Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

vom Zuschauer und Sehepunckte.
schauen einer Geschichte von dem Stande abhan-
get, also wird das Anschauen einer Geschichte
ebenfalls von der Stelle eines jede[n] abhangen.

§. 10.
und nach seinem innerlichen Zustande.

Wenn Leute sich nicht allein in einerley Stand,
sondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja völ-
lig in einerley Stelle, (welches geschiehet, wenn
einer der Nachfolger des andern ist,) befinden, so
betrachten sie doch einerley Sache öffters nicht auf
einerley Art; sondern ihre Fähigkeit, Sitten,
schon habende Erkentniß, ja ihr gegenwärtiger
verdrießlicher oder frölicher Zustand macht, daß
sie verschiedene Umstände bemercken und zu Her-
tzen nehmen. Und so kan ein eintzelner Mensch
zu verschiedener Zeit, wegen des veränderten Zu-
standes seiner Seele, die Sache gantz mit andern
Augen
ansehen. Wie solches die tägliche Er-
fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der
Sache zufrieden ist, die uns den andern Tag höch-
stens mißfället, ohne daß sich die Umstände der-
selben geändert haben. Der blosse Zustand der
Seele, welcher nicht immer einerley ist, bringet
diese verschiedenen Vorstellungen hervor.

§. 11.
Stand, Stelle und Gemüthsverfassung ma-
chen einen Sehepunckt aus.

Bey cörperlichen Begebenheiten bemerckt man
den Sehepunckt, nach den drey verschiedenen Be-
griffen, die (§. 3.) fest gesetzt worden sind, weil
davon die Vorstellung der Sache, mithin die hi-

storische
G 2

vom Zuſchauer und Sehepunckte.
ſchauen einer Geſchichte von dem Stande abhan-
get, alſo wird das Anſchauen einer Geſchichte
ebenfalls von der Stelle eines jede[n] abhangen.

§. 10.
und nach ſeinem innerlichen Zuſtande.

Wenn Leute ſich nicht allein in einerley Stand,
ſondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl-
lig in einerley Stelle, (welches geſchiehet, wenn
einer der Nachfolger des andern iſt,) befinden, ſo
betrachten ſie doch einerley Sache oͤffters nicht auf
einerley Art; ſondern ihre Faͤhigkeit, Sitten,
ſchon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger
verdrießlicher oder froͤlicher Zuſtand macht, daß
ſie verſchiedene Umſtaͤnde bemercken und zu Her-
tzen nehmen. Und ſo kan ein eintzelner Menſch
zu verſchiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu-
ſtandes ſeiner Seele, die Sache gantz mit andern
Augen
anſehen. Wie ſolches die taͤgliche Er-
fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der
Sache zufrieden iſt, die uns den andern Tag hoͤch-
ſtens mißfaͤllet, ohne daß ſich die Umſtaͤnde der-
ſelben geaͤndert haben. Der bloſſe Zuſtand der
Seele, welcher nicht immer einerley iſt, bringet
dieſe verſchiedenen Vorſtellungen hervor.

§. 11.
Stand, Stelle und Gemuͤthsverfaſſung ma-
chen einen Sehepunckt aus.

Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man
den Sehepunckt, nach den drey verſchiedenen Be-
griffen, die (§. 3.) feſt geſetzt worden ſind, weil
davon die Vorſtellung der Sache, mithin die hi-

