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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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gehörigen Anmerkung das nöthige ist gesagt worden. Hierin liegt der Grund aller Temperatur,
und es würde (nach §. 30.) ohne dergleichen Täuschungen des Gehöres keine Musik existiren
können.

246.

Die absoluten Geschwindigkeiten der Schwingungen (§. 29.) gelangen nicht
durch das Gehör unmittelbar zu unserm Bewußtseyn, sondern lassen sich bey einem jeden Tone
nur vermittelst der durch Theorie und Versuche vorhandenen Kenntnisse beurtheilen, indem
auch bey den tiefsten hörbaren Tönen die Schwingungen viel zu schnell geschehen, als daß wir
die Zeiträume, in welchen jede einzelne Schwingung auf die andere folgt, sollten bemerken,
und die Schwingungen, die in einer gewissen Zeit, z. B. in einer Secunde oder in einem Theile
derselben geschehen, abzählen können. Die Erfahrung lehrt hähmlich, daß wir in einer
Secunde etwa bis auf 8 oder 9 zählen können, dahingegen bey den tiefsten Tönen, von denen
man Gebrauch macht, wenigstens 30 Schwingungen in einer Secunde geschehen. Die Ge-
schwindigkeiten der Schwingungen, wobey man noch einen bestimmbaren Ton hört, werden
ungefähr in den §. 29. angegebenen Gränzen sich befinden, und die Gränzen der Töne, welche
nicht blos zu Verstärkung anderer, sondern für sich brauchbar sind, werden noch weit einge-
schränkter seyn. Jndessen ist dieses nur subjectiv, und es kann vielleicht lebende Wesen geben,
die weit langsamere oder geschwindere Schwingungen als einen deutlichen Ton vernehmen und
Wohlgefallen daran finden können.

247.

Die Gestalt des klingenden Körpers und die Beschaffenheit der Schwingunge-
arten
lassen sich nur in sehr wenigen Fällen durch das Gehör bestimmen. An einer Seite
kann man den Grundton von denen, wo sich die Seite in aliquote Theile theilt, dadurch unter-
scheiden, daß bey erstern ein Mitklingen der mit der natürlichen Zahlenfelge übereinkommenden
Töne bey gehöriger Aufmerksamkeit sich zeigt, welches bey letztern durch Berührung eines oder
mehrerer Schwingungsknoten verhindert wird, daß auch letztere weit sanfter klingen, weshalb
man sie aber auch leichter überdrüßig wird. Was für eine Schwingungsart es aber sey, durch
welche ein Flageoletton hervorgebracht wird, ob z. B. an einer kürzern Saite durch eine Ein-
theilung in 2 oder 3, oder an einer längern durch eine Eintheilung in mehrere Theile, giebt
sich durch das Gehör nicht zu erkennen. So auch kann man bey dem Klange einer Scheibe

gehoͤrigen Anmerkung das noͤthige iſt geſagt worden. Hierin liegt der Grund aller Temperatur,
und es wuͤrde (nach §. 30.) ohne dergleichen Taͤuſchungen des Gehoͤres keine Muſik exiſtiren
koͤnnen.

246.

Die abſoluten Geſchwindigkeiten der Schwingungen (§. 29.) gelangen nicht
durch das Gehoͤr unmittelbar zu unſerm Bewußtſeyn, ſondern laſſen ſich bey einem jeden Tone
nur vermittelſt der durch Theorie und Verſuche vorhandenen Kenntniſſe beurtheilen, indem
auch bey den tiefſten hoͤrbaren Toͤnen die Schwingungen viel zu ſchnell geſchehen, als daß wir
die Zeitraͤume, in welchen jede einzelne Schwingung auf die andere folgt, ſollten bemerken,
und die Schwingungen, die in einer gewiſſen Zeit, z. B. in einer Secunde oder in einem Theile
derſelben geſchehen, abzaͤhlen koͤnnen. Die Erfahrung lehrt haͤhmlich, daß wir in einer
Secunde etwa bis auf 8 oder 9 zaͤhlen koͤnnen, dahingegen bey den tiefſten Toͤnen, von denen
man Gebrauch macht, wenigſtens 30 Schwingungen in einer Secunde geſchehen. Die Ge-
ſchwindigkeiten der Schwingungen, wobey man noch einen beſtimmbaren Ton hoͤrt, werden
ungefaͤhr in den §. 29. angegebenen Graͤnzen ſich befinden, und die Graͤnzen der Toͤne, welche
nicht blos zu Verſtaͤrkung anderer, ſondern fuͤr ſich brauchbar ſind, werden noch weit einge-
ſchraͤnkter ſeyn. Jndeſſen iſt dieſes nur ſubjectiv, und es kann vielleicht lebende Weſen geben,
die weit langſamere oder geſchwindere Schwingungen als einen deutlichen Ton vernehmen und
Wohlgefallen daran finden koͤnnen.

