zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit, und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit Leuten zu reden. Und so geschiehet es, daß neue Geschichte täglich und stündlich weiter erzehlet werden; welchen Fortgang man das Lauffen einer Geschichte oder Erzehlung nennen möchte. Dieses erfolgt nun so lange als die Nachricht an Personen kommt, welche sich der Sache anneh- men, oder die dieselbe etwas angehet.
§. 32. Wenn Geschichte stehen bleiben.
Hingegen bleibt eine Erzehlung stehen, wenn sie an solche Personen kommt, welche sich derselben nicht annehmen, oder welche solche nichts ange- het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit an, ob die Geschichte die Hörer würcklich was angehet oder nicht? sondern darauf, wie sie sich die Sache vorstellen, und ob sie dabey intereßirt zu seyn glauben. Wie eine Geschichte stehen bleiben könne, kan man daraus absehen, daß sich eine Nachricht manchmahl durch weite Länder aus- breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen benachbarten Dörsfern nichts wissen: z. E. ein Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre zuwider laufenden Satz seinen gelehrten Zuhörern vorgetragen, dieses kan sich in kurtzen durch mehr als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un- terdessen kan solches vielen Handwercksleuten, die in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und noch mehr denen Leuten drum herum auf dem Lande. Ein anders ist es schon, wenn eine irrige
Lehre
Siebentes Capitel,
zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit, und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit Leuten zu reden. Und ſo geſchiehet es, daß neue Geſchichte taͤglich und ſtuͤndlich weiter erzehlet werden; welchen Fortgang man das Lauffen einer Geſchichte oder Erzehlung nennen moͤchte. Dieſes erfolgt nun ſo lange als die Nachricht an Perſonen kommt, welche ſich der Sache anneh- men, oder die dieſelbe etwas angehet.
§. 32. Wenn Geſchichte ſtehen bleiben.
Hingegen bleibt eine Erzehlung ſtehen, wenn ſie an ſolche Perſonen kommt, welche ſich derſelben nicht annehmen, oder welche ſolche nichts ange- het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit an, ob die Geſchichte die Hoͤrer wuͤrcklich was angehet oder nicht? ſondern darauf, wie ſie ſich die Sache vorſtellen, und ob ſie dabey intereßirt zu ſeyn glauben. Wie eine Geſchichte ſtehen bleiben koͤnne, kan man daraus abſehen, daß ſich eine Nachricht manchmahl durch weite Laͤnder aus- breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen benachbarten Doͤrſfern nichts wiſſen: z. E. ein Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre zuwider laufenden Satz ſeinen gelehrten Zuhoͤrern vorgetragen, dieſes kan ſich in kurtzen durch mehr als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un- terdeſſen kan ſolches vielen Handwercksleuten, die in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und noch mehr denen Leuten drum herum auf dem Lande. Ein anders iſt es ſchon, wenn eine irrige
Lehre
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0226"n="190"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Siebentes Capitel,</hi></fw><lb/>
zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit,<lb/>
und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit<lb/>
Leuten zu reden. Und ſo geſchiehet es, daß neue<lb/>
Geſchichte taͤglich und ſtuͤndlich weiter erzehlet<lb/>
werden; welchen Fortgang man das <hirendition="#fr">Lauffen</hi><lb/>
einer Geſchichte oder Erzehlung nennen moͤchte.<lb/>
Dieſes erfolgt nun ſo lange als die Nachricht an<lb/>
Perſonen kommt, welche ſich <hirendition="#fr">der Sache anneh-<lb/>
men,</hi> oder die dieſelbe etwas angehet.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 32.<lb/>
Wenn Geſchichte ſtehen bleiben.</head><lb/><p>Hingegen <hirendition="#fr">bleibt</hi> eine Erzehlung <hirendition="#fr">ſtehen,</hi> wenn<lb/>ſie an ſolche Perſonen kommt, welche ſich derſelben<lb/>
nicht annehmen, oder welche ſolche nichts ange-<lb/>
het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit<lb/>
an, ob die Geſchichte die Hoͤrer wuͤrcklich was<lb/>
angehet oder nicht? ſondern darauf, wie ſie ſich<lb/>
die Sache vorſtellen, und ob ſie dabey intereßirt<lb/>
zu ſeyn glauben. Wie eine Geſchichte ſtehen<lb/>
bleiben koͤnne, kan man daraus abſehen, daß ſich<lb/>
eine Nachricht manchmahl durch weite Laͤnder aus-<lb/>
breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen<lb/>
benachbarten Doͤrſfern nichts wiſſen: z. E. ein<lb/>
Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre<lb/>
zuwider laufenden Satz ſeinen gelehrten Zuhoͤrern<lb/>
vorgetragen, dieſes kan ſich in kurtzen durch mehr<lb/>
als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un-<lb/>
terdeſſen kan ſolches vielen Handwercksleuten, die<lb/>
in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und<lb/>
noch mehr denen Leuten drum herum auf dem<lb/>
Lande. Ein anders iſt es ſchon, wenn eine irrige<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Lehre</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[190/0226]
Siebentes Capitel,
zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit,
und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit
Leuten zu reden. Und ſo geſchiehet es, daß neue
Geſchichte taͤglich und ſtuͤndlich weiter erzehlet
werden; welchen Fortgang man das Lauffen
einer Geſchichte oder Erzehlung nennen moͤchte.
Dieſes erfolgt nun ſo lange als die Nachricht an
Perſonen kommt, welche ſich der Sache anneh-
men, oder die dieſelbe etwas angehet.
§. 32.
Wenn Geſchichte ſtehen bleiben.
Hingegen bleibt eine Erzehlung ſtehen, wenn
ſie an ſolche Perſonen kommt, welche ſich derſelben
nicht annehmen, oder welche ſolche nichts ange-
het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit
an, ob die Geſchichte die Hoͤrer wuͤrcklich was
angehet oder nicht? ſondern darauf, wie ſie ſich
die Sache vorſtellen, und ob ſie dabey intereßirt
zu ſeyn glauben. Wie eine Geſchichte ſtehen
bleiben koͤnne, kan man daraus abſehen, daß ſich
eine Nachricht manchmahl durch weite Laͤnder aus-
breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen
benachbarten Doͤrſfern nichts wiſſen: z. E. ein
Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre
zuwider laufenden Satz ſeinen gelehrten Zuhoͤrern
vorgetragen, dieſes kan ſich in kurtzen durch mehr
als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un-
terdeſſen kan ſolches vielen Handwercksleuten, die
in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und
noch mehr denen Leuten drum herum auf dem
Lande. Ein anders iſt es ſchon, wenn eine irrige
Lehre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/226>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.