mahl weit von einander entfernet sind, gemeini- glich andere Sitten und andere Religion haben, ob der, der einer Begebenheit zusiehet, aus eben dem Lande sey, oder nicht? Der Unterschied ist, daß wenn eine Geschichte und Begebenheit einen Zuschauer von gantz fremden Sitten hat, er sich ein gantz ander Bild und Vorstellung davon macht, als die Einheimischen vermuthen; und die Sache diesen selbst fremde vorkommt, wenn sie sie nach des Ausländers Gedenckart erzehlen und beschrei- ben hören. Die Verfasser der Jüdischen, Per- sischen und Chinesischen Brieffe haben durch An- nehmung einer solchen fremden Gedenckart, de- nen bey uns bekanntesten Sachen ein gantz ander Ansehen zu geben gewust. Wir müssen aber die- ses etwas näher erklären.
§. 24. Nach was vor einer Regel die Anschauungs urtheile gemacht werden.
Der Mensch braucht zwar, als ein Zuschauer, seine fünff Sinne; aber nicht allein: er nimmt dabey auch die Vernunfft zu Hülffe; das ist: sei- ne Seele ist mit einer grossen Menge allgemei- ner Begriffe angefüllet, die er bey vorkommen- den eintzeln Empfindungen gleich anwendet; der- gestalt, daß er seine Empfindungen mit denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen, so viel als möglich, verknüpfft. Z. E. Es siehet jemand ei- nen Stein, der sehr funckelt; dieser wird gleich diese beyden Eigenschafften und die Empfindungen, die er davon hat, zusammen nehmen, und solches
nicht
Fuͤnfftes Capitel,
mahl weit von einander entfernet ſind, gemeini- glich andere Sitten und andere Religion haben, ob der, der einer Begebenheit zuſiehet, aus eben dem Lande ſey, oder nicht? Der Unterſchied iſt, daß wenn eine Geſchichte und Begebenheit einen Zuſchauer von gantz fremden Sitten hat, er ſich ein gantz ander Bild und Vorſtellung davon macht, als die Einheimiſchen vermuthen; und die Sache dieſen ſelbſt fremde vorkommt, wenn ſie ſie nach des Auslaͤnders Gedenckart erzehlen und beſchrei- ben hoͤren. Die Verfaſſer der Juͤdiſchen, Per- ſiſchen und Chineſiſchen Brieffe haben durch An- nehmung einer ſolchen fremden Gedenckart, de- nen bey uns bekannteſten Sachen ein gantz ander Anſehen zu geben gewuſt. Wir muͤſſen aber die- ſes etwas naͤher erklaͤren.
§. 24. Nach was vor einer Regel die Anſchauungs urtheile gemacht werden.
Der Menſch braucht zwar, als ein Zuſchauer, ſeine fuͤnff Sinne; aber nicht allein: er nimmt dabey auch die Vernunfft zu Huͤlffe; das iſt: ſei- ne Seele iſt mit einer groſſen Menge allgemei- ner Begriffe angefuͤllet, die er bey vorkommen- den eintzeln Empfindungen gleich anwendet; der- geſtalt, daß er ſeine Empfindungen mit denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen, ſo viel als moͤglich, verknuͤpfft. Z. E. Es ſiehet jemand ei- nen Stein, der ſehr funckelt; dieſer wird gleich dieſe beyden Eigenſchafften und die Empfindungen, die er davon hat, zuſammen nehmen, und ſolches
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Fuͤnfftes Capitel,
mahl weit von einander entfernet ſind, gemeini-
glich andere Sitten und andere Religion haben,
ob der, der einer Begebenheit zuſiehet, aus eben
dem Lande ſey, oder nicht? Der Unterſchied iſt,
daß wenn eine Geſchichte und Begebenheit einen
Zuſchauer von gantz fremden Sitten hat, er ſich
ein gantz ander Bild und Vorſtellung davon macht,
als die Einheimiſchen vermuthen; und die Sache
dieſen ſelbſt fremde vorkommt, wenn ſie ſie nach
des Auslaͤnders Gedenckart erzehlen und beſchrei-
ben hoͤren. Die Verfaſſer der Juͤdiſchen, Per-
ſiſchen und Chineſiſchen Brieffe haben durch An-
nehmung einer ſolchen fremden Gedenckart, de-
nen bey uns bekannteſten Sachen ein gantz ander
Anſehen zu geben gewuſt. Wir muͤſſen aber die-
ſes etwas naͤher erklaͤren.
§. 24.
Nach was vor einer Regel die Anſchauungs
urtheile gemacht werden.
Der Menſch braucht zwar, als ein Zuſchauer,
ſeine fuͤnff Sinne; aber nicht allein: er nimmt
dabey auch die Vernunfft zu Huͤlffe; das iſt: ſei-
ne Seele iſt mit einer groſſen Menge allgemei-
ner Begriffe angefuͤllet, die er bey vorkommen-
den eintzeln Empfindungen gleich anwendet; der-
geſtalt, daß er ſeine Empfindungen mit denen ihm
beywohnenden allgemeinen Begriffen, ſo viel als
moͤglich, verknuͤpfft. Z. E. Es ſiehet jemand ei-
nen Stein, der ſehr funckelt; dieſer wird gleich
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/146>, abgerufen am 03.03.2025.
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