Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Capitel,
§. 18.
Gewißheit der menschlichen Aussagen.

Nach diesen beyden Regeln würde nun zur Ge-
wißheit weiter nichts nöthig seyn, als daß der, der
uns von einer Sache Nachricht giebt, ein Mensch
sey: denn daraus würden wir erkennen, daß er
die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen,
nicht aber erdichtet habe: daß er sie also entweder
selbst gesehen, oder von andern gleichfalls so glaub-
würdigen Menschen erkundigt habe: daß also die
Sache, weil sie Zuschauer gehabt, würcklich ge-
schehen seyn müsse: oder da dieses alles Sätze sind,
die sich von selbst verstehen, so würden wir, ohne
Umstände uns an die Sache halten, so gut, als
wenn wir dabey gewesen wären. Wovon wir ietzo
noch die Exempel an guten Freunden, an Ehe-
gatten,
die einander hertzlich lieben, und an Zu-
hörern
sehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch-
achtung hegen: hören, glauben und gewiß
seyn,
sind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man
wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders
bereden zu wollen sich erkühnet. Und dies ist der
natürliche Weg, wie die historische Erkentniß fort-
geflantzt, und von dem Zuschauer auf die entfernsten
Personen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr-
heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß sie durch
den Mund lauter solcher Personen gehet, die der
Lügen nicht verdächtig sind.

§. 19.
1. Wie dieselbe auf Seiten des Aussagers zer-
rüttet wird.

Dieses ist aber freylich der Zustand nicht, wor-

innen
Neuntes Capitel,
§. 18.
Gewißheit der menſchlichen Ausſagen.

Nach dieſen beyden Regeln wuͤrde nun zur Ge-
wißheit weiter nichts noͤthig ſeyn, als daß der, der
uns von einer Sache Nachricht giebt, ein Menſch
ſey: denn daraus wuͤrden wir erkennen, daß er
die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen,
nicht aber erdichtet habe: daß er ſie alſo entweder
ſelbſt geſehen, oder von andern gleichfalls ſo glaub-
wuͤrdigen Menſchen erkundigt habe: daß alſo die
Sache, weil ſie Zuſchauer gehabt, wuͤrcklich ge-
ſchehen ſeyn muͤſſe: oder da dieſes alles Saͤtze ſind,
die ſich von ſelbſt verſtehen, ſo wuͤrden wir, ohne
Umſtaͤnde uns an die Sache halten, ſo gut, als
wenn wir dabey geweſen waͤren. Wovon wir ietzo
noch die Exempel an guten Freunden, an Ehe-
gatten,
die einander hertzlich lieben, und an Zu-
hoͤrern
ſehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch-
achtung hegen: hoͤren, glauben und gewiß
ſeyn,
ſind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man
wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders
bereden zu wollen ſich erkuͤhnet. Und dies iſt der
natuͤrliche Weg, wie die hiſtoriſche Erkentniß fort-
geflantzt, und von dem Zuſchauer auf die entfernſten
Perſonen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr-
heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß ſie durch
den Mund lauter ſolcher Perſonen gehet, die der
Luͤgen nicht verdaͤchtig ſind.

§. 19.
1. Wie dieſelbe auf Seiten des Ausſagers zer-
ruͤttet wird.

