Schatten gelassen?" und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: "Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!" Das fing an mich zu ver¬ drießen, und ich vermied sehr sorgfältig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht überall an, zum Beispiel nicht über die Breitestrasse, die ich zunächst durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Kna¬ ben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver¬ rieth mich mit großem Geschrei der sämtlichen literarischen Strassenjugend der Vorstadt, welche sofort mich zu rezensiren und mit Koth zu bewer¬ fen anfing: "Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wann sie in die Sonne gingen." Um sie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Händen unter sie, und sprang in einen Miethswagen, zu dem mir mit¬ leidige Seelen verhalfen.
Sobald ich mich in der rollenden Kutsche al¬ lein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte schon die Ahnung in mir aufsteigen: daß,
um
Schatten gelaſſen?„ und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: “Jeſus Maria! der arme Menſch hat keinen Schatten!„ Das fing an mich zu ver¬ drießen, und ich vermied ſehr ſorgfaͤltig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall an, zum Beiſpiel nicht uͤber die Breiteſtraſſe, die ich zunaͤchſt durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Kna¬ ben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich ſeh' ihn noch, hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver¬ rieth mich mit großem Geſchrei der ſaͤmtlichen literariſchen Straſſenjugend der Vorſtadt, welche ſofort mich zu rezenſiren und mit Koth zu bewer¬ fen anfing: “Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit ſich zu nehmen, wann ſie in die Sonne gingen.„ Um ſie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter ſie, und ſprang in einen Miethswagen, zu dem mir mit¬ leidige Seelen verhalfen.
Sobald ich mich in der rollenden Kutſche al¬ lein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte ſchon die Ahnung in mir aufſteigen: daß,
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Schatten gelaſſen?„ und gleich wieder darauf von
ein Paar Frauen: “Jeſus Maria! der arme Menſch
hat keinen Schatten!„ Das fing an mich zu ver¬
drießen, und ich vermied ſehr ſorgfaͤltig, in die
Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall
an, zum Beiſpiel nicht uͤber die Breiteſtraſſe, die
ich zunaͤchſt durchkreuzen mußte, und zwar, zu
meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Kna¬
ben aus der Schule gingen. Ein verdammter
buckeliger Schlingel, ich ſeh' ihn noch, hatte es
gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver¬
rieth mich mit großem Geſchrei der ſaͤmtlichen
literariſchen Straſſenjugend der Vorſtadt, welche
ſofort mich zu rezenſiren und mit Koth zu bewer¬
fen anfing: “Ordentliche Leute pflegten ihren
Schatten mit ſich zu nehmen, wann ſie in die
Sonne gingen.„ Um ſie von mir abzuwehren,
warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter ſie, und
ſprang in einen Miethswagen, zu dem mir mit¬
leidige Seelen verhalfen.
Sobald ich mich in der rollenden Kutſche al¬
lein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es
mußte ſchon die Ahnung in mir aufſteigen: daß,
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Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten E… [mehr]
Beigebunden im Anhang des für das DTA gewählten Exemplars aus der SBB-PK sind sechs Kupfer von George Cruikshank aus der 2. Aufl. (1827).
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/36>, abgerufen am 16.02.2025.
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