Wahrscheinlichkeit heisset, so ist die Wahrscheinlichkeit so gut, als das op- positum, nehmlich der völlige Zweiffel, und das Genus davon, welches Zweiffel schlecht weg heis- set, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich aber erkläret man wahrscheinlich durch ein Ur-
theil,
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
geweſen, oder 2) die vorhandene Ausſage weg- geſchafft worden. (§. 8.) Wenn man alle dieſe Regeln bey alten und neuen Geſchichten beobachtet, ſo wird man finden, daß eine ungemeine Menge von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he- ben wollen iſt eine Unmoͤglichkeit: denn wie die Menſchen unvermeidlicher Weiſe unendlich vieles nicht wiſſen; alſo iſt auch nothwendig, daß ſie vie- les nur mit zweiffeln wiſſen. Denn das Mittel zwiſchen wiſſen und nicht wiſſen iſt zweiffeln.
§. 11. Von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
Wahrſcheinlichkeit iſt eine Art des Zweif- fels, welche ſchwehr zu beſtimmen iſt. Sie aͤuſ- ſert ſich aber ſo in der Seele. Bey manchem Zweif- fel iſt uns das Bejahen ſo ſehr am Hertzen gelegen, als das Verneinen, und wir trauen uns nicht vor die Wahrheit eines oder des andern zu ſtehen. Manchmahl aber ſind wir auf die Wahrheit einer Sache ziemlich verſichert, nur iſt etwas, daß auch die Vorſtellung des Gegentheils immer bey uns re- ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit mehrerer Klarheit geſchiehet, als in der andern. Dieſer Zuſtand der Seele iſt unlaͤugbar, daß er bey vielen Dingen in unſerer Seele vorhanden ſey. Da nun dieſelbe Wahrſcheinlichkeit heiſſet, ſo iſt die Wahrſcheinlichkeit ſo gut, als das op- poſitum, nehmlich der voͤllige Zweiffel, und das Genus davon, welches Zweiffel ſchlecht weg heiſ- ſet, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich aber erklaͤret man wahrſcheinlich durch ein Ur-
theil,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbn="331"facs="#f0367"/><fwtype="header"place="top"><hirendition="#b">v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.</hi></fw><lb/>
geweſen, oder 2) die vorhandene Ausſage weg-<lb/>
geſchafft worden. (§. 8.) Wenn man alle dieſe<lb/>
Regeln bey alten und neuen Geſchichten beobachtet,<lb/>ſo wird man finden, daß eine ungemeine Menge<lb/>
von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he-<lb/>
ben wollen iſt eine Unmoͤglichkeit: denn wie die<lb/>
Menſchen unvermeidlicher Weiſe unendlich vieles<lb/>
nicht wiſſen; alſo iſt auch nothwendig, daß ſie vie-<lb/>
les nur mit zweiffeln wiſſen. Denn das Mittel<lb/>
zwiſchen wiſſen und nicht wiſſen iſt <hirendition="#fr">zweiffeln.</hi></p></div><lb/><divn="2"><head>§. 11.<lb/>
Von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Wahrſcheinlichkeit</hi> iſt eine Art des Zweif-<lb/>
fels, welche ſchwehr zu beſtimmen iſt. Sie aͤuſ-<lb/>ſert ſich aber ſo in der Seele. Bey manchem Zweif-<lb/>
fel iſt uns das <hirendition="#fr">Bejahen</hi>ſo ſehr am Hertzen gelegen,<lb/>
als das <hirendition="#fr">Verneinen,</hi> und wir trauen uns nicht vor<lb/>
die Wahrheit eines oder des andern zu ſtehen.<lb/>
Manchmahl aber ſind wir auf die Wahrheit einer<lb/>
Sache ziemlich verſichert, nur iſt etwas, daß auch<lb/>
die Vorſtellung des Gegentheils immer bey uns re-<lb/>
ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit<lb/>
mehrerer Klarheit geſchiehet, als in der andern.<lb/>
Dieſer Zuſtand der Seele iſt unlaͤugbar, daß er<lb/>
bey vielen Dingen in unſerer Seele vorhanden ſey.<lb/>
Da nun dieſelbe <hirendition="#fr">Wahrſcheinlichkeit</hi> heiſſet, ſo<lb/>
iſt die <hirendition="#fr">Wahrſcheinlichkeit</hi>ſo gut, als das <hirendition="#aq">op-<lb/>
poſitum,</hi> nehmlich der <hirendition="#fr">voͤllige</hi> Zweiffel, und das<lb/><hirendition="#aq">Genus</hi> davon, welches <hirendition="#fr">Zweiffel</hi>ſchlecht weg heiſ-<lb/>ſet, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich<lb/>
aber erklaͤret man <hirendition="#fr">wahrſcheinlich</hi> durch ein Ur-<lb/><fwtype="catch"place="bottom">theil,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[331/0367]
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
geweſen, oder 2) die vorhandene Ausſage weg-
geſchafft worden. (§. 8.) Wenn man alle dieſe
Regeln bey alten und neuen Geſchichten beobachtet,
ſo wird man finden, daß eine ungemeine Menge
von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he-
ben wollen iſt eine Unmoͤglichkeit: denn wie die
Menſchen unvermeidlicher Weiſe unendlich vieles
nicht wiſſen; alſo iſt auch nothwendig, daß ſie vie-
les nur mit zweiffeln wiſſen. Denn das Mittel
zwiſchen wiſſen und nicht wiſſen iſt zweiffeln.
§. 11.
Von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
Wahrſcheinlichkeit iſt eine Art des Zweif-
fels, welche ſchwehr zu beſtimmen iſt. Sie aͤuſ-
ſert ſich aber ſo in der Seele. Bey manchem Zweif-
fel iſt uns das Bejahen ſo ſehr am Hertzen gelegen,
als das Verneinen, und wir trauen uns nicht vor
die Wahrheit eines oder des andern zu ſtehen.
Manchmahl aber ſind wir auf die Wahrheit einer
Sache ziemlich verſichert, nur iſt etwas, daß auch
die Vorſtellung des Gegentheils immer bey uns re-
ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit
mehrerer Klarheit geſchiehet, als in der andern.
Dieſer Zuſtand der Seele iſt unlaͤugbar, daß er
bey vielen Dingen in unſerer Seele vorhanden ſey.
Da nun dieſelbe Wahrſcheinlichkeit heiſſet, ſo
iſt die Wahrſcheinlichkeit ſo gut, als das op-
poſitum, nehmlich der voͤllige Zweiffel, und das
Genus davon, welches Zweiffel ſchlecht weg heiſ-
ſet, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich
aber erklaͤret man wahrſcheinlich durch ein Ur-
theil,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/367>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.