Dieſes iſt aber freylich der Zuſtand nicht, wor-

innen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0334" n="298"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neuntes Capitel,</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 18.<lb/>
Gewißheit der men&#x017F;chlichen Aus&#x017F;agen.</head><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;en beyden Regeln wu&#x0364;rde nun zur Ge-<lb/>
wißheit weiter nichts no&#x0364;thig &#x017F;eyn, als daß der, der<lb/>
uns von einer Sache Nachricht giebt, ein <hi rendition="#fr">Men&#x017F;ch</hi><lb/>
&#x017F;ey: denn daraus wu&#x0364;rden wir erkennen, daß er<lb/>
die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen,<lb/>
nicht aber erdichtet habe: daß er &#x017F;ie al&#x017F;o entweder<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen, oder von andern gleichfalls &#x017F;o glaub-<lb/>
wu&#x0364;rdigen Men&#x017F;chen erkundigt habe: daß al&#x017F;o die<lb/>
Sache, weil &#x017F;ie Zu&#x017F;chauer gehabt, wu&#x0364;rcklich ge-<lb/>
&#x017F;chehen &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e: oder da die&#x017F;es alles Sa&#x0364;tze &#x017F;ind,<lb/>
die &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehen, &#x017F;o wu&#x0364;rden wir, ohne<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde uns an die Sache halten, &#x017F;o gut, als<lb/>
wenn wir dabey gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren. Wovon wir ietzo<lb/>
noch die Exempel an <hi rendition="#fr">guten Freunden,</hi> an <hi rendition="#fr">Ehe-<lb/>
gatten,</hi> die einander hertzlich lieben, und an <hi rendition="#fr">Zu-<lb/>
ho&#x0364;rern</hi> &#x017F;ehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch-<lb/>
achtung hegen: <hi rendition="#fr">ho&#x0364;ren, glauben</hi> und <hi rendition="#fr">gewiß<lb/>
&#x017F;eyn,</hi> &#x017F;ind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man<lb/>
wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders<lb/>
bereden zu wollen &#x017F;ich erku&#x0364;hnet. Und dies i&#x017F;t der<lb/>
natu&#x0364;rliche Weg, wie die hi&#x017F;tori&#x017F;che Erkentniß fort-<lb/>
geflantzt, und von dem Zu&#x017F;chauer auf die entfern&#x017F;ten<lb/>
Per&#x017F;onen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr-<lb/>
heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß &#x017F;ie durch<lb/>
den Mund lauter &#x017F;olcher Per&#x017F;onen gehet, die der<lb/>
Lu&#x0364;gen nicht verda&#x0364;chtig &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 19.<lb/>
1. Wie die&#x017F;elbe auf Seiten des Aus&#x017F;agers zer-<lb/>
ru&#x0364;ttet wird.</head><lb/>
          <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t aber freylich der Zu&#x017F;tand nicht, wor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">innen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0334] Neuntes Capitel, §. 18. Gewißheit der menſchlichen Ausſagen. Nach dieſen beyden Regeln wuͤrde nun zur Ge- wißheit weiter nichts noͤthig ſeyn, als daß der, der uns von einer Sache Nachricht giebt, ein Menſch ſey: denn daraus wuͤrden wir erkennen, daß er die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen, nicht aber erdichtet habe: daß er ſie alſo entweder ſelbſt geſehen, oder von andern gleichfalls ſo glaub- wuͤrdigen Menſchen erkundigt habe: daß alſo die Sache, weil ſie Zuſchauer gehabt, wuͤrcklich ge- ſchehen ſeyn muͤſſe: oder da dieſes alles Saͤtze ſind, die ſich von ſelbſt verſtehen, ſo wuͤrden wir, ohne Umſtaͤnde uns an die Sache halten, ſo gut, als wenn wir dabey geweſen waͤren. Wovon wir ietzo noch die Exempel an guten Freunden, an Ehe- gatten, die einander hertzlich lieben, und an Zu- hoͤrern ſehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch- achtung hegen: hoͤren, glauben und gewiß ſeyn, ſind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders bereden zu wollen ſich erkuͤhnet. Und dies iſt der natuͤrliche Weg, wie die hiſtoriſche Erkentniß fort- geflantzt, und von dem Zuſchauer auf die entfernſten Perſonen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr- heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß ſie durch den Mund lauter ſolcher Perſonen gehet, die der Luͤgen nicht verdaͤchtig ſind. §. 19. 1. Wie dieſelbe auf Seiten des Ausſagers zer- ruͤttet wird. Dieſes iſt aber freylich der Zuſtand nicht, wor- innen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/334
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/334>, abgerufen am 22.12.2024.