Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
v. d. Zusammenhange d. Begebenh. etc.
§. 52.
Was der Grund einer Geschichte heisset?

Eine Geschichte ist daher eine Reyhe Be-
gebenheiten, die an einander passen, und an ein-
ander gefügt sind. Nun trifft man zwar in de-
nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un-
terscheid an, daß einige Grundsätze sind, andere
aber Folgen, Corollaria und Theoremata: Und
zwar verhalten sich diese so gegen einander, daß
wenn man nur die erstern weiß, so kan man die
andern, aus seinem eigenen Nachdencken, erfinden.
Dergleichen Eintheilung aber ist bey denen Be-
gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da ist
eines wie das andere zufällig: Jede folgende Be-
gebenheit muß sowohl als die vorhergegangenen,
durch ein Anschauungsurtheil erkannt werden
(§. 3. Cap. 1.): Daher ist die historische Erkent-
niß eine Reyhe von lauter Anschauungsurthei-
len
: Welche sich durch Nachrichten, Erzehlungen,
Urkunden, Aussagen, und Nachsagen aus einer
Seele in die andere ausbreiten. Will man aber
dennoch in denen historischen Sätzen, die eine Er-
zehlung ausmachen, einen Unterscheid suchen, und
etwas denen Principiis einer Demonstration ähn-
liches setzen, so muß es auf eine andere und fol-
gende Art geschehen. Wir haben gesehen, wie es
mit dem Ursprunge einer Geschichte beschaffen ist.
Es wird nehmlich eine Gelegenheit voraus ge-
setzt, daraus ein Anschlag, oder That erfolgt, die
denn viele Folgen nach sich ziehet (§. 12.). Die
Gelegenheit ist noch als etwas anzusehen, daß

ausser
S 2
v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
§. 52.
Was der Grund einer Geſchichte heiſſet?

Eine Geſchichte iſt daher eine Reyhe Be-
gebenheiten, die an einander paſſen, und an ein-
ander gefuͤgt ſind. Nun trifft man zwar in de-
nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un-
terſcheid an, daß einige Grundſaͤtze ſind, andere
aber Folgen, Corollaria und Theoremata: Und
zwar verhalten ſich dieſe ſo gegen einander, daß
wenn man nur die erſtern weiß, ſo kan man die
andern, aus ſeinem eigenen Nachdencken, erfinden.
Dergleichen Eintheilung aber iſt bey denen Be-
gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da iſt
eines wie das andere zufaͤllig: Jede folgende Be-
gebenheit muß ſowohl als die vorhergegangenen,
durch ein Anſchauungsurtheil erkannt werden
(§. 3. Cap. 1.): Daher iſt die hiſtoriſche Erkent-
niß eine Reyhe von lauter Anſchauungsurthei-
len
: Welche ſich durch Nachrichten, Erzehlungen,
Urkunden, Ausſagen, und Nachſagen aus einer
Seele in die andere ausbreiten. Will man aber
dennoch in denen hiſtoriſchen Saͤtzen, die eine Er-
zehlung ausmachen, einen Unterſcheid ſuchen, und
etwas denen Principiis einer Demonſtration aͤhn-
liches ſetzen, ſo muß es auf eine andere und fol-
gende Art geſchehen. Wir haben geſehen, wie es
mit dem Urſprunge einer Geſchichte beſchaffen iſt.
Es wird nehmlich eine Gelegenheit voraus ge-
ſetzt, daraus ein Anſchlag, oder That erfolgt, die
denn viele Folgen nach ſich ziehet (§. 12.). Die
Gelegenheit iſt noch als etwas anzuſehen, daß

