Stückgen derselben eintzeln und vor sich wahr sind, sondern sie müssen auch so geordnet und verbun- den seyn, daß nicht durch die Zusammenfügung irrige Vorstellungen veranlasset werden. Denn auch lauter wahre Stücken eintzeln genommen, können durch die Art der Verbindung die Sache verfälschen und verdrehen. Solche schädliche Kunststücke haben bisher mit desto mehrerm Er- folg von bösen Leuten können getrieben werden, da man in der gelehrten Welt keine deutlichen Begriffe gehabt, wie eine Erzehlung entstehe; auch die Sophistereyen, die zumahl in der al- ten Logick sorgfältig bemerckt worden, von den historischen Sophistereyen und Verdrehun- gen gar sehr unterschieden sind. Verdunckeln, Vergrössern, Verkleinern, darum hat man sich in der Vernunfftlehre nicht bekümmert.
§. 33. Ungegründeter Begriff von einer unpar- theyischen Erzehlung.
Jeder wünschet sich, wenn er von einer Sa- che unterrichtet seyn will, eine unpartheyische Erzehlung, oder Nachricht. Diese Art von Erzehlungen ist also von grosser Wichtigkeit; aber der Begriff derselben ist so wenig, als der Be- griff einer partheyischen Erzehlung genau be- stimmt. Es ist nehmlich bey einer Erzehlung nicht zu vermeiden, daß jeder die Geschichte nach seinem Sehepunckte ansehe; und sie also auch nach demselben erzehle. Denn sie setzet einen Zu- schauer voraus (§. 1. C. 4.), und der kan ohne
Sehe-
Sechſtes Capitel,
Stuͤckgen derſelben eintzeln und vor ſich wahr ſind, ſondern ſie muͤſſen auch ſo geordnet und verbun- den ſeyn, daß nicht durch die Zuſammenfuͤgung irrige Vorſtellungen veranlaſſet werden. Denn auch lauter wahre Stuͤcken eintzeln genommen, koͤnnen durch die Art der Verbindung die Sache verfaͤlſchen und verdrehen. Solche ſchaͤdliche Kunſtſtuͤcke haben bisher mit deſto mehrerm Er- folg von boͤſen Leuten koͤnnen getrieben werden, da man in der gelehrten Welt keine deutlichen Begriffe gehabt, wie eine Erzehlung entſtehe; auch die Sophiſtereyen, die zumahl in der al- ten Logick ſorgfaͤltig bemerckt worden, von den hiſtoriſchen Sophiſtereyen und Verdrehun- gen gar ſehr unterſchieden ſind. Verdunckeln, Vergroͤſſern, Verkleinern, darum hat man ſich in der Vernunfftlehre nicht bekuͤmmert.
§. 33. Ungegruͤndeter Begriff von einer unpar- theyiſchen Erzehlung.
Jeder wuͤnſchet ſich, wenn er von einer Sa- che unterrichtet ſeyn will, eine unpartheyiſche Erzehlung, oder Nachricht. Dieſe Art von Erzehlungen iſt alſo von groſſer Wichtigkeit; aber der Begriff derſelben iſt ſo wenig, als der Be- griff einer partheyiſchen Erzehlung genau be- ſtimmt. Es iſt nehmlich bey einer Erzehlung nicht zu vermeiden, daß jeder die Geſchichte nach ſeinem Sehepunckte anſehe; und ſie alſo auch nach demſelben erzehle. Denn ſie ſetzet einen Zu- ſchauer voraus (§. 1. C. 4.), und der kan ohne
Sehe-
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Sechſtes Capitel,
Stuͤckgen derſelben eintzeln und vor ſich wahr ſind,
ſondern ſie muͤſſen auch ſo geordnet und verbun-
den ſeyn, daß nicht durch die Zuſammenfuͤgung
irrige Vorſtellungen veranlaſſet werden. Denn
auch lauter wahre Stuͤcken eintzeln genommen,
koͤnnen durch die Art der Verbindung die Sache
verfaͤlſchen und verdrehen. Solche ſchaͤdliche
Kunſtſtuͤcke haben bisher mit deſto mehrerm Er-
folg von boͤſen Leuten koͤnnen getrieben werden,
da man in der gelehrten Welt keine deutlichen
Begriffe gehabt, wie eine Erzehlung entſtehe;
auch die Sophiſtereyen, die zumahl in der al-
ten Logick ſorgfaͤltig bemerckt worden, von den
hiſtoriſchen Sophiſtereyen und Verdrehun-
gen gar ſehr unterſchieden ſind. Verdunckeln,
Vergroͤſſern, Verkleinern, darum hat man ſich
in der Vernunfftlehre nicht bekuͤmmert.
§. 33.
Ungegruͤndeter Begriff von einer unpar-
theyiſchen Erzehlung.
Jeder wuͤnſchet ſich, wenn er von einer Sa-
che unterrichtet ſeyn will, eine unpartheyiſche
Erzehlung, oder Nachricht. Dieſe Art von
Erzehlungen iſt alſo von groſſer Wichtigkeit; aber
der Begriff derſelben iſt ſo wenig, als der Be-
griff einer partheyiſchen Erzehlung genau be-
ſtimmt. Es iſt nehmlich bey einer Erzehlung
nicht zu vermeiden, daß jeder die Geſchichte nach
ſeinem Sehepunckte anſehe; und ſie alſo auch
nach demſelben erzehle. Denn ſie ſetzet einen Zu-
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/186>, abgerufen am 03.03.2025.
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