Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.Zehendes Capitel, kan man nicht versichert seyn, daß man nicht seinUrtheil ändern, und entweder verleitet, oder auch noch eines bessern belehrt werden dürffte. Und die- ses geschiehet, in Ansehung der historischen Erkent- niß, so offte das Ansehen desjenigen nicht völlig bey uns ist, von dem wir die Nachricht erhalten haben. Unterdessen pflegen wir nicht allemahl an den Nachrichten, die nicht alle Glaubwür- digkeit haben, wircklich zu zweifeln, sondern öffters lassen wir uns an der allgemeinen überredenden Krafft, die jede Aussage bey sich hat (§. 17. C. 9.), eine Zeitlang gnügen. Hingegen aussern sich auch mehrmahlen Umstände, welche das Gegen- theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt, nicht allein zu gedencken, sondern auch zu glauben veranlassen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine Sache bald bejahen, bald verläugnen, nachdem wir entweder auf diese, oder auf die gegenseitige Gründe unsere Aufmercksamkeit richten. Und dieser Zustand unserer Seele heisset der Zweifel. Ein sehr ausführliches Exempel eines historischen Zweifels kan man, ausser unzehligen andern le- sen beym Abbe de Vertot, Histoire de Chevaliers de Malthe. T. V. p. 437. wo er mit sich selbst in einer besondern Dissertation uneins ist, ob die damahligen Rhodiser Ritter dem verjagten Tür- ckischen Printzen Zizim einen Saluum conductum gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz- ler des Ordens, Caoursin, als ein Scriptor cooeuus, und allem Ansehen nach gar ein Jnteressente bey dieser Sache, bezeuget, daß ein Saluus conductus dein Zizim sey gegeben worden, Jaligni aber, als ein
Zehendes Capitel, kan man nicht verſichert ſeyn, daß man nicht ſeinUrtheil aͤndern, und entweder verleitet, oder auch noch eines beſſern belehrt werden duͤrffte. Und die- ſes geſchiehet, in Anſehung der hiſtoriſchen Erkent- niß, ſo offte das Anſehen desjenigen nicht voͤllig bey uns iſt, von dem wir die Nachricht erhalten haben. Unterdeſſen pflegen wir nicht allemahl an den Nachrichten, die nicht alle Glaubwuͤr- digkeit haben, wircklich zu zweifeln, ſondern oͤffters laſſen wir uns an der allgemeinen uͤberredenden Krafft, die jede Ausſage bey ſich hat (§. 17. C. 9.), eine Zeitlang gnuͤgen. Hingegen auſſern ſich auch mehrmahlen Umſtaͤnde, welche das Gegen- theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt, nicht allein zu gedencken, ſondern auch zu glauben veranlaſſen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine Sache bald bejahen, bald verlaͤugnen, nachdem wir entweder auf dieſe, oder auf die gegenſeitige Gruͤnde unſere Aufmerckſamkeit richten. Und dieſer Zuſtand unſerer Seele heiſſet der Zweifel. Ein ſehr ausfuͤhrliches Exempel eines hiſtoriſchen Zweifels kan man, auſſer unzehligen andern le- ſen beym Abbe de Vertot, Hiſtoire de Chevaliers de Malthe. T. V. p. 437. wo er mit ſich ſelbſt in einer beſondern Diſſertation uneins iſt, ob die damahligen Rhodiſer Ritter dem verjagten Tuͤr- ckiſchen Printzen Zizim einen Saluum conductum gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz- ler des Ordens, Caourſin, als ein Scriptor coœuus, und allem Anſehen nach gar ein Jntereſſente bey dieſer Sache, bezeuget, daß ein Saluus conductus dein Zizim ſey gegeben worden, Jaligni aber, als ein
