Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Capitel,
nem Sehepunckte erzehlen, denn sonst würden al-
le Erzehlungen partheyisch seyn.

§. 34.
Wahrer Begriff einer unpartheyischen
Erzehlung.

Will man nun etwa eine unpartheyische Er-
zehlung diejenige nennen, die von einem blossen
Zuschauer
herrühret, das ist, von einem Frem-
den (§. 16. C. 5.): so ist dennoch der Fremde
nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die
Sache doch gefällt, oder mißfällt, wodurch er zu
einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.):
und daher eines eher als das andere bemerckt
(§. cit.). Das schlimste aber ist, daß denen
Fremden allzu vieles geheim ist (§. 16. C. 5.), daß
also gemeiniglich nur sehr weniges von ihm zu er-
fahren ist, und also meist vergebens ist, von sol-
chen Zuschauern Erzehlungen zu verlangen. Un-
partheyisch
erzehlen kan daher nichts anders
heissen, als die Sache erzehlen, ohne daß man
das geringste darin vorsetzlich verdrehet oder ver-
dunckelt: oder sie nach seinem besten Wissen und
Gewissen erzehlen: so wie hingegen eine par-
theyische
Erzehlung nichts anders als eine Ver-
drehung der Geschichte ist. Ob aber in der Er-
zehlung eine solche Verdunckelung oder Verdre-
hung etwa vorgefallen, das kan man am besten
aus Zusammenhaltung zweyer Erzehlungen aus
entgegen gesetzten Sehepunckten, abneh-
men. Denn was der eine entweder vorsetzlich,
oder nach Beschaffenheit seines Sehepunckts kürtz-

lich

Sechſtes Capitel,
nem Sehepunckte erzehlen, denn ſonſt wuͤrden al-
le Erzehlungen partheyiſch ſeyn.

§. 34.
Wahrer Begriff einer unpartheyiſchen
Erzehlung.

Will man nun etwa eine unpartheyiſche Er-
zehlung diejenige nennen, die von einem bloſſen
Zuſchauer
herruͤhret, das iſt, von einem Frem-
den (§. 16. C. 5.): ſo iſt dennoch der Fremde
nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die
Sache doch gefaͤllt, oder mißfaͤllt, wodurch er zu
einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.):
und daher eines eher als das andere bemerckt
(§. cit.). Das ſchlimſte aber iſt, daß denen
Fremden allzu vieles geheim iſt (§. 16. C. 5.), daß
alſo gemeiniglich nur ſehr weniges von ihm zu er-
fahren iſt, und alſo meiſt vergebens iſt, von ſol-
chen Zuſchauern Erzehlungen zu verlangen. Un-
partheyiſch
erzehlen kan daher nichts anders
heiſſen, als die Sache erzehlen, ohne daß man
das geringſte darin vorſetzlich verdrehet oder ver-
dunckelt: oder ſie nach ſeinem beſten Wiſſen und
Gewiſſen erzehlen: ſo wie hingegen eine par-
theyiſche
Erzehlung nichts anders als eine Ver-
drehung der Geſchichte iſt. Ob aber in der Er-
zehlung eine ſolche Verdunckelung oder Verdre-
hung etwa vorgefallen, das kan man am beſten
aus Zuſammenhaltung zweyer Erzehlungen aus
entgegen geſetzten Sehepunckten, abneh-
men. Denn was der eine entweder vorſetzlich,
oder nach Beſchaffenheit ſeines Sehepunckts kuͤrtz-

