Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mond aus den Wolken hervor -- und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre. Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die entsetzten Gäste, erreichte die Thür, warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur Einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der sich mir durch seine Gewandtheit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden und mir das Nöthigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang, durch Mond aus den Wolken hervor — und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre. Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die entsetzten Gäste, erreichte die Thür, warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur Einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der sich mir durch seine Gewandtheit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden und mir das Nöthigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang, durch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0035"/> Mond aus den Wolken hervor — und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.</p><lb/> <p>Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die entsetzten Gäste, erreichte die Thür, warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur Einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der sich mir durch seine Gewandtheit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden und mir das Nöthigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang, durch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Mond aus den Wolken hervor — und sie sah nur ihren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.
Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die entsetzten Gäste, erreichte die Thür, warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur Einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der sich mir durch seine Gewandtheit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden und mir das Nöthigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang, durch
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Zitationshilfe: | Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1910/35>, abgerufen am 16.02.2025. |