die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art der Geschäffte und Händel kan gerechnet werden. Und derjenige verstümmelt die Erzehlung, der Umstände weglässet, worauf doch die Gerechtig- keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet.
§. 28. Wie man Geschichte erläutert.
Manche Begebenheiten veranlassen bey de- nen, die sie hören, gleich gewisse conclusiones, die sich zwar nicht rechtfertigen lassen, aber doch fast bey allen Menschen entstehen: als z. E. wenn man die Sache nicht begreiffen kan, daß man sie vor erdichtet hält: wenn uns was nach- theiliges widerfähret, daß wir glauben, es sey uns zum Verdruß geschehen: wenn jemand was thut, daß er es gerne gethan habe; daß er es zu thun geneigt sey, und wohl nicht das erste mahl gethan habe. Der- gleichen meist ungegründete Urtheile oder Folge- rungen aber fallen hinweg, und werden wider- legt, wenn man die Sache umständlicher erzehlet, dergestalt, daß auch der Grund der Handlung eingesehen wird. Die Erläuterung eines Puncktes, oder einer Begebenheit, ist nur eine solche ausführliche Erzehlung, die bloß nachtheili- ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer also eine Geschichte gründlich erzehlen will, der ist allerdings verbunden, dergleichen nachtheili- gen Urtheilen zu begegnen und sie zu heben: und es ist ein Theil der Klugheit eines politischen Ge- schichtschreibers, daß er dergleichen nachtheilige
Ur-
Sechſtes Capitel,
die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art der Geſchaͤffte und Haͤndel kan gerechnet werden. Und derjenige verſtuͤmmelt die Erzehlung, der Umſtaͤnde weglaͤſſet, worauf doch die Gerechtig- keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet.
§. 28. Wie man Geſchichte erlaͤutert.
Manche Begebenheiten veranlaſſen bey de- nen, die ſie hoͤren, gleich gewiſſe concluſiones, die ſich zwar nicht rechtfertigen laſſen, aber doch faſt bey allen Menſchen entſtehen: als z. E. wenn man die Sache nicht begreiffen kan, daß man ſie vor erdichtet haͤlt: wenn uns was nach- theiliges widerfaͤhret, daß wir glauben, es ſey uns zum Verdruß geſchehen: wenn jemand was thut, daß er es gerne gethan habe; daß er es zu thun geneigt ſey, und wohl nicht das erſte mahl gethan habe. Der- gleichen meiſt ungegruͤndete Urtheile oder Folge- rungen aber fallen hinweg, und werden wider- legt, wenn man die Sache umſtaͤndlicher erzehlet, dergeſtalt, daß auch der Grund der Handlung eingeſehen wird. Die Erlaͤuterung eines Puncktes, oder einer Begebenheit, iſt nur eine ſolche ausfuͤhrliche Erzehlung, die bloß nachtheili- ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer alſo eine Geſchichte gruͤndlich erzehlen will, der iſt allerdings verbunden, dergleichen nachtheili- gen Urtheilen zu begegnen und ſie zu heben: und es iſt ein Theil der Klugheit eines politiſchen Ge- ſchichtſchreibers, daß er dergleichen nachtheilige
Ur-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0182"n="146"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sechſtes Capitel,</hi></fw><lb/>
die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art<lb/>
der Geſchaͤffte und Haͤndel kan gerechnet werden.<lb/>
Und derjenige verſtuͤmmelt die Erzehlung, der<lb/>
Umſtaͤnde weglaͤſſet, worauf doch die Gerechtig-<lb/>
keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 28.<lb/>
Wie man Geſchichte erlaͤutert.</head><lb/><p>Manche Begebenheiten veranlaſſen bey de-<lb/>
nen, die ſie hoͤren, gleich gewiſſe <hirendition="#aq">concluſiones,</hi><lb/>
die ſich zwar nicht rechtfertigen laſſen, aber doch<lb/>
faſt bey allen Menſchen entſtehen: als z. E. wenn<lb/>
man die Sache nicht begreiffen kan, <hirendition="#fr">daß man<lb/>ſie vor erdichtet haͤlt:</hi> wenn uns was nach-<lb/>
theiliges widerfaͤhret, daß wir glauben, <hirendition="#fr">es ſey<lb/>
uns zum Verdruß geſchehen:</hi> wenn jemand<lb/>
was thut, <hirendition="#fr">daß er es gerne gethan habe;<lb/>
daß er es zu thun geneigt ſey,</hi> und wohl<lb/><hirendition="#fr">nicht das erſte mahl gethan habe.</hi> Der-<lb/>
gleichen meiſt ungegruͤndete Urtheile oder Folge-<lb/>
rungen aber fallen hinweg, und werden wider-<lb/>
legt, wenn man die Sache umſtaͤndlicher erzehlet,<lb/>
dergeſtalt, daß auch der <hirendition="#fr">Grund der Handlung</hi><lb/>
eingeſehen wird. Die <hirendition="#fr">Erlaͤuterung</hi> eines<lb/>
Puncktes, oder einer Begebenheit, iſt nur eine<lb/>ſolche ausfuͤhrliche Erzehlung, die bloß nachtheili-<lb/>
ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer<lb/>
alſo eine Geſchichte <hirendition="#fr">gruͤndlich</hi> erzehlen will, der<lb/>
iſt allerdings verbunden, dergleichen nachtheili-<lb/>
gen Urtheilen zu begegnen und ſie zu heben: und<lb/>
es iſt ein Theil der Klugheit eines politiſchen Ge-<lb/>ſchichtſchreibers, daß er dergleichen nachtheilige<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ur-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[146/0182]
Sechſtes Capitel,
die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art
der Geſchaͤffte und Haͤndel kan gerechnet werden.
Und derjenige verſtuͤmmelt die Erzehlung, der
Umſtaͤnde weglaͤſſet, worauf doch die Gerechtig-
keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet.
§. 28.
Wie man Geſchichte erlaͤutert.
Manche Begebenheiten veranlaſſen bey de-
nen, die ſie hoͤren, gleich gewiſſe concluſiones,
die ſich zwar nicht rechtfertigen laſſen, aber doch
faſt bey allen Menſchen entſtehen: als z. E. wenn
man die Sache nicht begreiffen kan, daß man
ſie vor erdichtet haͤlt: wenn uns was nach-
theiliges widerfaͤhret, daß wir glauben, es ſey
uns zum Verdruß geſchehen: wenn jemand
was thut, daß er es gerne gethan habe;
daß er es zu thun geneigt ſey, und wohl
nicht das erſte mahl gethan habe. Der-
gleichen meiſt ungegruͤndete Urtheile oder Folge-
rungen aber fallen hinweg, und werden wider-
legt, wenn man die Sache umſtaͤndlicher erzehlet,
dergeſtalt, daß auch der Grund der Handlung
eingeſehen wird. Die Erlaͤuterung eines
Puncktes, oder einer Begebenheit, iſt nur eine
ſolche ausfuͤhrliche Erzehlung, die bloß nachtheili-
ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer
alſo eine Geſchichte gruͤndlich erzehlen will, der
iſt allerdings verbunden, dergleichen nachtheili-
gen Urtheilen zu begegnen und ſie zu heben: und
es iſt ein Theil der Klugheit eines politiſchen Ge-
ſchichtſchreibers, daß er dergleichen nachtheilige
Ur-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/182>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.