durchfahren sehen, und macht daraus nicht ohne Grund den locum communem: man könne bey so hohem Wasser durchfahren. Die andern aber, welche gedencken, daß dem vorhandenen Reisenden der locus communis nichts hilfft; sondern die Nachricht, ob er mit seinem Wagen und Gespann durchkommen kan, antworten ihm aus diesem Se- hepuncte mit Nein! weil sie wahrnehmen, daß mit einem so kleinen und niedrigen Wagen nicht durchzufahren ist: Tausenderley Widersprüche im Erzehlen und Aussagen entstehen in der Welt dar- aus, daß einer die Sache anders ansiehet, als der andere. Darauf ist also 4. zu sehen, wenn man durch widersprechende Aussagen und Nach- richten in seinem Sinne irre gemacht wird: daß man nehmlich erforschet, ob auch beyde Aussager die Sache auf einerley Seite und auf einerley Weise ansehen?
§. 7. Fünffter Versuch bey widersprechenden Aussagen.
Wenn aber alle diese Mittel die wider einander lauffenden Aussagen mit einander zu vereinigen wegfallen, und sie also würcklich einander wider- sprechen, so muß des einen seine Aussage die Un- wahrheit seyn. Die Frage ist nun, wie weiter zu erforschen, auf welcher Seite die Unwahrheit ge- sagt worden sey. Weil wir nun annehmen, daß beyde Aussager Zuschauer gewesen, (§. 4.) und daß sie die Sache nicht bloß auf verschiedene und nur dem Scheine nach widersprechende Art erzehlet, (§. 5.) noch aus einem verschiedenen Sehepun-
cte
Zehendes Capitel,
durchfahren ſehen, und macht daraus nicht ohne Grund den locum communem: man koͤnne bey ſo hohem Waſſer durchfahren. Die andern aber, welche gedencken, daß dem vorhandenen Reiſenden der locus communis nichts hilfft; ſondern die Nachricht, ob er mit ſeinem Wagen und Geſpann durchkommen kan, antworten ihm aus dieſem Se- hepuncte mit Nein! weil ſie wahrnehmen, daß mit einem ſo kleinen und niedrigen Wagen nicht durchzufahren iſt: Tauſenderley Widerſpruͤche im Erzehlen und Ausſagen entſtehen in der Welt dar- aus, daß einer die Sache anders anſiehet, als der andere. Darauf iſt alſo 4. zu ſehen, wenn man durch widerſprechende Ausſagen und Nach- richten in ſeinem Sinne irre gemacht wird: daß man nehmlich erforſchet, ob auch beyde Ausſager die Sache auf einerley Seite und auf einerley Weiſe anſehen?
§. 7. Fuͤnffter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.
Wenn aber alle dieſe Mittel die wider einander lauffenden Ausſagen mit einander zu vereinigen wegfallen, und ſie alſo wuͤrcklich einander wider- ſprechen, ſo muß des einen ſeine Ausſage die Un- wahrheit ſeyn. Die Frage iſt nun, wie weiter zu erforſchen, auf welcher Seite die Unwahrheit ge- ſagt worden ſey. Weil wir nun annehmen, daß beyde Ausſager Zuſchauer geweſen, (§. 4.) und daß ſie die Sache nicht bloß auf verſchiedene und nur dem Scheine nach widerſprechende Art erzehlet, (§. 5.) noch aus einem verſchiedenen Sehepun-
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Zehendes Capitel,
durchfahren ſehen, und macht daraus nicht ohne
Grund den locum communem: man koͤnne bey ſo
hohem Waſſer durchfahren. Die andern aber,
welche gedencken, daß dem vorhandenen Reiſenden
der locus communis nichts hilfft; ſondern die
Nachricht, ob er mit ſeinem Wagen und Geſpann
durchkommen kan, antworten ihm aus dieſem Se-
hepuncte mit Nein! weil ſie wahrnehmen, daß
mit einem ſo kleinen und niedrigen Wagen nicht
durchzufahren iſt: Tauſenderley Widerſpruͤche im
Erzehlen und Ausſagen entſtehen in der Welt dar-
aus, daß einer die Sache anders anſiehet,
als der andere. Darauf iſt alſo 4. zu ſehen, wenn
man durch widerſprechende Ausſagen und Nach-
richten in ſeinem Sinne irre gemacht wird: daß
man nehmlich erforſchet, ob auch beyde Ausſager
die Sache auf einerley Seite und auf einerley
Weiſe anſehen?
§. 7.
Fuͤnffter Verſuch bey widerſprechenden
Ausſagen.
Wenn aber alle dieſe Mittel die wider einander
lauffenden Ausſagen mit einander zu vereinigen
wegfallen, und ſie alſo wuͤrcklich einander wider-
ſprechen, ſo muß des einen ſeine Ausſage die Un-
wahrheit ſeyn. Die Frage iſt nun, wie weiter zu
erforſchen, auf welcher Seite die Unwahrheit ge-
ſagt worden ſey. Weil wir nun annehmen, daß
beyde Ausſager Zuſchauer geweſen, (§. 4.) und
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/362>, abgerufen am 03.03.2025.
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