lich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sech&#x017F;tes Capitel,</hi></fw><lb/>
nem Sehepunckte erzehlen, denn &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rden al-<lb/>
le Erzehlungen partheyi&#x017F;ch &#x017F;eyn.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 34.<lb/>
Wahrer Begriff einer unpartheyi&#x017F;chen<lb/>
Erzehlung.</head><lb/>
          <p>Will man nun etwa eine unpartheyi&#x017F;che Er-<lb/>
zehlung diejenige nennen, die von einem <hi rendition="#fr">blo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Zu&#x017F;chauer</hi> herru&#x0364;hret, das i&#x017F;t, von einem Frem-<lb/>
den (§. 16. C. 5.): &#x017F;o i&#x017F;t dennoch der Fremde<lb/>
nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die<lb/>
Sache doch gefa&#x0364;llt, oder mißfa&#x0364;llt, wodurch er zu<lb/>
einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.):<lb/>
und daher eines eher als das andere bemerckt<lb/>
(§. <hi rendition="#aq">cit.</hi>). Das &#x017F;chlim&#x017F;te aber i&#x017F;t, daß denen<lb/>
Fremden allzu vieles geheim i&#x017F;t (§. 16. C. 5.), daß<lb/>
al&#x017F;o gemeiniglich nur &#x017F;ehr weniges von ihm zu er-<lb/>
fahren i&#x017F;t, und al&#x017F;o mei&#x017F;t vergebens i&#x017F;t, von &#x017F;ol-<lb/>
chen Zu&#x017F;chauern Erzehlungen zu verlangen. <hi rendition="#fr">Un-<lb/>
partheyi&#x017F;ch</hi> erzehlen kan daher nichts anders<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;en, als die Sache erzehlen, ohne daß man<lb/>
das gering&#x017F;te darin vor&#x017F;etzlich verdrehet oder ver-<lb/>
dunckelt: oder &#x017F;ie nach &#x017F;einem be&#x017F;ten Wi&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en erzehlen: &#x017F;o wie hingegen eine <hi rendition="#fr">par-<lb/>
theyi&#x017F;che</hi> Erzehlung nichts anders als eine Ver-<lb/>
drehung der Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t. Ob aber in der Er-<lb/>
zehlung eine &#x017F;olche Verdunckelung oder Verdre-<lb/>
hung etwa vorgefallen, das kan man am be&#x017F;ten<lb/>
aus Zu&#x017F;ammenhaltung zweyer Erzehlungen aus<lb/><hi rendition="#fr">entgegen ge&#x017F;etzten Sehepunckten,</hi> abneh-<lb/>
men. Denn was der eine entweder vor&#x017F;etzlich,<lb/>
oder nach Be&#x017F;chaffenheit &#x017F;eines Sehepunckts <hi rendition="#fr">ku&#x0364;rtz-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">lich</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0188] Sechſtes Capitel, nem Sehepunckte erzehlen, denn ſonſt wuͤrden al- le Erzehlungen partheyiſch ſeyn. §. 34. Wahrer Begriff einer unpartheyiſchen Erzehlung. Will man nun etwa eine unpartheyiſche Er- zehlung diejenige nennen, die von einem bloſſen Zuſchauer herruͤhret, das iſt, von einem Frem- den (§. 16. C. 5.): ſo iſt dennoch der Fremde nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die Sache doch gefaͤllt, oder mißfaͤllt, wodurch er zu einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.): und daher eines eher als das andere bemerckt (§. cit.). Das ſchlimſte aber iſt, daß denen Fremden allzu vieles geheim iſt (§. 16. C. 5.), daß alſo gemeiniglich nur ſehr weniges von ihm zu er- fahren iſt, und alſo meiſt vergebens iſt, von ſol- chen Zuſchauern Erzehlungen zu verlangen. Un- partheyiſch erzehlen kan daher nichts anders heiſſen, als die Sache erzehlen, ohne daß man das geringſte darin vorſetzlich verdrehet oder ver- dunckelt: oder ſie nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen erzehlen: ſo wie hingegen eine par- theyiſche Erzehlung nichts anders als eine Ver- drehung der Geſchichte iſt. Ob aber in der Er- zehlung eine ſolche Verdunckelung oder Verdre- hung etwa vorgefallen, das kan man am beſten aus Zuſammenhaltung zweyer Erzehlungen aus entgegen geſetzten Sehepunckten, abneh- men. Denn was der eine entweder vorſetzlich, oder nach Beſchaffenheit ſeines Sehepunckts kuͤrtz- lich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/188
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/188>, abgerufen am 13.11.2024.