auſſer
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0311" n="275"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">v. d. Zu&#x017F;ammenhange d. Begebenh. &#xA75B;c.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 52.<lb/>
Was der Grund einer Ge&#x017F;chichte hei&#x017F;&#x017F;et?</head><lb/>
          <p>Eine <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte</hi> i&#x017F;t daher eine Reyhe Be-<lb/>
gebenheiten, die an einander pa&#x017F;&#x017F;en, und an ein-<lb/>
ander gefu&#x0364;gt &#x017F;ind. Nun trifft man zwar in de-<lb/>
nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un-<lb/>
ter&#x017F;cheid an, daß einige <hi rendition="#fr">Grund&#x017F;a&#x0364;tze</hi> &#x017F;ind, andere<lb/>
aber <hi rendition="#fr">Folgen,</hi> <hi rendition="#aq">Corollaria</hi> und <hi rendition="#aq">Theoremata</hi>: Und<lb/>
zwar verhalten &#x017F;ich die&#x017F;e &#x017F;o gegen einander, daß<lb/>
wenn man nur die er&#x017F;tern weiß, &#x017F;o kan man die<lb/>
andern, aus &#x017F;einem eigenen Nachdencken, erfinden.<lb/>
Dergleichen Eintheilung aber i&#x017F;t bey denen Be-<lb/>
gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da i&#x017F;t<lb/>
eines wie das andere zufa&#x0364;llig: Jede folgende Be-<lb/>
gebenheit muß &#x017F;owohl als die vorhergegangenen,<lb/>
durch ein <hi rendition="#fr">An&#x017F;chauungsurtheil</hi> erkannt werden<lb/>
(§. 3. Cap. 1.): Daher i&#x017F;t die hi&#x017F;tori&#x017F;che Erkent-<lb/>
niß eine Reyhe von lauter <hi rendition="#fr">An&#x017F;chauungsurthei-<lb/>
len</hi>: Welche &#x017F;ich durch Nachrichten, Erzehlungen,<lb/>
Urkunden, Aus&#x017F;agen, und Nach&#x017F;agen aus einer<lb/>
Seele in die andere ausbreiten. Will man aber<lb/>
dennoch in denen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Sa&#x0364;tzen, die eine Er-<lb/>
zehlung ausmachen, einen Unter&#x017F;cheid &#x017F;uchen, und<lb/>
etwas denen <hi rendition="#aq">Principiis</hi> einer Demon&#x017F;tration a&#x0364;hn-<lb/>
liches &#x017F;etzen, &#x017F;o muß es auf eine andere und fol-<lb/>
gende Art ge&#x017F;chehen. Wir haben ge&#x017F;ehen, wie es<lb/>
mit dem Ur&#x017F;prunge einer Ge&#x017F;chichte be&#x017F;chaffen i&#x017F;t.<lb/>
Es wird nehmlich eine <hi rendition="#fr">Gelegenheit</hi> voraus ge-<lb/>
&#x017F;etzt, daraus ein An&#x017F;chlag, oder That erfolgt, die<lb/>
denn viele Folgen nach &#x017F;ich ziehet (§. 12.). Die<lb/>
Gelegenheit i&#x017F;t noch als etwas anzu&#x017F;ehen, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">au&#x017F;&#x017F;er</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0311] v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. §. 52. Was der Grund einer Geſchichte heiſſet? Eine Geſchichte iſt daher eine Reyhe Be- gebenheiten, die an einander paſſen, und an ein- ander gefuͤgt ſind. Nun trifft man zwar in de- nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un- terſcheid an, daß einige Grundſaͤtze ſind, andere aber Folgen, Corollaria und Theoremata: Und zwar verhalten ſich dieſe ſo gegen einander, daß wenn man nur die erſtern weiß, ſo kan man die andern, aus ſeinem eigenen Nachdencken, erfinden. Dergleichen Eintheilung aber iſt bey denen Be- gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da iſt eines wie das andere zufaͤllig: Jede folgende Be- gebenheit muß ſowohl als die vorhergegangenen, durch ein Anſchauungsurtheil erkannt werden (§. 3. Cap. 1.): Daher iſt die hiſtoriſche Erkent- niß eine Reyhe von lauter Anſchauungsurthei- len: Welche ſich durch Nachrichten, Erzehlungen, Urkunden, Ausſagen, und Nachſagen aus einer Seele in die andere ausbreiten. Will man aber dennoch in denen hiſtoriſchen Saͤtzen, die eine Er- zehlung ausmachen, einen Unterſcheid ſuchen, und etwas denen Principiis einer Demonſtration aͤhn- liches ſetzen, ſo muß es auf eine andere und fol- gende Art geſchehen. Wir haben geſehen, wie es mit dem Urſprunge einer Geſchichte beſchaffen iſt. Es wird nehmlich eine Gelegenheit voraus ge- ſetzt, daraus ein Anſchlag, oder That erfolgt, die denn viele Folgen nach ſich ziehet (§. 12.). Die Gelegenheit iſt noch als etwas anzuſehen, daß auſſer S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/311
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/311>, abgerufen am 23.11.2024.