Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.Siebentes Capitel, chen die Geschichte auch könte ausgebreitet werden(§. 5.). Sodann 2. weil die Geschichte durch den Widerspruch, zumahl wenn solcher sich häuf- fet, bey manchen zweifelhafft. Der Zweifel aber mindert den Trieb die Geschichte nachzusa- gen, weil man selbst noch nicht mit sich darüber eins ist. Es ist wohl an dem, daß wenn es über den Widerspruch zu einem Streit kommt, als wenn über ein Delictum, davon die Sage entste- hen wollte ein Jnjurienproceß entstehet, die Ge- schichte wohl noch mehr ausgebreitet wird, als wenn derselben gar nicht wäre widersprochen wor- den. Es darf eben kein grosser Streit seyn, der die Ausbreitung einer Geschichte mehr befördern, als hindern kan: Weil die Menschen gar zu ge- neigt sind von Unruhen und Streitigkeiten zu hö- ren, worüber Leibnitz noch diese gegründete An- merckung macht: la malignite naturelle du coeur humain rend ordinairement les attaques plus agreables au lecteur, que les defenses. Prefa- ce de la Theod. Das Widersprechen bey einer Geschichte, wenn es ihren Lauf hindern solle, muß so eingerichtet werden, daß nicht dadurch eine neue Geschichte entstehet, die eben so merckwürdig, und allgemein intereßirend ist, als die, deren Lauf man hindern wollte. §. 34. Arten eine Geschichte aufzuhalten. Hieraus wird sich weiter verstehen lassen, wie davon
Siebentes Capitel, chen die Geſchichte auch koͤnte ausgebreitet werden(§. 5.). Sodann 2. weil die Geſchichte durch den Widerſpruch, zumahl wenn ſolcher ſich haͤuf- fet, bey manchen zweifelhafft. Der Zweifel aber mindert den Trieb die Geſchichte nachzuſa- gen, weil man ſelbſt noch nicht mit ſich daruͤber eins iſt. Es iſt wohl an dem, daß wenn es uͤber den Widerſpruch zu einem Streit kommt, als wenn uͤber ein Delictum, davon die Sage entſte- hen wollte ein Jnjurienproceß entſtehet, die Ge- ſchichte wohl noch mehr ausgebreitet wird, als wenn derſelben gar nicht waͤre widerſprochen wor- den. Es darf eben kein groſſer Streit ſeyn, der die Ausbreitung einer Geſchichte mehr befoͤrdern, als hindern kan: Weil die Menſchen gar zu ge- neigt ſind von Unruhen und Streitigkeiten zu hoͤ- ren, woruͤber Leibnitz noch dieſe gegruͤndete An- merckung macht: la malignite naturelle du coeur humain rend ordinairement les attaques plus agreables au lecteur, que les defenſes. Prefa- ce de la Theod. Das Widerſprechen bey einer Geſchichte, wenn es ihren Lauf hindern ſolle, muß ſo eingerichtet werden, daß nicht dadurch eine neue Geſchichte entſtehet, die eben ſo merckwuͤrdig, und allgemein intereßirend iſt, als die, deren Lauf man hindern wollte. §. 34. Arten eine Geſchichte aufzuhalten. Hieraus wird ſich weiter verſtehen laſſen, wie davon
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Siebentes Capitel,
chen die Geſchichte auch koͤnte ausgebreitet werden
(§. 5.). Sodann 2. weil die Geſchichte durch
den Widerſpruch, zumahl wenn ſolcher ſich haͤuf-
fet, bey manchen zweifelhafft. Der Zweifel
aber mindert den Trieb die Geſchichte nachzuſa-
gen, weil man ſelbſt noch nicht mit ſich daruͤber
eins iſt. Es iſt wohl an dem, daß wenn es uͤber
den Widerſpruch zu einem Streit kommt, als
wenn uͤber ein Delictum, davon die Sage entſte-
hen wollte ein Jnjurienproceß entſtehet, die Ge-
ſchichte wohl noch mehr ausgebreitet wird, als
wenn derſelben gar nicht waͤre widerſprochen wor-
den. Es darf eben kein groſſer Streit ſeyn, der
die Ausbreitung einer Geſchichte mehr befoͤrdern,
als hindern kan: Weil die Menſchen gar zu ge-
neigt ſind von Unruhen und Streitigkeiten zu hoͤ-
ren, woruͤber Leibnitz noch dieſe gegruͤndete An-
merckung macht: la malignite naturelle du coeur
humain rend ordinairement les attaques plus
agreables au lecteur, que les defenſes. Prefa-
ce de la Theod. Das Widerſprechen bey einer
Geſchichte, wenn es ihren Lauf hindern ſolle, muß
ſo eingerichtet werden, daß nicht dadurch eine neue
Geſchichte entſtehet, die eben ſo merckwuͤrdig, und
allgemein intereßirend iſt, als die, deren Lauf man
hindern wollte.
§. 34.
Arten eine Geſchichte aufzuhalten.
Hieraus wird ſich weiter verſtehen laſſen, wie
uͤberhaupt der Lauf und Fortgang einer Ge-
ſchichte aufgehalten werde? Denn die erſte Art
davon
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Zitationshilfe: | Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/228>, abgerufen am 16.02.2025. |