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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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185.

Die besten Bemerkungen über das Beysammenseyn mehrerer Schwingungsarten an
einem klingenden Körper finden sich in einigen Aufsätzen von Daniel Bernoulli in Mem.
de l'Acad. de Berlin
1753. und 1765. und in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XV. und
XIX; wie auch in der Schrift des Grafen Giordano Riccati, delle corde ovvero fibre
elastiche
im Anhange zu Schediasm. IV., und in Matthew Young's Enquiry into the
principal phaenomena of sounds and musical strings, Part. II.
Schon Mersenne hat
das Mitklingen höherer Töne bey dem Grundtone einer Saite gekannt, aber viel unrichtiges
darüber gesagt; Cartesius hat in Epist. P. II. im 75sten und im 106ten Briefe es zwar
richtig aus einer Verbindung mehrerer Schwingungsarten erklärt, jedoch mit Unrecht be-
hauptet, daß es nur an einer falschen Saite Statt finde.

Anm. Viele musicalische Schriftsteller, die zwar das Mitklingen höherer Töne bey dem Grund-
tone einer Saite kannten, aber nicht wußten, daß manchen Arten von klingenden Körpern ganz
andere Folgen von Tönen zukommen, daß aber keiner andere Töne zugleich kann hören lassen,
als die, welche er einzeln zu geben im Stande ist, und daß man durch Dämpfung der Schwin-
gungsknoten jede Beymischung mehrerer Schwingungsarten, und also auch mehrerer Töne verhin-
dern kann, haben behauptet, ein solches Mitklingen der mit der natürlichen Zahlenfolge überein-
kommenden Töne sey eine allgemeine Eigenschaft aller klingenden Körper; sie haben also nicht nur
das Consoniren und Dissoniren aus dem Mitklingen oder Nichtmitklingen gewisser Töne erklärt,
sondern ein Mitklingen der mit den Zahlen 2, 3, 4, 5 übereinkommenden Töne mit einem als 1
anzusehenden Grundtone als den wesentlichsten Unterschied eines Klanges von einem Geräusche an-
gesehen. Diese der Natur so sehr widersprechenden Behauptungen, welche auch schon von Daniel
Bernoulli in den vorhererwähnten Aufsätzen, und von La Grange in seinen Recherches sur la
nature et la propagation du son Sect. II.
§. 64, in Miscell. Taurinens. hinlänglich widerlegt
worden sind, finden sich unter andern in Erxlebens Naturlehre, in Sulzers Theorie der schönen
Künste, und in so manchen andern Schriften; Rämeau und seine Anhänger haben ihr ganzes
System der Harmonie darauf gegründet. Das beste dabey ist noch dieses, daß, auf welche Art
man auch den Unterschied eines Klanges von einem Geräusche erklären, und was man auch für
eine Ursache des Consonirens und Dissonirens angeben möge, doch alle darin übereinstimmen, daß
die in den Zahlen 1 bis 6 und ihren Umkehrungen enthaltenen Tonverhältnisse consonirend und die
übrigen dissonirend sind, und daß die letztern durch mancherley Combinationen der einfachern Ton-
verhältnisse entstehen, mithin können diese Schriftsteller doch viel Richtiges und Brauchbares über
die Theorie und Ausübung der Harmonie gesagt haben, wenn gleich die ersten Voraussetzungen
falsch sind.
Es ist überhaupt gar nicht der Natur gemäß, wenn man die Grundsätze der Harmonic blos
von Saiten abstrahiren will, es muß vielmehr dasjenige, woraus man diese Theorie herleiten
will, allen klingenden Körpern ohne Auenahme, und ohne Rücksicht, ob man mehr oder weniger
185.

