ansehen konten, ehe und bevor die Ausführung er- folgt ist.
§. 9. Anschläge die man von einer Person nicht hätte vermuthen sollen.
Die Menschen handeln weder allemahl nach deutlichen Vorstellungen, noch auch nach ihren ihnen anklebenden dauerhafften guten und bösen Trieben; Sondern sie sind zu gewissen Stunden gantz an- dere Menschen, als sie kurtz vorher gewesen. Der gute, oder in soferne er gut ist, verfällt manch- mahl in eine Versuchung und Verführung, die er zu einer andern Zeit, als einen widersinnigen Ein- fall würde angesehen und verlacht haben: Jetzo aber liegt er unter. David wird wider sein und aller andern Menschen Vermuthen ein Ehebre- cher, und bald darauf ein Meuchelmörder. Nach- her fällt ihm ein, das Volck zehlen zu lassen, ohne Zweifel weil er Lust bekommen hatte, ein Conque- rant zu werden, und vergaß, daß er, und das Volck Jsrael nicht durch seinen Arm und Krafft groß und mächtig geworden war. So hat auch der Böse zuweilen bessere Stunden, daß er der Mann gar nicht ist, der er sonsten zu seyn pflegt. Solche Anschläge nun, die Menschen zu gewissen Zeiten fassen, ob sie sich gleich mit denen ih- nen beywohnenden Tugenden oder Lastern nicht zu- sammen räumen, setzen uns allerdings in Ver- wunderung, dergestalt daß auch die, welche die Umstände am genauesten wissen, nicht begreiffen können, wie die Entschlüssung habe können gefas-
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v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
anſehen konten, ehe und bevor die Ausfuͤhrung er- folgt iſt.
§. 9. Anſchlaͤge die man von einer Perſon nicht haͤtte vermuthen ſollen.
Die Menſchen handeln weder allemahl nach deutlichen Vorſtellungen, noch auch nach ihren ihnen anklebenden dauerhafften guten und boͤſen Trieben; Sondern ſie ſind zu gewiſſen Stunden gantz an- dere Menſchen, als ſie kurtz vorher geweſen. Der gute, oder in ſoferne er gut iſt, verfaͤllt manch- mahl in eine Verſuchung und Verfuͤhrung, die er zu einer andern Zeit, als einen widerſinnigen Ein- fall wuͤrde angeſehen und verlacht haben: Jetzo aber liegt er unter. David wird wider ſein und aller andern Menſchen Vermuthen ein Ehebre- cher, und bald darauf ein Meuchelmoͤrder. Nach- her faͤllt ihm ein, das Volck zehlen zu laſſen, ohne Zweifel weil er Luſt bekommen hatte, ein Conque- rant zu werden, und vergaß, daß er, und das Volck Jſrael nicht durch ſeinen Arm und Krafft groß und maͤchtig geworden war. So hat auch der Boͤſe zuweilen beſſere Stunden, daß er der Mann gar nicht iſt, der er ſonſten zu ſeyn pflegt. Solche Anſchlaͤge nun, die Menſchen zu gewiſſen Zeiten faſſen, ob ſie ſich gleich mit denen ih- nen beywohnenden Tugenden oder Laſtern nicht zu- ſammen raͤumen, ſetzen uns allerdings in Ver- wunderung, dergeſtalt daß auch die, welche die Umſtaͤnde am genaueſten wiſſen, nicht begreiffen koͤnnen, wie die Entſchluͤſſung habe koͤnnen gefaſ-
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v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.
anſehen konten, ehe und bevor die Ausfuͤhrung er-
folgt iſt.
§. 9.
Anſchlaͤge die man von einer Perſon nicht
haͤtte vermuthen ſollen.
Die Menſchen handeln weder allemahl nach
deutlichen Vorſtellungen, noch auch nach ihren ihnen
anklebenden dauerhafften guten und boͤſen Trieben;
Sondern ſie ſind zu gewiſſen Stunden gantz an-
dere Menſchen, als ſie kurtz vorher geweſen. Der
gute, oder in ſoferne er gut iſt, verfaͤllt manch-
mahl in eine Verſuchung und Verfuͤhrung, die er
zu einer andern Zeit, als einen widerſinnigen Ein-
fall wuͤrde angeſehen und verlacht haben: Jetzo
aber liegt er unter. David wird wider ſein und
aller andern Menſchen Vermuthen ein Ehebre-
cher, und bald darauf ein Meuchelmoͤrder. Nach-
her faͤllt ihm ein, das Volck zehlen zu laſſen, ohne
Zweifel weil er Luſt bekommen hatte, ein Conque-
rant zu werden, und vergaß, daß er, und das
Volck Jſrael nicht durch ſeinen Arm und Krafft
groß und maͤchtig geworden war. So hat auch
der Boͤſe zuweilen beſſere Stunden, daß er der
Mann gar nicht iſt, der er ſonſten zu ſeyn pflegt.
Solche Anſchlaͤge nun, die Menſchen zu gewiſſen
Zeiten faſſen, ob ſie ſich gleich mit denen ih-
nen beywohnenden Tugenden oder Laſtern nicht zu-
ſammen raͤumen, ſetzen uns allerdings in Ver-
wunderung, dergeſtalt daß auch die, welche die
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/251>, abgerufen am 13.11.2024.
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