Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

natürliche Zahlenfolge 1, 2, 3, 4, 5 etc. sie stehen also unter einander in eben solchen Ver-
hältnissen, wie vorher bey den Transversaltönen ist gezeigt worden.

61.

Zu Hervorbringung dieser Schwingungsarten muß die Saite innerhalb eines schwin-
genden Theiles mit dem unter einem so spitzigen Winkel wie möglich, gehaltenen Violinbogen
der Länge nach gestrichen werden; es ist auch ebendasselbe, wenn man sie mit Geigenharz
bestreicht, und sie sodann mit einem Stückchen Tuch oder einer andern weichen Materie, oder
auch mit dem Finger, wenn man ihn etwas mit Harz bestrichen hat, der Länge nach reibt.
Um den tiefsten Ton, wo die ganze Saite der Länge nach schwingt, hervorzubringen, muß
das Streichen nicht allzuweit von der Mitte geschehen; aber bey den Schwingungsarten, wo
sich die Saite in aliquote Theile theilt, wird es rathsam seyn, irgend einen Schwingungs-
knoten durch Berührung mit einem Finger oder mit einem andern weichen Körper zu dämpfen;
das Streichen wird sodann am besten näher bey einem Ende der Saite oder überhaupt inner-
halb eines schwingenden Theiles geschehen können.

62.

Die Gesetze, nach welchen sich die Höhe und Tiefe der Töne bey diesen Schwingungs-
arten richtet, sind ganz anders beschaffen, als bey den Transversalschwingungen. Darinnen
kommen beyde mit einander überein, daß die gleichartigen Töne in umgekehrtem Verhältnisse
der Längen stehen; sie weichen aber darin ganz von einander ab, daß bey den Longitudinal-
schwingungen auf die mehrere oder mindere Dicke der Saiten und auf die stärkere oder schwä-
chere Spannung fast gar nichts ankommt, desto mehr aber auf die Beschaffenheit der Materie;
wie denn z. B. bey gleicher Länge der Saiten die Töne einer Messingsaite ungefähr um eine
Sexte höher sind, als die Töne einer Darmsaite, und die Töne einer Stahlsaite ungefähr um
eine Quarte oder Quinte höher, als die Töne einer Messingsaite. Es läßt sich also kein
bestimmtes Verhältniß der Töne zwischen ihnen und den Transversalschwingungen angeben,
es sind aber die Töne allemahl beträchtlich höher, so daß der Unterschied in manchen Fällen
mehrere Octaven betragen kann, weshalb man sich auch zu den Versuchen sehr langer Saiten
bedienen muß.

Anm. Diese longitudinalen Schwingungsarten habe ich zuerst in meinen Entdeckungen über
die Theorie des Klanges
S. 76. erwähnt, und nachher in der Der Berliner musicali

natuͤrliche Zahlenfolge 1, 2, 3, 4, 5 ꝛc. ſie ſtehen alſo unter einander in eben ſolchen Ver-
haͤltniſſen, wie vorher bey den Transverſaltoͤnen iſt gezeigt worden.

61.

Zu Hervorbringung dieſer Schwingungsarten muß die Saite innerhalb eines ſchwin-
genden Theiles mit dem unter einem ſo ſpitzigen Winkel wie moͤglich, gehaltenen Violinbogen
der Laͤnge nach geſtrichen werden; es iſt auch ebendaſſelbe, wenn man ſie mit Geigenharz
beſtreicht, und ſie ſodann mit einem Stuͤckchen Tuch oder einer andern weichen Materie, oder
auch mit dem Finger, wenn man ihn etwas mit Harz beſtrichen hat, der Laͤnge nach reibt.
Um den tiefſten Ton, wo die ganze Saite der Laͤnge nach ſchwingt, hervorzubringen, muß
das Streichen nicht allzuweit von der Mitte geſchehen; aber bey den Schwingungsarten, wo
ſich die Saite in aliquote Theile theilt, wird es rathſam ſeyn, irgend einen Schwingungs-
knoten durch Beruͤhrung mit einem Finger oder mit einem andern weichen Koͤrper zu daͤmpfen;
das Streichen wird ſodann am beſten naͤher bey einem Ende der Saite oder uͤberhaupt inner-
halb eines ſchwingenden Theiles geſchehen koͤnnen.

62.

