Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf christliche Religion durch diesen Sieg des Westens über den Ostenverlor.1) Im 29. Kapitel seines schönen Buches Vom Gebete spricht Origenes Das war diejenige hellenische Theologie, die im Kampfe erlag.2) Der "Norden".Betrachten wir nun die zweite antirömische Strömung, diejenige, 1) Für Näheres verweise ich den Leser vor Allem auf das kleine, schon citierte Werk von Hatch: The influence of Greek ideas and usages upon the christian church (deutsch von Preuschen und Harnack 1892); dieses Buch ist ein Unikum, zugleich grundgelehrt, so dass es unter Fachleuten Autorität besitzt, und doch für jeden gebildeten Denker, auch ohne theologische Schulung, lesbar. 2) Dass diese Theologie im 9. Jahrhundert, in der Person des grossen Scotus
Erigena, des wirklichen Vorläufers einer echt christlichen Religion, wieder auflebte, ist schon oben kurz angedeutet worden und kommt weiter unten, sowie im neunten Kapitel noch zur Sprache. Der Kampf christliche Religion durch diesen Sieg des Westens über den Ostenverlor.1) Im 29. Kapitel seines schönen Buches Vom Gebete spricht Origenes Das war diejenige hellenische Theologie, die im Kampfe erlag.2) Der »Norden«.Betrachten wir nun die zweite antirömische Strömung, diejenige, 1) Für Näheres verweise ich den Leser vor Allem auf das kleine, schon citierte Werk von Hatch: The influence of Greek ideas and usages upon the christian church (deutsch von Preuschen und Harnack 1892); dieses Buch ist ein Unikum, zugleich grundgelehrt, so dass es unter Fachleuten Autorität besitzt, und doch für jeden gebildeten Denker, auch ohne theologische Schulung, lesbar. 2) Dass diese Theologie im 9. Jahrhundert, in der Person des grossen Scotus
Erigena, des wirklichen Vorläufers einer echt christlichen Religion, wieder auflebte, ist schon oben kurz angedeutet worden und kommt weiter unten, sowie im neunten Kapitel noch zur Sprache. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="608"/><fw place="top" type="header">Der Kampf</fw><lb/> christliche Religion durch diesen Sieg des Westens über den Osten<lb/> verlor.<note place="foot" n="1)">Für Näheres verweise ich den Leser vor Allem auf das kleine, schon<lb/> citierte Werk von Hatch: <hi rendition="#i">The influence of Greek ideas and usages upon the christian<lb/> church</hi> (deutsch von Preuschen und Harnack 1892); dieses Buch ist ein Unikum,<lb/> zugleich grundgelehrt, so dass es unter Fachleuten Autorität besitzt, und doch für<lb/> jeden gebildeten Denker, auch ohne theologische Schulung, lesbar.</note></p><lb/> <p>Im 29. Kapitel seines schönen Buches <hi rendition="#i">Vom Gebete</hi> spricht Origenes<lb/> von dem Mythus des Sündenfalles und bemerkt dazu: »Wir können<lb/> nicht anders als einsehen, dass die Leichtgläubigkeit und Unbeständig-<lb/> keit der Eva nicht erst in dem Augenblick anhob, als sie Gottes<lb/> Wort missachtete und auf die Schlange hörte, sondern <hi rendition="#g">offenbar<lb/> schon früher vorhanden war,</hi> da die Schlange doch deswegen<lb/> an sie sich wendete, weil sie in ihrer Schlauheit <hi rendition="#g">die Schwäche<lb/> Eva’s schon bemerkt hatte.</hi>« Mit diesem einen Satz ist der —<lb/> von den Juden, wie Renan so richtig bemerkte (siehe S. 397), zu<lb/> einem dürren, historischen Faktum komprimierte — Mythus zu vollem<lb/> Leben neu erweckt. Zugleich mit dem Mythus tritt auch die Natur<lb/> in ihre Rechte. Das, was man, sobald man nach einem Höhern strebt,<lb/> Sünde nennen darf, gehört uns, wie schon Paulus gesagt hatte, »von<lb/> Natur«; mit den Fesseln der Chronik werfen wir die Fesseln der<lb/> gläubigen Superstition ab, wir stehen nicht mehr der gesamten Natur<lb/> wie ein Fremdes, höher Geborenes und tiefer Gefallenes gegenüber,<lb/> vielmehr gehören wir ihr an, und das Gnadenlicht, das in unser<lb/> Menschenherz fiel, werfen wir auf sie zurück. Indem Origenes hier<lb/> den Paulinischen Gedanken weiter dachte, hatte er zu gleicher Zeit<lb/> die Wissenschaft befreit und den Riegel zurückgeschoben, der das<lb/> Herz gegen wahre, unmittelbare Religion verschloss.