ſtoriſche
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="99"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">vom Zu&#x017F;chauer und Sehepunckte.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chauen einer Ge&#x017F;chichte von dem Stande abhan-<lb/>
get, al&#x017F;o wird das An&#x017F;chauen einer Ge&#x017F;chichte<lb/>
ebenfalls von der <hi rendition="#fr">Stelle</hi> eines jede<supplied>n</supplied> abhangen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 10.<lb/>
und nach &#x017F;einem innerlichen Zu&#x017F;tande.</head><lb/>
          <p>Wenn Leute &#x017F;ich nicht allein in einerley <hi rendition="#fr">Stand,</hi><lb/>
&#x017F;ondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja vo&#x0364;l-<lb/>
lig in einerley Stelle, (welches ge&#x017F;chiehet, wenn<lb/>
einer der Nachfolger des andern i&#x017F;t,) befinden, &#x017F;o<lb/>
betrachten &#x017F;ie doch einerley Sache o&#x0364;ffters nicht auf<lb/>
einerley Art; &#x017F;ondern ihre Fa&#x0364;higkeit, Sitten,<lb/>
&#x017F;chon habende Erkentniß, ja ihr gegenwa&#x0364;rtiger<lb/>
verdrießlicher oder fro&#x0364;licher Zu&#x017F;tand macht, daß<lb/>
&#x017F;ie ver&#x017F;chiedene Um&#x017F;ta&#x0364;nde bemercken und zu Her-<lb/>
tzen nehmen. Und &#x017F;o kan ein eintzelner Men&#x017F;ch<lb/>
zu ver&#x017F;chiedener Zeit, wegen des vera&#x0364;nderten Zu-<lb/>
&#x017F;tandes &#x017F;einer Seele, die Sache gantz mit <hi rendition="#fr">andern<lb/>
Augen</hi> an&#x017F;ehen. Wie &#x017F;olches die ta&#x0364;gliche Er-<lb/>
fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der<lb/>
Sache zufrieden i&#x017F;t, die uns den andern Tag ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;tens mißfa&#x0364;llet, ohne daß &#x017F;ich die Um&#x017F;ta&#x0364;nde der-<lb/>
&#x017F;elben gea&#x0364;ndert haben. Der blo&#x017F;&#x017F;e Zu&#x017F;tand der<lb/>
Seele, welcher nicht immer einerley i&#x017F;t, bringet<lb/>
die&#x017F;e ver&#x017F;chiedenen Vor&#x017F;tellungen hervor.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 11.<lb/>
Stand, Stelle und Gemu&#x0364;thsverfa&#x017F;&#x017F;ung ma-<lb/>
chen einen Sehepunckt aus.</head><lb/>
          <p>Bey co&#x0364;rperlichen Begebenheiten bemerckt man<lb/>
den Sehepunckt, nach den drey ver&#x017F;chiedenen Be-<lb/>
griffen, die (§. 3.) fe&#x017F;t ge&#x017F;etzt worden &#x017F;ind, weil<lb/>
davon die Vor&#x017F;tellung der Sache, mithin die hi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tori&#x017F;che</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0135] vom Zuſchauer und Sehepunckte. ſchauen einer Geſchichte von dem Stande abhan- get, alſo wird das Anſchauen einer Geſchichte ebenfalls von der Stelle eines jeden abhangen. §. 10. und nach ſeinem innerlichen Zuſtande. Wenn Leute ſich nicht allein in einerley Stand, ſondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl- lig in einerley Stelle, (welches geſchiehet, wenn einer der Nachfolger des andern iſt,) befinden, ſo betrachten ſie doch einerley Sache oͤffters nicht auf einerley Art; ſondern ihre Faͤhigkeit, Sitten, ſchon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger verdrießlicher oder froͤlicher Zuſtand macht, daß ſie verſchiedene Umſtaͤnde bemercken und zu Her- tzen nehmen. Und ſo kan ein eintzelner Menſch zu verſchiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu- ſtandes ſeiner Seele, die Sache gantz mit andern Augen anſehen. Wie ſolches die taͤgliche Er- fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der Sache zufrieden iſt, die uns den andern Tag hoͤch- ſtens mißfaͤllet, ohne daß ſich die Umſtaͤnde der- ſelben geaͤndert haben. Der bloſſe Zuſtand der Seele, welcher nicht immer einerley iſt, bringet dieſe verſchiedenen Vorſtellungen hervor. §. 11. Stand, Stelle und Gemuͤthsverfaſſung ma- chen einen Sehepunckt aus. Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man den Sehepunckt, nach den drey verſchiedenen Be- griffen, die (§. 3.) feſt geſetzt worden ſind, weil davon die Vorſtellung der Sache, mithin die hi- ſtoriſche G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/135
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/135>, abgerufen am 22.12.2024.