Die beſten Bemerkungen uͤber das Beyſammenſeyn mehrerer Schwingungsarten an
einem klingenden Koͤrper finden ſich in einigen Aufſaͤtzen von Daniel Bernoulli in Mém.
de l’Acad. de Berlin
1753. und 1765. und in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XV. und
XIX; wie auch in der Schrift des Grafen Giordano Riccati, delle corde ovvero fibre
elastiche
im Anhange zu Schediasm. IV., und in Matthew Young’s Enquiry into the
principal phaenomena of sounds and musical strings, Part. II.
Schon Mersenne hat
das Mitklingen hoͤherer Toͤne bey dem Grundtone einer Saite gekannt, aber viel unrichtiges
daruͤber geſagt; Cartesius hat in Epist. P. II. im 75ſten und im 106ten Briefe es zwar
richtig aus einer Verbindung mehrerer Schwingungsarten erklaͤrt, jedoch mit Unrecht be-
hauptet, daß es nur an einer falſchen Saite Statt finde.

Anm. Viele muſicaliſche Schriftſteller, die zwar das Mitklingen hoͤherer Toͤne bey dem Grund-
tone einer Saite kannten, aber nicht wußten, daß manchen Arten von klingenden Koͤrpern ganz
andere Folgen von Toͤnen zukommen, daß aber keiner andere Toͤne zugleich kann hoͤren laſſen,
als die, welche er einzeln zu geben im Stande iſt, und daß man durch Daͤmpfung der Schwin-
gungsknoten jede Beymiſchung mehrerer Schwingungsarten, und alſo auch mehrerer Toͤne verhin-
dern kann, haben behauptet, ein ſolches Mitklingen der mit der natuͤrlichen Zahlenfolge uͤberein-
kommenden Toͤne ſey eine allgemeine Eigenſchaft aller klingenden Koͤrper; ſie haben alſo nicht nur
das Conſoniren und Diſſoniren aus dem Mitklingen oder Nichtmitklingen gewiſſer Toͤne erklaͤrt,
ſondern ein Mitklingen der mit den Zahlen 2, 3, 4, 5 uͤbereinkommenden Toͤne mit einem als 1
anzuſehenden Grundtone als den weſentlichſten Unterſchied eines Klanges von einem Geraͤuſche an-
geſehen. Dieſe der Natur ſo ſehr widerſprechenden Behauptungen, welche auch ſchon von Daniel
Bernoulli in den vorhererwaͤhnten Aufſaͤtzen, und von La Grange in ſeinen Recherches sur la
nature et la propagation du son Sect. II.
§. 64, in Miscell. Taurinens. hinlaͤnglich widerlegt
worden ſind, finden ſich unter andern in Erxlebens Naturlehre, in Sulzers Theorie der ſchoͤnen
Kuͤnſte, und in ſo manchen andern Schriften; Raͤmeau und ſeine Anhaͤnger haben ihr ganzes
Syſtem der Harmonie darauf gegruͤndet. Das beſte dabey iſt noch dieſes, daß, auf welche Art
man auch den Unterſchied eines Klanges von einem Geraͤuſche erklaͤren, und was man auch fuͤr
eine Urſache des Conſonirens und Diſſonirens angeben moͤge, doch alle darin uͤbereinſtimmen, daß
die in den Zahlen 1 bis 6 und ihren Umkehrungen enthaltenen Tonverhaͤltniſſe conſonirend und die
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verhaͤltniſſe entſtehen, mithin koͤnnen dieſe Schriftſteller doch viel Richtiges und Brauchbares uͤber
die Theorie und Ausuͤbung der Harmonie geſagt haben, wenn gleich die erſten Vorausſetzungen
falſch ſind.
Es iſt uͤberhaupt gar nicht der Natur gemaͤß, wenn man die Grundſaͤtze der Harmonic blos
von Saiten abſtrahiren will, es muß vielmehr dasjenige, woraus man dieſe Theorie herleiten
will, allen klingenden Koͤrpern ohne Auenahme, und ohne Ruͤckſicht, ob man mehr oder weniger
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[206/0240] 185. Die beſten Bemerkungen uͤber das Beyſammenſeyn mehrerer Schwingungsarten an einem klingenden Koͤrper finden ſich in einigen Aufſaͤtzen von Daniel Bernoulli in Mém. de l’Acad. de Berlin 1753. und 1765. und in Nov. Comment. Acad. Petrop. tom. XV. und XIX; wie auch in der Schrift des Grafen Giordano Riccati, delle corde ovvero fibre elastiche im Anhange zu Schediasm. IV., und in Matthew Young’s Enquiry into the principal phaenomena of sounds and musical strings, Part. II. Schon Mersenne hat das Mitklingen hoͤherer Toͤne bey dem Grundtone einer Saite gekannt, aber viel unrichtiges daruͤber geſagt; Cartesius hat in Epist. P. II. im 75ſten und im 106ten Briefe es zwar richtig aus einer Verbindung mehrerer Schwingungsarten erklaͤrt, jedoch mit Unrecht be- hauptet, daß es nur an einer falſchen Saite Statt finde. Anm. Viele muſicaliſche Schriftſteller, die zwar das Mitklingen hoͤherer Toͤne bey dem Grund- tone einer Saite kannten, aber nicht wußten, daß manchen Arten von klingenden Koͤrpern ganz andere Folgen von Toͤnen zukommen, daß aber keiner andere Toͤne zugleich kann hoͤren laſſen, als die, welche er einzeln zu geben im Stande iſt, und daß man durch Daͤmpfung der Schwin- gungsknoten jede Beymiſchung mehrerer Schwingungsarten, und alſo auch mehrerer Toͤne verhin- dern kann, haben behauptet, ein ſolches Mitklingen der mit der natuͤrlichen Zahlenfolge uͤberein- kommenden Toͤne ſey eine allgemeine Eigenſchaft aller klingenden Koͤrper; ſie haben alſo nicht nur das Conſoniren und Diſſoniren aus dem Mitklingen oder Nichtmitklingen gewiſſer Toͤne erklaͤrt, ſondern ein Mitklingen der mit den Zahlen 2, 3, 4, 5 uͤbereinkommenden Toͤne mit einem als 1 anzuſehenden Grundtone als den weſentlichſten Unterſchied eines Klanges von einem Geraͤuſche an- geſehen. Dieſe der Natur ſo ſehr widerſprechenden Behauptungen, welche auch ſchon von Daniel Bernoulli in den vorhererwaͤhnten Aufſaͤtzen, und von La Grange in ſeinen Recherches sur la nature et la propagation du son Sect. II. §. 64, in Miscell. Taurinens. hinlaͤnglich widerlegt worden ſind, finden ſich unter andern in Erxlebens Naturlehre, in Sulzers Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte, und in ſo manchen andern Schriften; Raͤmeau und ſeine Anhaͤnger haben ihr ganzes Syſtem der Harmonie darauf gegruͤndet. Das beſte dabey iſt noch dieſes, daß, auf welche Art man auch den Unterſchied eines Klanges von einem Geraͤuſche erklaͤren, und was man auch fuͤr eine Urſache des Conſonirens und Diſſonirens angeben moͤge, doch alle darin uͤbereinſtimmen, daß die in den Zahlen 1 bis 6 und ihren Umkehrungen enthaltenen Tonverhaͤltniſſe conſonirend und die uͤbrigen diſſonirend ſind, und daß die letztern durch mancherley Combinationen der einfachern Ton- verhaͤltniſſe entſtehen, mithin koͤnnen dieſe Schriftſteller doch viel Richtiges und Brauchbares uͤber die Theorie und Ausuͤbung der Harmonie geſagt haben, wenn gleich die erſten Vorausſetzungen falſch ſind. Es iſt uͤberhaupt gar nicht der Natur gemaͤß, wenn man die Grundſaͤtze der Harmonic blos von Saiten abſtrahiren will, es muß vielmehr dasjenige, woraus man dieſe Theorie herleiten will, allen klingenden Koͤrpern ohne Auenahme, und ohne Ruͤckſicht, ob man mehr oder weniger

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/240>, abgerufen am 29.11.2024.