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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc.
ten in eine Klage gebracht, und mithin dem Han-
del eine gewisse Gestalt gegeben hat, welches,
wenn der Handel verwirrt ist, allerdings nöthig
ist (§. 27. C. 6.); merckt etwa wohl was der
Gegner und Beklagte vor Umstände des Han-
dels zu seinem Behuf anführen, und der Sache
eine andere Gestalt geben könne und werde: Der
Richter aber, der die Klage annimmt, und davon
weiter nichts weiß, als was in der Klage erzehlt
wird, kan nicht wissen, noch vermuthen, was der
Beklagte der Sache vor eine Gestalt geben wird;
und muß daher, wenn der Kläger auch alle mög-
liche Versicherung gäbe und geben könnte, daß er
nichts anders, als die Wahrheit vorgebracht habe,
vor dem Urtheilfällen den Beklagten hören, nach
der Regel: Audiatur est altera pars. Denn
das ist nicht zu läugnen, und ein Richter muß das
überhaupt wissen, daß die Menschen ihre Geschäff-
te so verwickeln, verwirren, und sonderbar einrich-
ten können, daß die Sache gantz auf verschiedene Art
angesehen werden kan, und beyde Partheyen vie-
les vor sich haben.
Die Stämme Jsrael,
welche nach vollendeten Kriegen in Canaan über
den Jordan in ihr Erbtheil zurück giengen, baue-
ten sich einen Altar, und nahmen dadurch eine
Handlung vor, die noch keine bekannte Gestalt
hatte: Denn ein Altar ist zum opfern: Und ein
Altar darauf nicht sollte geopfert werden, war
eine annoch unbekannte Subtilität. Man hätte
sagen können: Sie hätten einen Altar gebauet,
und auch: Sie hätten keinen gebauet. Unter-
dessen kam die Nachricht vor die übrigen Stäm-

me:
M 5

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
ten in eine Klage gebracht, und mithin dem Han-
del eine gewiſſe Geſtalt gegeben hat, welches,
wenn der Handel verwirrt iſt, allerdings noͤthig
iſt (§. 27. C. 6.); merckt etwa wohl was der
Gegner und Beklagte vor Umſtaͤnde des Han-
dels zu ſeinem Behuf anfuͤhren, und der Sache
eine andere Geſtalt geben koͤnne und werde: Der
Richter aber, der die Klage annimmt, und davon
weiter nichts weiß, als was in der Klage erzehlt
wird, kan nicht wiſſen, noch vermuthen, was der
Beklagte der Sache vor eine Geſtalt geben wird;
und muß daher, wenn der Klaͤger auch alle moͤg-
liche Verſicherung gaͤbe und geben koͤnnte, daß er
nichts anders, als die Wahrheit vorgebracht habe,
vor dem Urtheilfaͤllen den Beklagten hoͤren, nach
der Regel: Audiatur eſt altera pars. Denn
das iſt nicht zu laͤugnen, und ein Richter muß das
uͤberhaupt wiſſen, daß die Menſchen ihre Geſchaͤff-
te ſo verwickeln, verwirren, und ſonderbar einrich-
ten koͤnnen, daß die Sache gantz auf verſchiedene Art
angeſehen werden kan, und beyde Partheyen vie-
les vor ſich haben.
Die Staͤmme Jſrael,
welche nach vollendeten Kriegen in Canaan uͤber
den Jordan in ihr Erbtheil zuruͤck giengen, baue-
ten ſich einen Altar, und nahmen dadurch eine
Handlung vor, die noch keine bekannte Geſtalt
hatte: Denn ein Altar iſt zum opfern: Und ein
Altar darauf nicht ſollte geopfert werden, war
eine annoch unbekannte Subtilitaͤt. Man haͤtte
ſagen koͤnnen: Sie haͤtten einen Altar gebauet,
und auch: Sie haͤtten keinen gebauet. Unter-
deſſen kam die Nachricht vor die uͤbrigen Staͤm-

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M 5
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[185/0221] v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ten in eine Klage gebracht, und mithin dem Han- del eine gewiſſe Geſtalt gegeben hat, welches, wenn der Handel verwirrt iſt, allerdings noͤthig iſt (§. 27. C. 6.); merckt etwa wohl was der Gegner und Beklagte vor Umſtaͤnde des Han- dels zu ſeinem Behuf anfuͤhren, und der Sache eine andere Geſtalt geben koͤnne und werde: Der Richter aber, der die Klage annimmt, und davon weiter nichts weiß, als was in der Klage erzehlt wird, kan nicht wiſſen, noch vermuthen, was der Beklagte der Sache vor eine Geſtalt geben wird; und muß daher, wenn der Klaͤger auch alle moͤg- liche Verſicherung gaͤbe und geben koͤnnte, daß er nichts anders, als die Wahrheit vorgebracht habe, vor dem Urtheilfaͤllen den Beklagten hoͤren, nach der Regel: Audiatur eſt altera pars. Denn das iſt nicht zu laͤugnen, und ein Richter muß das uͤberhaupt wiſſen, daß die Menſchen ihre Geſchaͤff- te ſo verwickeln, verwirren, und ſonderbar einrich- ten koͤnnen, daß die Sache gantz auf verſchiedene Art angeſehen werden kan, und beyde Partheyen vie- les vor ſich haben. Die Staͤmme Jſrael, welche nach vollendeten Kriegen in Canaan uͤber den Jordan in ihr Erbtheil zuruͤck giengen, baue- ten ſich einen Altar, und nahmen dadurch eine Handlung vor, die noch keine bekannte Geſtalt hatte: Denn ein Altar iſt zum opfern: Und ein Altar darauf nicht ſollte geopfert werden, war eine annoch unbekannte Subtilitaͤt. Man haͤtte ſagen koͤnnen: Sie haͤtten einen Altar gebauet, und auch: Sie haͤtten keinen gebauet. Unter- deſſen kam die Nachricht vor die uͤbrigen Staͤm- me: M 5

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/221>, abgerufen am 22.11.2024.