jenige Stück sey, was davon abgebrochen wor- den, denn es wird niemahls ein Bruch wieder auf solche Art gerathen, daß das abgebrochene Stück, an statt des wahren Stückes könte ge- braucht werden. Keines in der Welt wird so gut passen. Solche Fälle der gewissen Erkent- niß von Dingen, wo man doch keine Aussagen, oder nicht hinlängliche Aussagen hat, sind um so viel merckwürdiger, ie seltener sie sind.
§. 38. Gemeinere Art aus den Gegenwärtigen das Vergangene zu erkennen.
Hingegen lässet sich, nach dem Lauf der Na- tur, und aus allgemeinen Begriffen, die man aus Erfahrungen gemacht hat, bey ieder vorhandenen, oder gegenwärtigen Sachen eine Menge vor- hergegangener Begebenheiten, heraus bringen. Welche Erkentniß der Geschichte mit der soge- nannten cognitione a priori eine grosse Verbin- dung hat. So weiß man nunmehro durch die Reaumurischen und Rößlerischen Bemühungen von einer Menge Jnsecten, wie sie generirt und nach und nach verwandelt werden. Wer nun dieser Dinge kundig ist, und etwa einen Schmet- terling vor sich hat: Derselbe wird erzehlen kön- nen, was sich von Zeit zu Zeit, mit diesem Thiere zugetragen hat, daß sich ein der Sache unkundi- ger darüber verwundern wird. Wie nun an der Wahrheit und Gewißheit der Erfahrungen (wobey man voraus setzet, daß sie richtig gefasset seyn müssen), niemand zweifelt; also sagen wir
von
Neuntes Capitel,
jenige Stuͤck ſey, was davon abgebrochen wor- den, denn es wird niemahls ein Bruch wieder auf ſolche Art gerathen, daß das abgebrochene Stuͤck, an ſtatt des wahren Stuͤckes koͤnte ge- braucht werden. Keines in der Welt wird ſo gut paſſen. Solche Faͤlle der gewiſſen Erkent- niß von Dingen, wo man doch keine Ausſagen, oder nicht hinlaͤngliche Ausſagen hat, ſind um ſo viel merckwuͤrdiger, ie ſeltener ſie ſind.
§. 38. Gemeinere Art aus den Gegenwaͤrtigen das Vergangene zu erkennen.
Hingegen laͤſſet ſich, nach dem Lauf der Na- tur, und aus allgemeinen Begriffen, die man aus Erfahrungen gemacht hat, bey ieder vorhandenen, oder gegenwaͤrtigen Sachen eine Menge vor- hergegangener Begebenheiten, heraus bringen. Welche Erkentniß der Geſchichte mit der ſoge- nannten cognitione a priori eine groſſe Verbin- dung hat. So weiß man nunmehro durch die Reaumuriſchen und Roͤßleriſchen Bemuͤhungen von einer Menge Jnſecten, wie ſie generirt und nach und nach verwandelt werden. Wer nun dieſer Dinge kundig iſt, und etwa einen Schmet- terling vor ſich hat: Derſelbe wird erzehlen koͤn- nen, was ſich von Zeit zu Zeit, mit dieſem Thiere zugetragen hat, daß ſich ein der Sache unkundi- ger daruͤber verwundern wird. Wie nun an der Wahrheit und Gewißheit der Erfahrungen (wobey man voraus ſetzet, daß ſie richtig gefaſſet ſeyn muͤſſen), niemand zweifelt; alſo ſagen wir
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Neuntes Capitel,
jenige Stuͤck ſey, was davon abgebrochen wor-
den, denn es wird niemahls ein Bruch wieder
auf ſolche Art gerathen, daß das abgebrochene
Stuͤck, an ſtatt des wahren Stuͤckes koͤnte ge-
braucht werden. Keines in der Welt wird ſo
gut paſſen. Solche Faͤlle der gewiſſen Erkent-
niß von Dingen, wo man doch keine Ausſagen,
oder nicht hinlaͤngliche Ausſagen hat, ſind um ſo
viel merckwuͤrdiger, ie ſeltener ſie ſind.
§. 38.
Gemeinere Art aus den Gegenwaͤrtigen das
Vergangene zu erkennen.
Hingegen laͤſſet ſich, nach dem Lauf der Na-
tur, und aus allgemeinen Begriffen, die man aus
Erfahrungen gemacht hat, bey ieder vorhandenen,
oder gegenwaͤrtigen Sachen eine Menge vor-
hergegangener Begebenheiten, heraus bringen.
Welche Erkentniß der Geſchichte mit der ſoge-
nannten cognitione a priori eine groſſe Verbin-
dung hat. So weiß man nunmehro durch die
Reaumuriſchen und Roͤßleriſchen Bemuͤhungen
von einer Menge Jnſecten, wie ſie generirt und
nach und nach verwandelt werden. Wer nun
dieſer Dinge kundig iſt, und etwa einen Schmet-
terling vor ſich hat: Derſelbe wird erzehlen koͤn-
nen, was ſich von Zeit zu Zeit, mit dieſem Thiere
zugetragen hat, daß ſich ein der Sache unkundi-
ger daruͤber verwundern wird. Wie nun an der
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/352>, abgerufen am 03.03.2025.
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