247.

Die Geſtalt des klingenden Koͤrpers und die Beſchaffenheit der Schwingunge-
arten
laſſen ſich nur in ſehr wenigen Faͤllen durch das Gehoͤr beſtimmen. An einer Seite
kann man den Grundton von denen, wo ſich die Seite in aliquote Theile theilt, dadurch unter-
ſcheiden, daß bey erſtern ein Mitklingen der mit der natuͤrlichen Zahlenfelge uͤbereinkommenden
Toͤne bey gehoͤriger Aufmerkſamkeit ſich zeigt, welches bey letztern durch Beruͤhrung eines oder
mehrerer Schwingungsknoten verhindert wird, daß auch letztere weit ſanfter klingen, weshalb
man ſie aber auch leichter uͤberdruͤßig wird. Was fuͤr eine Schwingungsart es aber ſey, durch
welche ein Flageoletton hervorgebracht wird, ob z. B. an einer kuͤrzern Saite durch eine Ein-
theilung in 2 oder 3, oder an einer laͤngern durch eine Eintheilung in mehrere Theile, giebt
ſich durch das Gehoͤr nicht zu erkennen. So auch kann man bey dem Klange einer Scheibe

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[294/0328] gehoͤrigen Anmerkung das noͤthige iſt geſagt worden. Hierin liegt der Grund aller Temperatur, und es wuͤrde (nach §. 30.) ohne dergleichen Taͤuſchungen des Gehoͤres keine Muſik exiſtiren koͤnnen. 246. Die abſoluten Geſchwindigkeiten der Schwingungen (§. 29.) gelangen nicht durch das Gehoͤr unmittelbar zu unſerm Bewußtſeyn, ſondern laſſen ſich bey einem jeden Tone nur vermittelſt der durch Theorie und Verſuche vorhandenen Kenntniſſe beurtheilen, indem auch bey den tiefſten hoͤrbaren Toͤnen die Schwingungen viel zu ſchnell geſchehen, als daß wir die Zeitraͤume, in welchen jede einzelne Schwingung auf die andere folgt, ſollten bemerken, und die Schwingungen, die in einer gewiſſen Zeit, z. B. in einer Secunde oder in einem Theile derſelben geſchehen, abzaͤhlen koͤnnen. Die Erfahrung lehrt haͤhmlich, daß wir in einer Secunde etwa bis auf 8 oder 9 zaͤhlen koͤnnen, dahingegen bey den tiefſten Toͤnen, von denen man Gebrauch macht, wenigſtens 30 Schwingungen in einer Secunde geſchehen. Die Ge- ſchwindigkeiten der Schwingungen, wobey man noch einen beſtimmbaren Ton hoͤrt, werden ungefaͤhr in den §. 29. angegebenen Graͤnzen ſich befinden, und die Graͤnzen der Toͤne, welche nicht blos zu Verſtaͤrkung anderer, ſondern fuͤr ſich brauchbar ſind, werden noch weit einge- ſchraͤnkter ſeyn. Jndeſſen iſt dieſes nur ſubjectiv, und es kann vielleicht lebende Weſen geben, die weit langſamere oder geſchwindere Schwingungen als einen deutlichen Ton vernehmen und Wohlgefallen daran finden koͤnnen. 247. Die Geſtalt des klingenden Koͤrpers und die Beſchaffenheit der Schwingunge- arten laſſen ſich nur in ſehr wenigen Faͤllen durch das Gehoͤr beſtimmen. An einer Seite kann man den Grundton von denen, wo ſich die Seite in aliquote Theile theilt, dadurch unter- ſcheiden, daß bey erſtern ein Mitklingen der mit der natuͤrlichen Zahlenfelge uͤbereinkommenden Toͤne bey gehoͤriger Aufmerkſamkeit ſich zeigt, welches bey letztern durch Beruͤhrung eines oder mehrerer Schwingungsknoten verhindert wird, daß auch letztere weit ſanfter klingen, weshalb man ſie aber auch leichter uͤberdruͤßig wird. Was fuͤr eine Schwingungsart es aber ſey, durch welche ein Flageoletton hervorgebracht wird, ob z. B. an einer kuͤrzern Saite durch eine Ein- theilung in 2 oder 3, oder an einer laͤngern durch eine Eintheilung in mehrere Theile, giebt ſich durch das Gehoͤr nicht zu erkennen. So auch kann man bey dem Klange einer Scheibe

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/328>, abgerufen am 24.11.2024.