</p><lb/> <p>Das war diejenige hellenische Theologie, die im Kampfe erlag.<note place="foot" n="2)">Dass diese Theologie im 9. Jahrhundert, in der Person des grossen Scotus<lb/> Erigena, des wirklichen Vorläufers einer echt christlichen Religion, wieder auflebte,<lb/> ist schon oben kurz angedeutet worden und kommt weiter unten, sowie im neunten<lb/> Kapitel noch zur Sprache.</note></p><lb/> <note place="left">Der »Norden«.</note> <p>Betrachten wir nun die zweite antirömische Strömung, diejenige,<lb/> die ich unter dem Ausdruck »Norden« vorhin zusammenfasste, so<lb/> werden wir sofort gewahr, dass sie einer durchaus anderen Geistes-<lb/> verfassung entstammt und unter gänzlich geänderten Zeitumständen<lb/> sich Geltung zu verschaffen hatte. Im Hellenentum hatte Rom eine<lb/> höhere und ältere Kultur als die seinige bekämpft; dagegen handelte es<lb/> sich bei diesem Norden zunächst und zuvörderst nicht um spekulative<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [608/0087]
Der Kampf
christliche Religion durch diesen Sieg des Westens über den Osten
verlor. 1)
Im 29. Kapitel seines schönen Buches Vom Gebete spricht Origenes
von dem Mythus des Sündenfalles und bemerkt dazu: »Wir können
nicht anders als einsehen, dass die Leichtgläubigkeit und Unbeständig-
keit der Eva nicht erst in dem Augenblick anhob, als sie Gottes
Wort missachtete und auf die Schlange hörte, sondern offenbar
schon früher vorhanden war, da die Schlange doch deswegen
an sie sich wendete, weil sie in ihrer Schlauheit die Schwäche
Eva’s schon bemerkt hatte.« Mit diesem einen Satz ist der —
von den Juden, wie Renan so richtig bemerkte (siehe S. 397), zu
einem dürren, historischen Faktum komprimierte — Mythus zu vollem
Leben neu erweckt. Zugleich mit dem Mythus tritt auch die Natur
in ihre Rechte. Das, was man, sobald man nach einem Höhern strebt,
Sünde nennen darf, gehört uns, wie schon Paulus gesagt hatte, »von
Natur«; mit den Fesseln der Chronik werfen wir die Fesseln der
gläubigen Superstition ab, wir stehen nicht mehr der gesamten Natur
wie ein Fremdes, höher Geborenes und tiefer Gefallenes gegenüber,
vielmehr gehören wir ihr an, und das Gnadenlicht, das in unser
Menschenherz fiel, werfen wir auf sie zurück. Indem Origenes hier
den Paulinischen Gedanken weiter dachte, hatte er zu gleicher Zeit
die Wissenschaft befreit und den Riegel zurückgeschoben, der das
Herz gegen wahre, unmittelbare Religion verschloss.
Das war diejenige hellenische Theologie, die im Kampfe erlag. 2)
Betrachten wir nun die zweite antirömische Strömung, diejenige,
die ich unter dem Ausdruck »Norden« vorhin zusammenfasste, so
werden wir sofort gewahr, dass sie einer durchaus anderen Geistes-
verfassung entstammt und unter gänzlich geänderten Zeitumständen
sich Geltung zu verschaffen hatte. Im Hellenentum hatte Rom eine
höhere und ältere Kultur als die seinige bekämpft; dagegen handelte es
sich bei diesem Norden zunächst und zuvörderst nicht um spekulative
1) Für Näheres verweise ich den Leser vor Allem auf das kleine, schon
citierte Werk von Hatch: The influence of Greek ideas and usages upon the christian
church (deutsch von Preuschen und Harnack 1892); dieses Buch ist ein Unikum,
zugleich grundgelehrt, so dass es unter Fachleuten Autorität besitzt, und doch für
jeden gebildeten Denker, auch ohne theologische Schulung, lesbar.
2) Dass diese Theologie im 9. Jahrhundert, in der Person des grossen Scotus
Erigena, des wirklichen Vorläufers einer echt christlichen Religion, wieder auflebte,
ist schon oben kurz angedeutet worden und kommt weiter unten, sowie im neunten
Kapitel noch zur Sprache.
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