Die Geſetze, nach welchen ſich die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne bey dieſen Schwingungs-
arten richtet, ſind ganz anders beſchaffen, als bey den Transverſalſchwingungen. Darinnen
kommen beyde mit einander uͤberein, daß die gleichartigen Toͤne in umgekehrtem Verhaͤltniſſe
der Laͤngen ſtehen; ſie weichen aber darin ganz von einander ab, daß bey den Longitudinal-
ſchwingungen auf die mehrere oder mindere Dicke der Saiten und auf die ſtaͤrkere oder ſchwaͤ-
chere Spannung faſt gar nichts ankommt, deſto mehr aber auf die Beſchaffenheit der Materie;
wie denn z. B. bey gleicher Laͤnge der Saiten die Toͤne einer Meſſingſaite ungefaͤhr um eine
Sexte hoͤher ſind, als die Toͤne einer Darmſaite, und die Toͤne einer Stahlſaite ungefaͤhr um
eine Quarte oder Quinte hoͤher, als die Toͤne einer Meſſingſaite. Es laͤßt ſich alſo kein
beſtimmtes Verhaͤltniß der Toͤne zwiſchen ihnen und den Transverſalſchwingungen angeben,
es ſind aber die Toͤne allemahl betraͤchtlich hoͤher, ſo daß der Unterſchied in manchen Faͤllen
mehrere Octaven betragen kann, weshalb man ſich auch zu den Verſuchen ſehr langer Saiten
bedienen muß.