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0354" n="318"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zehendes Capitel,</hi></fw><lb/> kan man nicht verſichert ſeyn, daß man nicht ſein<lb/> Urtheil aͤndern, und entweder verleitet, oder auch<lb/> noch eines beſſern belehrt werden duͤrffte. Und die-<lb/> ſes geſchiehet, in Anſehung der hiſtoriſchen Erkent-<lb/> niß, ſo offte das Anſehen desjenigen nicht voͤllig<lb/> bey uns iſt, von dem wir die Nachricht erhalten<lb/> haben. Unterdeſſen pflegen wir nicht allemahl<lb/> an den <hi rendition="#fr">Nachrichten,</hi> die nicht alle Glaubwuͤr-<lb/> digkeit haben, wircklich zu zweifeln, ſondern oͤffters<lb/> laſſen wir uns an der allgemeinen uͤberredenden<lb/> Krafft, die jede Ausſage bey ſich hat (§. 17. C. 9.),<lb/> eine Zeitlang gnuͤgen. Hingegen auſſern ſich<lb/> auch mehrmahlen Umſtaͤnde, welche das Gegen-<lb/> theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt,<lb/> nicht allein zu gedencken, ſondern auch zu <hi rendition="#fr">glauben</hi><lb/> veranlaſſen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine<lb/> Sache bald <hi rendition="#fr">bejahen,</hi> bald <hi rendition="#fr">verlaͤugnen,</hi> nachdem<lb/> wir entweder auf dieſe, oder auf die gegenſeitige<lb/> Gruͤnde unſere Aufmerckſamkeit richten. Und<lb/> dieſer Zuſtand unſerer Seele heiſſet der <hi rendition="#fr">Zweifel.</hi><lb/> Ein ſehr ausfuͤhrliches Exempel eines hiſtoriſchen<lb/> Zweifels kan man, auſſer unzehligen andern le-<lb/> ſen beym <hi rendition="#aq">Abbe de Vertot, Hiſtoire de Chevaliers<lb/> de Malthe. T. V. p.</hi> 437. wo er mit ſich ſelbſt<lb/> in einer beſondern <hi rendition="#aq">Diſſertation</hi> uneins iſt, ob die<lb/> damahligen Rhodiſer Ritter dem verjagten Tuͤr-<lb/> ckiſchen Printzen <hi rendition="#aq">Zizim</hi> einen <hi rendition="#aq">Saluum conductum</hi><lb/> gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz-<lb/> ler des Ordens, <hi rendition="#aq">Caourſin,</hi> als ein <hi rendition="#aq">Scriptor coœuus,</hi><lb/> und allem Anſehen nach gar ein Jntereſſente bey<lb/> dieſer Sache, bezeuget, daß ein <hi rendition="#aq">Saluus conductus</hi><lb/> dein <hi rendition="#aq">Zizim</hi> ſey gegeben worden, <hi rendition="#aq">Jaligni</hi> aber, als<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0354]
Zehendes Capitel,
kan man nicht verſichert ſeyn, daß man nicht ſein
Urtheil aͤndern, und entweder verleitet, oder auch
noch eines beſſern belehrt werden duͤrffte. Und die-
ſes geſchiehet, in Anſehung der hiſtoriſchen Erkent-
niß, ſo offte das Anſehen desjenigen nicht voͤllig
bey uns iſt, von dem wir die Nachricht erhalten
haben. Unterdeſſen pflegen wir nicht allemahl
an den Nachrichten, die nicht alle Glaubwuͤr-
digkeit haben, wircklich zu zweifeln, ſondern oͤffters
laſſen wir uns an der allgemeinen uͤberredenden
Krafft, die jede Ausſage bey ſich hat (§. 17. C. 9.),
eine Zeitlang gnuͤgen. Hingegen auſſern ſich
auch mehrmahlen Umſtaͤnde, welche das Gegen-
theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt,
nicht allein zu gedencken, ſondern auch zu glauben
veranlaſſen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine
Sache bald bejahen, bald verlaͤugnen, nachdem
wir entweder auf dieſe, oder auf die gegenſeitige
Gruͤnde unſere Aufmerckſamkeit richten. Und
dieſer Zuſtand unſerer Seele heiſſet der Zweifel.
Ein ſehr ausfuͤhrliches Exempel eines hiſtoriſchen
Zweifels kan man, auſſer unzehligen andern le-
ſen beym Abbe de Vertot, Hiſtoire de Chevaliers
de Malthe. T. V. p. 437. wo er mit ſich ſelbſt
in einer beſondern Diſſertation uneins iſt, ob die
damahligen Rhodiſer Ritter dem verjagten Tuͤr-
ckiſchen Printzen Zizim einen Saluum conductum
gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz-
ler des Ordens, Caourſin, als ein Scriptor coœuus,
und allem Anſehen nach gar ein Jntereſſente bey
dieſer Sache, bezeuget, daß ein Saluus conductus
dein Zizim ſey gegeben worden, Jaligni aber, als
ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |