sich Freunde der Sache finden. Der Unterscheid, der daraus im Anschauen und in der Vorstel- lung entstehet, ist dieser; daß, wer abgeneigt ist; welches der geringste Grad der Feindschafft ist, und also in allen Graden der Feindschafft ent- halten ist, 1. nicht die Aufmercksamkeit zur Sa- che bringt, als wie der Freund. Die Natur der Abneigung bringt dieses so mit sich, und nur die Begierde zu schaden kan einen Feind aufmerck- sam machen. 2. Daß dem Feinde das Böse und die Fehler allezeit mehr einleuchten, als das Gute; so wie hingegen der Freund auf das Gute allemahl aufmercksamer ist, als auf das Böse.
§. 19. Sehepunckt aus einer höhern und niedern Sphäre.
Ferner ist ein grosser und wichtiger Unter- scheid, ob man eine Sache aus einer höhern Sphäre ansiehet, oder aus einer niedrigen und geringern. Eine Handlung kan sowohl von einem Amsterdammer Kauffmanne, der nach Ost- und West-Jndien handelt, betrachtet werden, als von einem Landkrämer. Jeder von diesen wird sie gantz gewiß anders ansehen. Ein Car- dinal siehet ein Bißthum gewiß mit andern Au- gen an, als ein Canonicus bey einem kleinen Stiffte. Bey diesem Sehepunckte äussert sich der Unterschied darinne, daß, was dem einen ei- ne Kleinigkeit ist, das wird dem andern eine Sache von grosser Wichtigkeit seyn: was der eine übersiehet, das wird der andere sorgfältig
bemer-
Fuͤnfftes Capitel,
ſich Freunde der Sache finden. Der Unterſcheid, der daraus im Anſchauen und in der Vorſtel- lung entſtehet, iſt dieſer; daß, wer abgeneigt iſt; welches der geringſte Grad der Feindſchafft iſt, und alſo in allen Graden der Feindſchafft ent- halten iſt, 1. nicht die Aufmerckſamkeit zur Sa- che bringt, als wie der Freund. Die Natur der Abneigung bringt dieſes ſo mit ſich, und nur die Begierde zu ſchaden kan einen Feind aufmerck- ſam machen. 2. Daß dem Feinde das Boͤſe und die Fehler allezeit mehr einleuchten, als das Gute; ſo wie hingegen der Freund auf das Gute allemahl aufmerckſamer iſt, als auf das Boͤſe.
§. 19. Sehepunckt aus einer hoͤhern und niedern Sphaͤre.
Ferner iſt ein groſſer und wichtiger Unter- ſcheid, ob man eine Sache aus einer hoͤhern Sphaͤre anſiehet, oder aus einer niedrigen und geringern. Eine Handlung kan ſowohl von einem Amſterdammer Kauffmanne, der nach Oſt- und Weſt-Jndien handelt, betrachtet werden, als von einem Landkraͤmer. Jeder von dieſen wird ſie gantz gewiß anders anſehen. Ein Car- dinal ſiehet ein Bißthum gewiß mit andern Au- gen an, als ein Canonicus bey einem kleinen Stiffte. Bey dieſem Sehepunckte aͤuſſert ſich der Unterſchied darinne, daß, was dem einen ei- ne Kleinigkeit iſt, das wird dem andern eine Sache von groſſer Wichtigkeit ſeyn: was der eine uͤberſiehet, das wird der andere ſorgfaͤltig
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Fuͤnfftes Capitel,
ſich Freunde der Sache finden. Der Unterſcheid,
der daraus im Anſchauen und in der Vorſtel-
lung entſtehet, iſt dieſer; daß, wer abgeneigt iſt;
welches der geringſte Grad der Feindſchafft iſt,
und alſo in allen Graden der Feindſchafft ent-
halten iſt, 1. nicht die Aufmerckſamkeit zur Sa-
che bringt, als wie der Freund. Die Natur der
Abneigung bringt dieſes ſo mit ſich, und nur die
Begierde zu ſchaden kan einen Feind aufmerck-
ſam machen. 2. Daß dem Feinde das Boͤſe
und die Fehler allezeit mehr einleuchten, als das
Gute; ſo wie hingegen der Freund auf das Gute
allemahl aufmerckſamer iſt, als auf das Boͤſe.
§. 19.
Sehepunckt aus einer hoͤhern und niedern
Sphaͤre.
Ferner iſt ein groſſer und wichtiger Unter-
ſcheid, ob man eine Sache aus einer hoͤhern
Sphaͤre anſiehet, oder aus einer niedrigen
und geringern. Eine Handlung kan ſowohl
von einem Amſterdammer Kauffmanne, der nach
Oſt- und Weſt-Jndien handelt, betrachtet werden,
als von einem Landkraͤmer. Jeder von dieſen
wird ſie gantz gewiß anders anſehen. Ein Car-
dinal ſiehet ein Bißthum gewiß mit andern Au-
gen an, als ein Canonicus bey einem kleinen
Stiffte. Bey dieſem Sehepunckte aͤuſſert ſich
der Unterſchied darinne, daß, was dem einen ei-
ne Kleinigkeit iſt, das wird dem andern eine
Sache von groſſer Wichtigkeit ſeyn: was der
eine uͤberſiehet, das wird der andere ſorgfaͤltig
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/142>, abgerufen am 03.03.2025.
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