Anm. Dieſe longitudinalen Schwingungsarten habe ich zuerſt in meinen Entdeckungen uͤber
die Theorie des Klanges
S. 76. erwaͤhnt, und nachher in der Der Berliner muſicali
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0110" n="76"/>
natu&#x0364;rliche Zahlenfolge 1, 2, 3, 4, 5 &#xA75B;c. &#x017F;ie &#x017F;tehen al&#x017F;o unter einander in eben &#x017F;olchen Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, wie vorher bey den Transver&#x017F;alto&#x0364;nen i&#x017F;t gezeigt worden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>61.</head><lb/>
              <p>Zu Hervorbringung die&#x017F;er Schwingungsarten muß die Saite innerhalb eines &#x017F;chwin-<lb/>
genden Theiles mit dem unter einem &#x017F;o &#x017F;pitzigen Winkel wie mo&#x0364;glich, gehaltenen Violinbogen<lb/><hi rendition="#g">der La&#x0364;nge nach</hi> ge&#x017F;trichen werden; es i&#x017F;t auch ebenda&#x017F;&#x017F;elbe, wenn man &#x017F;ie mit Geigenharz<lb/>
be&#x017F;treicht, und &#x017F;ie &#x017F;odann mit einem Stu&#x0364;ckchen Tuch oder einer andern weichen Materie, oder<lb/>
auch mit dem Finger, wenn man ihn etwas mit Harz be&#x017F;trichen hat, der La&#x0364;nge nach reibt.<lb/>
Um den tief&#x017F;ten Ton, wo die ganze Saite der La&#x0364;nge nach &#x017F;chwingt, hervorzubringen, muß<lb/>
das Streichen nicht allzuweit von der Mitte ge&#x017F;chehen; aber bey den Schwingungsarten, wo<lb/>
&#x017F;ich die Saite in aliquote Theile theilt, wird es rath&#x017F;am &#x017F;eyn, irgend einen Schwingungs-<lb/>
knoten durch Beru&#x0364;hrung mit einem Finger oder mit einem andern weichen Ko&#x0364;rper zu da&#x0364;mpfen;<lb/>
das Streichen wird &#x017F;odann am be&#x017F;ten na&#x0364;her bey einem Ende der Saite oder u&#x0364;berhaupt inner-<lb/>
halb eines &#x017F;chwingenden Theiles ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nnen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>62.</head><lb/>
              <p>Die Ge&#x017F;etze, nach welchen &#x017F;ich die Ho&#x0364;he und Tiefe der To&#x0364;ne bey die&#x017F;en Schwingungs-<lb/>
arten richtet, &#x017F;ind ganz anders be&#x017F;chaffen, als bey den Transver&#x017F;al&#x017F;chwingungen. Darinnen<lb/>
kommen beyde mit einander u&#x0364;berein, daß die gleichartigen To&#x0364;ne in umgekehrtem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
der La&#x0364;ngen &#x017F;tehen; &#x017F;ie weichen aber darin ganz von einander ab, daß bey den Longitudinal-<lb/>
&#x017F;chwingungen auf die mehrere oder mindere Dicke der Saiten und auf die &#x017F;ta&#x0364;rkere oder &#x017F;chwa&#x0364;-<lb/>
chere Spannung fa&#x017F;t gar nichts ankommt, de&#x017F;to mehr aber auf die Be&#x017F;chaffenheit der Materie;<lb/>
wie denn z. B. bey gleicher La&#x0364;nge der Saiten die To&#x0364;ne einer Me&#x017F;&#x017F;ing&#x017F;aite ungefa&#x0364;hr um eine<lb/>
Sexte ho&#x0364;her &#x017F;ind, als die To&#x0364;ne einer Darm&#x017F;aite, und die To&#x0364;ne einer Stahl&#x017F;aite ungefa&#x0364;hr um<lb/>
eine Quarte oder Quinte ho&#x0364;her, als die To&#x0364;ne einer Me&#x017F;&#x017F;ing&#x017F;aite. Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich al&#x017F;o kein<lb/>
be&#x017F;timmtes Verha&#x0364;ltniß der To&#x0364;ne zwi&#x017F;chen ihnen und den Transver&#x017F;al&#x017F;chwingungen angeben,<lb/>
es &#x017F;ind aber die To&#x0364;ne allemahl betra&#x0364;chtlich ho&#x0364;her, &#x017F;o daß der Unter&#x017F;chied in manchen Fa&#x0364;llen<lb/>
mehrere Octaven betragen kann, weshalb man &#x017F;ich auch zu den Ver&#x017F;uchen &#x017F;ehr langer Saiten<lb/>
bedienen muß.</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#g">Anm.</hi> Die&#x017F;e longitudinalen Schwingungsarten habe ich zuer&#x017F;t in meinen <hi rendition="#g">Entdeckungen u&#x0364;ber<lb/>
die Theorie des Klanges</hi> S. 76. erwa&#x0364;hnt, und nachher in der <hi rendition="#g">Der Berliner mu&#x017F;icali<lb/></hi></item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0110] natuͤrliche Zahlenfolge 1, 2, 3, 4, 5 ꝛc. ſie ſtehen alſo unter einander in eben ſolchen Ver- haͤltniſſen, wie vorher bey den Transverſaltoͤnen iſt gezeigt worden. 61. Zu Hervorbringung dieſer Schwingungsarten muß die Saite innerhalb eines ſchwin- genden Theiles mit dem unter einem ſo ſpitzigen Winkel wie moͤglich, gehaltenen Violinbogen der Laͤnge nach geſtrichen werden; es iſt auch ebendaſſelbe, wenn man ſie mit Geigenharz beſtreicht, und ſie ſodann mit einem Stuͤckchen Tuch oder einer andern weichen Materie, oder auch mit dem Finger, wenn man ihn etwas mit Harz beſtrichen hat, der Laͤnge nach reibt. Um den tiefſten Ton, wo die ganze Saite der Laͤnge nach ſchwingt, hervorzubringen, muß das Streichen nicht allzuweit von der Mitte geſchehen; aber bey den Schwingungsarten, wo ſich die Saite in aliquote Theile theilt, wird es rathſam ſeyn, irgend einen Schwingungs- knoten durch Beruͤhrung mit einem Finger oder mit einem andern weichen Koͤrper zu daͤmpfen; das Streichen wird ſodann am beſten naͤher bey einem Ende der Saite oder uͤberhaupt inner- halb eines ſchwingenden Theiles geſchehen koͤnnen. 62. Die Geſetze, nach welchen ſich die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne bey dieſen Schwingungs- arten richtet, ſind ganz anders beſchaffen, als bey den Transverſalſchwingungen. Darinnen kommen beyde mit einander uͤberein, daß die gleichartigen Toͤne in umgekehrtem Verhaͤltniſſe der Laͤngen ſtehen; ſie weichen aber darin ganz von einander ab, daß bey den Longitudinal- ſchwingungen auf die mehrere oder mindere Dicke der Saiten und auf die ſtaͤrkere oder ſchwaͤ- chere Spannung faſt gar nichts ankommt, deſto mehr aber auf die Beſchaffenheit der Materie; wie denn z. B. bey gleicher Laͤnge der Saiten die Toͤne einer Meſſingſaite ungefaͤhr um eine Sexte hoͤher ſind, als die Toͤne einer Darmſaite, und die Toͤne einer Stahlſaite ungefaͤhr um eine Quarte oder Quinte hoͤher, als die Toͤne einer Meſſingſaite. Es laͤßt ſich alſo kein beſtimmtes Verhaͤltniß der Toͤne zwiſchen ihnen und den Transverſalſchwingungen angeben, es ſind aber die Toͤne allemahl betraͤchtlich hoͤher, ſo daß der Unterſchied in manchen Faͤllen mehrere Octaven betragen kann, weshalb man ſich auch zu den Verſuchen ſehr langer Saiten bedienen muß. Anm. Dieſe longitudinalen Schwingungsarten habe ich zuerſt in meinen Entdeckungen uͤber die Theorie des Klanges S. 76. erwaͤhnt, und nachher in der Der Berliner muſicali

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/110
Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/110>, abgerufen am 26.11.2024.