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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Zehendes Capitel,
chenden Aussagen zu vermuthen, deswegen Ur-
sach, weil einmahl auf einer von beyden Seiten
eine Unrichtigkeit in der Sache vorgegangen seyn
muß. Mithin ist bey widersprechenden Aus-
sagen
zuforderst zu untersuchen: Ob nicht et-
wa in einer von beyden Aussagen, oder in
allen beyden auf unserer Seite ein Miß-
verstand
sey. Denn wir haben bey Gelegen-
heit der locorum communium gewiesen, wie zwey
einander zuwiderlauffende loci communes, den-
noch ihren guten Grund haben können (§. 40.
C. 2.): Desgleichen wie man von einerley Ge-
schäffte sagen könne, daß eine Sache geschehen,
und daß sie nicht geschehen sey (§. 35. C. 2.).
Auch weiset die Erfahrung, daß vor Gerichte
Zeugen, die anfangs Contraria ausgesagt haben,
wenn sie genauer befragt werden, würcklich mit
einander eins sind. Was nun vor Mißver-
stand
bey Aussagen, oder bey historischen Sä-
tzen vorkommen könne, dasselbe gehöret in die
Auslegekunst, besonders in das Capitel von
Auslegung der historischen Bücher und
Stellen,
wie wir solches in unserer Hermenev-
tick
eingerichtet haben. Das Aus- und Nach-
fragen,
und sich die Sache mehrmahlen erzehlen
lassen, thut bey neuen Geschichten die besten Dien-
ste, widersprechende Nachrichten und Aussagen zu
vereinigen. Bey alten Geschichten aber, da man
nicht mehr fragen kan, müssen wir zuförderst, desto
genauer die Formel ansehen, wie sich jeder Autor
ausgedruckt hat: Und wie man jeden von beyden,
ohne auf den andern zu sehen, vor sich recht ver-
stehen möge.

§. 4.

Zehendes Capitel,
chenden Ausſagen zu vermuthen, deswegen Ur-
ſach, weil einmahl auf einer von beyden Seiten
eine Unrichtigkeit in der Sache vorgegangen ſeyn
muß. Mithin iſt bey widerſprechenden Aus-
ſagen
zuforderſt zu unterſuchen: Ob nicht et-
wa in einer von beyden Ausſagen, oder in
allen beyden auf unſerer Seite ein Miß-
verſtand
ſey. Denn wir haben bey Gelegen-
heit der locorum communium gewieſen, wie zwey
einander zuwiderlauffende loci communes, den-
noch ihren guten Grund haben koͤnnen (§. 40.
C. 2.): Desgleichen wie man von einerley Ge-
ſchaͤffte ſagen koͤnne, daß eine Sache geſchehen,
und daß ſie nicht geſchehen ſey (§. 35. C. 2.).
Auch weiſet die Erfahrung, daß vor Gerichte
Zeugen, die anfangs Contraria ausgeſagt haben,
wenn ſie genauer befragt werden, wuͤrcklich mit
einander eins ſind. Was nun vor Mißver-
ſtand
bey Ausſagen, oder bey hiſtoriſchen Saͤ-
tzen vorkommen koͤnne, daſſelbe gehoͤret in die
Auslegekunſt, beſonders in das Capitel von
Auslegung der hiſtoriſchen Buͤcher und
Stellen,
wie wir ſolches in unſerer Hermenev-
tick
eingerichtet haben. Das Aus- und Nach-
fragen,
und ſich die Sache mehrmahlen erzehlen
laſſen, thut bey neuen Geſchichten die beſten Dien-
ſte, widerſprechende Nachrichten und Ausſagen zu
vereinigen. Bey alten Geſchichten aber, da man
nicht mehr fragen kan, muͤſſen wir zufoͤrderſt, deſto
genauer die Formel anſehen, wie ſich jeder Autor
ausgedruckt hat: Und wie man jeden von beyden,
ohne auf den andern zu ſehen, vor ſich recht ver-
ſtehen moͤge.

§. 4.
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[322/0358] Zehendes Capitel, chenden Ausſagen zu vermuthen, deswegen Ur- ſach, weil einmahl auf einer von beyden Seiten eine Unrichtigkeit in der Sache vorgegangen ſeyn muß. Mithin iſt bey widerſprechenden Aus- ſagen zuforderſt zu unterſuchen: Ob nicht et- wa in einer von beyden Ausſagen, oder in allen beyden auf unſerer Seite ein Miß- verſtand ſey. Denn wir haben bey Gelegen- heit der locorum communium gewieſen, wie zwey einander zuwiderlauffende loci communes, den- noch ihren guten Grund haben koͤnnen (§. 40. C. 2.): Desgleichen wie man von einerley Ge- ſchaͤffte ſagen koͤnne, daß eine Sache geſchehen, und daß ſie nicht geſchehen ſey (§. 35. C. 2.). Auch weiſet die Erfahrung, daß vor Gerichte Zeugen, die anfangs Contraria ausgeſagt haben, wenn ſie genauer befragt werden, wuͤrcklich mit einander eins ſind. Was nun vor Mißver- ſtand bey Ausſagen, oder bey hiſtoriſchen Saͤ- tzen vorkommen koͤnne, daſſelbe gehoͤret in die Auslegekunſt, beſonders in das Capitel von Auslegung der hiſtoriſchen Buͤcher und Stellen, wie wir ſolches in unſerer Hermenev- tick eingerichtet haben. Das Aus- und Nach- fragen, und ſich die Sache mehrmahlen erzehlen laſſen, thut bey neuen Geſchichten die beſten Dien- ſte, widerſprechende Nachrichten und Ausſagen zu vereinigen. Bey alten Geſchichten aber, da man nicht mehr fragen kan, muͤſſen wir zufoͤrderſt, deſto genauer die Formel anſehen, wie ſich jeder Autor ausgedruckt hat: Und wie man jeden von beyden, ohne auf den andern zu ſehen, vor ſich recht ver- ſtehen moͤge. §. 4.

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/358>, abgerufen am 23.11.2024.