Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. Zusammenhange d. Begebenh. etc.
eben der Fall, als wenn man aus hier und da ab-
gebrochenen Stücken
das gantze herstellen
wollte. Wir nehmen hier den kürtzesten und näch-
sten Beweiß, daß die Stücke unserer historischen
Erkentniß nicht durch Schlüsse verknüpft werden
können; wenn die Begebenheiten gleich selbst nach
syllogistischer Art zusammen hiengen. Sonsten liesse
sich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu-
förderst aus der Zufälligkeit der Dinge; inglei-
chen daß die Menschen nicht allein würcken, son-
dern auch leyden: welches letztere nicht aus der
Sache, die leydet, sondern aus andern würckenden
Ursachen muß hergeleitet werden. Man könte auch
zeigen, daß der Einfluß derer Individuorum in der
Welt in einander, und ihr Zusammenhang von den
individuellen Umständen eines jeden abhange; wel-
che Sachen sich durchaus nicht in allgemeine Wahr-
heiten, und folglich auch nicht in Schlüsse verwan-
deln lassen. Aber wir vermeiden dergleichen meta-
physische Betrachtungen mit Fleiß, um erst dasje-
nige, was nach den bekantesten Begriffen der Men-
schen unwidersprechlich ist, in seiner natürlichen
Ordnung und Gewißheit unsern Lesern vorzu-
stellen.

§. 49.
Welches weiter bewiesen wird.

Wenn wir also die Ursachen einer Begebenheit
uns düncken einzusehen; und also einen Schluß ge-
macht haben, dessen Schlußsatz die Begebenheit
ist, deren Ursache wir untersuchen, (§. 1.) so
wird doch der Schluß niemahls seine völlige Gestalt

haben.

v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
eben der Fall, als wenn man aus hier und da ab-
gebrochenen Stuͤcken
das gantze herſtellen
wollte. Wir nehmen hier den kuͤrtzeſten und naͤch-
ſten Beweiß, daß die Stuͤcke unſerer hiſtoriſchen
Erkentniß nicht durch Schluͤſſe verknuͤpft werden
koͤnnen; wenn die Begebenheiten gleich ſelbſt nach
ſyllogiſtiſcher Art zuſammen hiengen. Sonſten lieſſe
ſich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu-
foͤrderſt aus der Zufaͤlligkeit der Dinge; inglei-
chen daß die Menſchen nicht allein wuͤrcken, ſon-
dern auch leyden: welches letztere nicht aus der
Sache, die leydet, ſondern aus andern wuͤrckenden
Urſachen muß hergeleitet werden. Man koͤnte auch
zeigen, daß der Einfluß derer Individuorum in der
Welt in einander, und ihr Zuſammenhang von den
individuellen Umſtaͤnden eines jeden abhange; wel-
che Sachen ſich durchaus nicht in allgemeine Wahr-
heiten, und folglich auch nicht in Schluͤſſe verwan-
deln laſſen. Aber wir vermeiden dergleichen meta-
phyſiſche Betrachtungen mit Fleiß, um erſt dasje-
nige, was nach den bekanteſten Begriffen der Men-
ſchen unwiderſprechlich iſt, in ſeiner natuͤrlichen
Ordnung und Gewißheit unſern Leſern vorzu-
ſtellen.

§. 49.
Welches weiter bewieſen wird.

Wenn wir alſo die Urſachen einer Begebenheit
uns duͤncken einzuſehen; und alſo einen Schluß ge-
macht haben, deſſen Schlußſatz die Begebenheit
iſt, deren Urſache wir unterſuchen, (§. 1.) ſo
wird doch der Schluß niemahls ſeine voͤllige Geſtalt

haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="269"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. Zu&#x017F;ammenhange d. Begebenh. &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
eben der Fall, als wenn man aus hier und da <hi rendition="#fr">ab-<lb/>
gebrochenen Stu&#x0364;cken</hi> das <hi rendition="#fr">gantze</hi> her&#x017F;tellen<lb/>
wollte. Wir nehmen hier den ku&#x0364;rtze&#x017F;ten und na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Beweiß, daß die Stu&#x0364;cke un&#x017F;erer hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Erkentniß nicht durch Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e verknu&#x0364;pft werden<lb/>
ko&#x0364;nnen; wenn die Begebenheiten gleich &#x017F;elb&#x017F;t nach<lb/>
&#x017F;yllogi&#x017F;ti&#x017F;cher Art zu&#x017F;ammen hiengen. Son&#x017F;ten lie&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu-<lb/>
fo&#x0364;rder&#x017F;t aus der <hi rendition="#fr">Zufa&#x0364;lligkeit</hi> der Dinge; inglei-<lb/>
chen daß die Men&#x017F;chen nicht allein <hi rendition="#fr">wu&#x0364;rcken,</hi> &#x017F;on-<lb/>
dern auch <hi rendition="#fr">leyden:</hi> welches letztere nicht aus der<lb/>
Sache, die leydet, &#x017F;ondern aus andern wu&#x0364;rckenden<lb/>
Ur&#x017F;achen muß hergeleitet werden. Man ko&#x0364;nte auch<lb/>
zeigen, daß der Einfluß derer <hi rendition="#aq">Individuorum</hi> in der<lb/>
Welt in einander, und ihr Zu&#x017F;ammenhang von den<lb/>
individuellen Um&#x017F;ta&#x0364;nden eines jeden abhange; wel-<lb/>
che Sachen &#x017F;ich durchaus nicht in allgemeine Wahr-<lb/>
heiten, und folglich auch nicht in Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e verwan-<lb/>
deln la&#x017F;&#x017F;en. Aber wir vermeiden dergleichen meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;che Betrachtungen mit Fleiß, um er&#x017F;t dasje-<lb/>
nige, was nach den bekante&#x017F;ten Begriffen der Men-<lb/>
&#x017F;chen unwider&#x017F;prechlich i&#x017F;t, in &#x017F;einer natu&#x0364;rlichen<lb/>
Ordnung und Gewißheit un&#x017F;ern Le&#x017F;ern vorzu-<lb/>
&#x017F;tellen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 49.<lb/>
Welches weiter bewie&#x017F;en wird.</head><lb/>
          <p>Wenn wir al&#x017F;o die Ur&#x017F;achen einer Begebenheit<lb/>
uns du&#x0364;ncken einzu&#x017F;ehen; und al&#x017F;o einen Schluß ge-<lb/>
macht haben, de&#x017F;&#x017F;en Schluß&#x017F;atz die <hi rendition="#fr">Begebenheit</hi><lb/>
i&#x017F;t, deren Ur&#x017F;ache wir unter&#x017F;uchen, (§. 1.) &#x017F;o<lb/>
wird doch der Schluß niemahls &#x017F;eine vo&#x0364;llige Ge&#x017F;talt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">haben.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0305] v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. eben der Fall, als wenn man aus hier und da ab- gebrochenen Stuͤcken das gantze herſtellen wollte. Wir nehmen hier den kuͤrtzeſten und naͤch- ſten Beweiß, daß die Stuͤcke unſerer hiſtoriſchen Erkentniß nicht durch Schluͤſſe verknuͤpft werden koͤnnen; wenn die Begebenheiten gleich ſelbſt nach ſyllogiſtiſcher Art zuſammen hiengen. Sonſten lieſſe ſich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu- foͤrderſt aus der Zufaͤlligkeit der Dinge; inglei- chen daß die Menſchen nicht allein wuͤrcken, ſon- dern auch leyden: welches letztere nicht aus der Sache, die leydet, ſondern aus andern wuͤrckenden Urſachen muß hergeleitet werden. Man koͤnte auch zeigen, daß der Einfluß derer Individuorum in der Welt in einander, und ihr Zuſammenhang von den individuellen Umſtaͤnden eines jeden abhange; wel- che Sachen ſich durchaus nicht in allgemeine Wahr- heiten, und folglich auch nicht in Schluͤſſe verwan- deln laſſen. Aber wir vermeiden dergleichen meta- phyſiſche Betrachtungen mit Fleiß, um erſt dasje- nige, was nach den bekanteſten Begriffen der Men- ſchen unwiderſprechlich iſt, in ſeiner natuͤrlichen Ordnung und Gewißheit unſern Leſern vorzu- ſtellen. §. 49. Welches weiter bewieſen wird. Wenn wir alſo die Urſachen einer Begebenheit uns duͤncken einzuſehen; und alſo einen Schluß ge- macht haben, deſſen Schlußſatz die Begebenheit iſt, deren Urſache wir unterſuchen, (§. 1.) ſo wird doch der Schluß niemahls ſeine voͤllige Geſtalt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/305
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/305>, abgerufen am 13.11.2024.