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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Sechstes Capitel,
und jedes aufzuschreiben, was ihnen von der Sa-
che bekannt ist: eine mündliche Ausführung und
ad unum actum, wird so niemahls vollständig.
Und die wenigsten Personen, welche Zuschauer
von wichtigen Begebenheiten abgeben, haben den
Willen vor die gantze Welt zu schreiben. Mit-
hin werden die Erzehlungen gemeiniglich nicht
bloß wegen der Belehrung und des Unter-
richts
vor die, die nicht gegenwärtig gewesen,
abgefasset: sondern in einer gewissen Absicht,
und etwas dadurch zu erhalten. Ein Notarius
beschreibt eine gewisse Begebenheit in seinem Jn-
strumente, damit im Fall eines erfolgenden Pro-
cesses
der Richter hinlänglich und zuverläßig
davon unterrichtet sey. Vor Gerichte erzehlet
jeder seine Geschichte, oder lässet sie durch seinen
Advocaten erzehlen, um eine gewisse Sententz zu
erhalten. Fürsten lassen den Verlauff entstan-
dener Jrrungen mit ihren Nachbarn bekannt ma-
chen, um die Gerechtigkeit ihres Verfahrens der
Welt vor Augen zu legen, oder gewisse Vorbil-
dungen, die sich der gemeine Mann macht, zu
widerlegen. Erzehlungen nun, die bloß zum
Unterricht derer, die die Begebenheit nicht wissen,
abgefasset werden, wollen wir gelehrte Erzeh-
lungen
nennen, weil sonst niemand als Gelehr-
te dergleichen Nachrichten aufsetzen wird: die aber
in einer gewissen Absicht abgefasset werden, sol-
len politische Erzehlungen heissen. Wir se-
hen also hier gar nicht auf das Objeckt der Erzeh-
lung: sondern lediglich auf die Art der Erzehlung,
wie sie aus der verschiedenen Absicht flüsset.

§. 20.

Sechſtes Capitel,
und jedes aufzuſchreiben, was ihnen von der Sa-
che bekannt iſt: eine muͤndliche Ausfuͤhrung und
ad unum actum, wird ſo niemahls vollſtaͤndig.
Und die wenigſten Perſonen, welche Zuſchauer
von wichtigen Begebenheiten abgeben, haben den
Willen vor die gantze Welt zu ſchreiben. Mit-
hin werden die Erzehlungen gemeiniglich nicht
bloß wegen der Belehrung und des Unter-
richts
vor die, die nicht gegenwaͤrtig geweſen,
abgefaſſet: ſondern in einer gewiſſen Abſicht,
und etwas dadurch zu erhalten. Ein Notarius
beſchreibt eine gewiſſe Begebenheit in ſeinem Jn-
ſtrumente, damit im Fall eines erfolgenden Pro-
ceſſes
der Richter hinlaͤnglich und zuverlaͤßig
davon unterrichtet ſey. Vor Gerichte erzehlet
jeder ſeine Geſchichte, oder laͤſſet ſie durch ſeinen
Advocaten erzehlen, um eine gewiſſe Sententz zu
erhalten. Fuͤrſten laſſen den Verlauff entſtan-
dener Jrrungen mit ihren Nachbarn bekannt ma-
chen, um die Gerechtigkeit ihres Verfahrens der
Welt vor Augen zu legen, oder gewiſſe Vorbil-
dungen, die ſich der gemeine Mann macht, zu
widerlegen. Erzehlungen nun, die bloß zum
Unterricht derer, die die Begebenheit nicht wiſſen,
abgefaſſet werden, wollen wir gelehrte Erzeh-
lungen
nennen, weil ſonſt niemand als Gelehr-
te dergleichen Nachrichten aufſetzen wird: die aber
in einer gewiſſen Abſicht abgefaſſet werden, ſol-
len politiſche Erzehlungen heiſſen. Wir ſe-
hen alſo hier gar nicht auf das Objeckt der Erzeh-
lung: ſondern lediglich auf die Art der Erzehlung,
wie ſie aus der verſchiedenen Abſicht fluͤſſet.

§. 20.
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[136/0172] Sechſtes Capitel, und jedes aufzuſchreiben, was ihnen von der Sa- che bekannt iſt: eine muͤndliche Ausfuͤhrung und ad unum actum, wird ſo niemahls vollſtaͤndig. Und die wenigſten Perſonen, welche Zuſchauer von wichtigen Begebenheiten abgeben, haben den Willen vor die gantze Welt zu ſchreiben. Mit- hin werden die Erzehlungen gemeiniglich nicht bloß wegen der Belehrung und des Unter- richts vor die, die nicht gegenwaͤrtig geweſen, abgefaſſet: ſondern in einer gewiſſen Abſicht, und etwas dadurch zu erhalten. Ein Notarius beſchreibt eine gewiſſe Begebenheit in ſeinem Jn- ſtrumente, damit im Fall eines erfolgenden Pro- ceſſes der Richter hinlaͤnglich und zuverlaͤßig davon unterrichtet ſey. Vor Gerichte erzehlet jeder ſeine Geſchichte, oder laͤſſet ſie durch ſeinen Advocaten erzehlen, um eine gewiſſe Sententz zu erhalten. Fuͤrſten laſſen den Verlauff entſtan- dener Jrrungen mit ihren Nachbarn bekannt ma- chen, um die Gerechtigkeit ihres Verfahrens der Welt vor Augen zu legen, oder gewiſſe Vorbil- dungen, die ſich der gemeine Mann macht, zu widerlegen. Erzehlungen nun, die bloß zum Unterricht derer, die die Begebenheit nicht wiſſen, abgefaſſet werden, wollen wir gelehrte Erzeh- lungen nennen, weil ſonſt niemand als Gelehr- te dergleichen Nachrichten aufſetzen wird: die aber in einer gewiſſen Abſicht abgefaſſet werden, ſol- len politiſche Erzehlungen heiſſen. Wir ſe- hen alſo hier gar nicht auf das Objeckt der Erzeh- lung: ſondern lediglich auf die Art der Erzehlung, wie ſie aus der verſchiedenen Abſicht fluͤſſet. §. 20.

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/172>, abgerufen am 23.11.2024.