Sache selbst, woraus sie sind erkannt worden. Man heisset es wissen: denn also weiß man, daß jemand ermordet worden, wenn man den todten Leichnam gesehen: man weiß, daß es in einer Stadt gebrannt hat, wenn man die Brand- stäte gesehen hat. Das Wissen aber gehört im eigentlichen und untrüglichen Verstande, die Er- kentniß, welche man vor einer Sache durch sich selbst, und durch das Anschauen derselben erlan- get hat.
§. 39. Entdecken ist einerley mit Ausspüren.
Entdecken braucht man daher meistens nur bey solchen Fällen, wo man aus einer Folge die Geschichte heraus bringt, da ein anderer nicht so leicht darauf würde verfallen seyn. Solche Fol- gen und Anzeichen einer Geschichte, die gar leichte können übersehen werden, und unbemerckt blei- ben, heissen Spuren. Und daher kommt es, daß das Entdecken mit dem Ausspüren über- einkommt, wovon unsere Abhandlung de vesti- giis nachzulesen ist. Beym Entdecken thut al- so der Verstand des Erfinders das meiste. Es sind aber dabey zwey Fälle zu unterscheiden. Bey mancher Entdeckung wird man durch eine gefaste Muthmassung nur veranlasset, nachzufra- gen, und die Aussagen davon zu erlangen. Wenn wir nun würcklich dieser Aussagen theilhaff- tig werden, so gründen wir unsere Erkentniß sol- cher Geschichte nicht mehr auf unsere erste Ver- muthung, als die uns nur Gelegenheit gegeben,
nach-
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v d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
Sache ſelbſt, woraus ſie ſind erkannt worden. Man heiſſet es wiſſen: denn alſo weiß man, daß jemand ermordet worden, wenn man den todten Leichnam geſehen: man weiß, daß es in einer Stadt gebrannt hat, wenn man die Brand- ſtaͤte geſehen hat. Das Wiſſen aber gehoͤrt im eigentlichen und untruͤglichen Verſtande, die Er- kentniß, welche man vor einer Sache durch ſich ſelbſt, und durch das Anſchauen derſelben erlan- get hat.
§. 39. Entdecken iſt einerley mit Ausſpuͤren.
Entdecken braucht man daher meiſtens nur bey ſolchen Faͤllen, wo man aus einer Folge die Geſchichte heraus bringt, da ein anderer nicht ſo leicht darauf wuͤrde verfallen ſeyn. Solche Fol- gen und Anzeichen einer Geſchichte, die gar leichte koͤnnen uͤberſehen werden, und unbemerckt blei- ben, heiſſen Spuren. Und daher kommt es, daß das Entdecken mit dem Ausſpuͤren uͤber- einkommt, wovon unſere Abhandlung de veſti- giis nachzuleſen iſt. Beym Entdecken thut al- ſo der Verſtand des Erfinders das meiſte. Es ſind aber dabey zwey Faͤlle zu unterſcheiden. Bey mancher Entdeckung wird man durch eine gefaſte Muthmaſſung nur veranlaſſet, nachzufra- gen, und die Ausſagen davon zu erlangen. Wenn wir nun wuͤrcklich dieſer Ausſagen theilhaff- tig werden, ſo gruͤnden wir unſere Erkentniß ſol- cher Geſchichte nicht mehr auf unſere erſte Ver- muthung, als die uns nur Gelegenheit gegeben,
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v d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
Sache ſelbſt, woraus ſie ſind erkannt worden.
Man heiſſet es wiſſen: denn alſo weiß man,
daß jemand ermordet worden, wenn man den
todten Leichnam geſehen: man weiß, daß es in
einer Stadt gebrannt hat, wenn man die Brand-
ſtaͤte geſehen hat. Das Wiſſen aber gehoͤrt im
eigentlichen und untruͤglichen Verſtande, die Er-
kentniß, welche man vor einer Sache durch ſich
ſelbſt, und durch das Anſchauen derſelben erlan-
get hat.
§. 39.
Entdecken iſt einerley mit Ausſpuͤren.
Entdecken braucht man daher meiſtens nur
bey ſolchen Faͤllen, wo man aus einer Folge die
Geſchichte heraus bringt, da ein anderer nicht ſo
leicht darauf wuͤrde verfallen ſeyn. Solche Fol-
gen und Anzeichen einer Geſchichte, die gar leichte
koͤnnen uͤberſehen werden, und unbemerckt blei-
ben, heiſſen Spuren. Und daher kommt es,
daß das Entdecken mit dem Ausſpuͤren uͤber-
einkommt, wovon unſere Abhandlung de veſti-
giis nachzuleſen iſt. Beym Entdecken thut al-
ſo der Verſtand des Erfinders das meiſte. Es
ſind aber dabey zwey Faͤlle zu unterſcheiden. Bey
mancher Entdeckung wird man durch eine gefaſte
Muthmaſſung nur veranlaſſet, nachzufra-
gen, und die Ausſagen davon zu erlangen.
Wenn wir nun wuͤrcklich dieſer Ausſagen theilhaff-
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/235>, abgerufen am 03.03.2025.
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