Auch wird eine Sache und Begebenheit ver- dunckelt, wenn man sie auf einer andern Seite vorstellig macht, als sie in die gegenwärtige und vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es hat jemand im Gerichte einen Termin versäumt: er erzehlt und beklagt seinen Unfall mit Anfüh- rung dieses Umstandes, daß er eben eine nöthige Reise vorgehabt hätte. So lässet sich vor gemei- nen Ohren, als ein Unglücksfall, der Mitleiden verdienet, hören; da doch dieser Umstand nach der Proceßordnung zur Sache gar nichts beyträgt, weil er, seiner Reise unbeschadet, per mandata- rium hätte erscheinen können. Er erzehlet also die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen Geschäfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel, nach den Jdeen der Proceßordnung sollte angese- hen werden. Es wird jemand wegen seines Exa- mens befragt; er giebt die Zeit desselben an, und den Umstand: es wären mehrere dabey gewesen, die zugleich geprüft wurden, und wir erhielten ein gutes Lob, eine gute Censur. Es kan seyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieser Zufall, ja selbst die Muthmassung, welche etwa von ohngefehr entstehen könnte, wird durch diese Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im übrigen sich dadurch rechtfertigen lässet; daß man ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re- det, die Eigenschafft der meisten, oder auch der vornehmsten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen
bey-
v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
§. 24. Dritte Art der Verdunckelung.
Auch wird eine Sache und Begebenheit ver- dunckelt, wenn man ſie auf einer andern Seite vorſtellig macht, als ſie in die gegenwaͤrtige und vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es hat jemand im Gerichte einen Termin verſaͤumt: er erzehlt und beklagt ſeinen Unfall mit Anfuͤh- rung dieſes Umſtandes, daß er eben eine noͤthige Reiſe vorgehabt haͤtte. So laͤſſet ſich vor gemei- nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden verdienet, hoͤren; da doch dieſer Umſtand nach der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt, weil er, ſeiner Reiſe unbeſchadet, per mandata- rium haͤtte erſcheinen koͤnnen. Er erzehlet alſo die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen Geſchaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel, nach den Jdeen der Proceßordnung ſollte angeſe- hen werden. Es wird jemand wegen ſeines Exa- mens befragt; er giebt die Zeit deſſelben an, und den Umſtand: es waͤren mehrere dabey geweſen, die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten ein gutes Lob, eine gute Cenſur. Es kan ſeyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieſer Zufall, ja ſelbſt die Muthmaſſung, welche etwa von ohngefehr entſtehen koͤnnte, wird durch dieſe Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im uͤbrigen ſich dadurch rechtfertigen laͤſſet; daß man ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re- det, die Eigenſchafft der meiſten, oder auch der vornehmſten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen
bey-
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
§. 24.
Dritte Art der Verdunckelung.
Auch wird eine Sache und Begebenheit ver-
dunckelt, wenn man ſie auf einer andern Seite
vorſtellig macht, als ſie in die gegenwaͤrtige und
vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es
hat jemand im Gerichte einen Termin verſaͤumt:
er erzehlt und beklagt ſeinen Unfall mit Anfuͤh-
rung dieſes Umſtandes, daß er eben eine noͤthige
Reiſe vorgehabt haͤtte. So laͤſſet ſich vor gemei-
nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden
verdienet, hoͤren; da doch dieſer Umſtand nach
der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt,
weil er, ſeiner Reiſe unbeſchadet, per mandata-
rium haͤtte erſcheinen koͤnnen. Er erzehlet alſo
die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen
Geſchaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel,
nach den Jdeen der Proceßordnung ſollte angeſe-
hen werden. Es wird jemand wegen ſeines Exa-
mens befragt; er giebt die Zeit deſſelben an, und
den Umſtand: es waͤren mehrere dabey geweſen,
die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten
ein gutes Lob, eine gute Cenſur. Es kan
ſeyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieſer
Zufall, ja ſelbſt die Muthmaſſung, welche etwa
von ohngefehr entſtehen koͤnnte, wird durch dieſe
Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im
uͤbrigen ſich dadurch rechtfertigen laͤſſet; daß man
ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re-
det, die Eigenſchafft der meiſten, oder auch der
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/177>, abgerufen am 13.11.2024.
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