Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke -- er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. -- Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem rosenumblühten Hügel zu. Ich schlich hinterher, ohne Jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle Dem Vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Räthsel zu haben. Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann, der neben mir ging und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schooßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes, brachte eine Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke — er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. — Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem rosenumblühten Hügel zu. Ich schlich hinterher, ohne Jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle Dem Vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Räthsel zu haben. Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann, der neben mir ging und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schooßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes, brachte eine <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0013"/> Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke — er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. — Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem rosenumblühten Hügel zu.</p><lb/> <p>Ich schlich hinterher, ohne Jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle Dem Vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Räthsel zu haben.</p><lb/> <p>Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann, der neben mir ging und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schooßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes, brachte eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke — er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. — Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem rosenumblühten Hügel zu.
Ich schlich hinterher, ohne Jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alle Dem Vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Räthsel zu haben.
Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann, der neben mir ging und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schooßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes, brachte eine
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Zitationshilfe: | Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–98. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1910/13>, abgerufen am 16.02.2025. |