getreten; er erblickte darin -- und nicht mit Unrecht -- die Wieder- geburt des Heidentums. Sehr konsequenter Weise waren es gerade der Bischof von Ägypten und die ägyptischen Mönche, also die un- mittelbaren Erben des Isis- und Horuskult, welche mit Leidenschaft und Wut, unterstützt vom Pöbel und von den Weibern, für diese uralten Gebräuche eintraten. Rom schloss sich der ägyptischen Partei an; der Kaiser, der Nestorius liebte, wurde nach und nach gegen ihn aufgewiegelt. Hier handelt es sich aber, wie man sieht, nicht um die eigentliche hellenische Sache, sondern vielmehr um den Beginn einer neuen Periode: derjenigen der Einführung heidnischer Mysterien in die christliche Kirche. Sie zu bekämpfen, war Sache des Nordens; denn jetzt handelte es sich weniger um Metaphysik als um Gewissen und Sittlichkeit; somit erscheint auch die mehrfache Behauptung, Nestorius (aus der römischen Soldatenkolonie Germanicopolis gebürtig) sei von Geblüt ein Germane gewesen, recht glaubwürdig; jedenfalls war er ein Protestant.
Ein Wort aber noch über den Osten, ehe wir zum Norden übergehen.
Zu ihrer Blütezeit hatte, wie schon hervorgehoben, die hellenische Theologie sich der Hauptsache nach um jene Fragen gedreht, welche auf der Grenze zwischen Mythik, Metaphysik und Mystik schweben. Darum ist es auch beinahe unmöglich, in einem populären Werke näher darauf einzugehen. Schon am Schlusse des ersten Kapitels habe ich, bei Besprechung unseres hellenischen Erbes, darauf hingewiesen, wie viel abstrakte Spekulation griechischen Ursprunges -- doch meist arg verunstaltet -- in unser religiöses Denken übergegangen ist.1) Solange ein derartiges Denken im Flusse blieb, wie das im vorchrist- lichen Griechenland der Fall war, wo der Wissbegierige von einer "Häresie", d. h. von einer "Schule" zur anderen über die Strasse hinüber wandeln konnte, da bildeten diese Abstraktionen eine Er- gänzung des intellektuellen Lebens, die vielleicht um so willkommener war, als das griechische Leben sonst so ganz im künstlerischen Schauen und in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der empirischen Welt aufging. Die metaphysische Anlage des Menschen rächte sich durch bodenlos kühne Phantasien. Betrachtet man jedoch das Leben und die Worte Jesu Christi, so kann man nicht anders als empfinden, dass vor ihnen diese stolzen Spekulationen keinen Bestand haben, sondern
1) Siehe S. 98 fg.
Der Kampf.
getreten; er erblickte darin — und nicht mit Unrecht — die Wieder- geburt des Heidentums. Sehr konsequenter Weise waren es gerade der Bischof von Ägypten und die ägyptischen Mönche, also die un- mittelbaren Erben des Isis- und Horuskult, welche mit Leidenschaft und Wut, unterstützt vom Pöbel und von den Weibern, für diese uralten Gebräuche eintraten. Rom schloss sich der ägyptischen Partei an; der Kaiser, der Nestorius liebte, wurde nach und nach gegen ihn aufgewiegelt. Hier handelt es sich aber, wie man sieht, nicht um die eigentliche hellenische Sache, sondern vielmehr um den Beginn einer neuen Periode: derjenigen der Einführung heidnischer Mysterien in die christliche Kirche. Sie zu bekämpfen, war Sache des Nordens; denn jetzt handelte es sich weniger um Metaphysik als um Gewissen und Sittlichkeit; somit erscheint auch die mehrfache Behauptung, Nestorius (aus der römischen Soldatenkolonie Germanicopolis gebürtig) sei von Geblüt ein Germane gewesen, recht glaubwürdig; jedenfalls war er ein Protestant.
Ein Wort aber noch über den Osten, ehe wir zum Norden übergehen.
Zu ihrer Blütezeit hatte, wie schon hervorgehoben, die hellenische Theologie sich der Hauptsache nach um jene Fragen gedreht, welche auf der Grenze zwischen Mythik, Metaphysik und Mystik schweben. Darum ist es auch beinahe unmöglich, in einem populären Werke näher darauf einzugehen. Schon am Schlusse des ersten Kapitels habe ich, bei Besprechung unseres hellenischen Erbes, darauf hingewiesen, wie viel abstrakte Spekulation griechischen Ursprunges — doch meist arg verunstaltet — in unser religiöses Denken übergegangen ist.1) Solange ein derartiges Denken im Flusse blieb, wie das im vorchrist- lichen Griechenland der Fall war, wo der Wissbegierige von einer »Häresie«, d. h. von einer »Schule« zur anderen über die Strasse hinüber wandeln konnte, da bildeten diese Abstraktionen eine Er- gänzung des intellektuellen Lebens, die vielleicht um so willkommener war, als das griechische Leben sonst so ganz im künstlerischen Schauen und in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der empirischen Welt aufging. Die metaphysische Anlage des Menschen rächte sich durch bodenlos kühne Phantasien. Betrachtet man jedoch das Leben und die Worte Jesu Christi, so kann man nicht anders als empfinden, dass vor ihnen diese stolzen Spekulationen keinen Bestand haben, sondern
1) Siehe S. 98 fg.
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[606/0085]
Der Kampf.
getreten; er erblickte darin — und nicht mit Unrecht — die Wieder-
geburt des Heidentums. Sehr konsequenter Weise waren es gerade
der Bischof von Ägypten und die ägyptischen Mönche, also die un-
mittelbaren Erben des Isis- und Horuskult, welche mit Leidenschaft
und Wut, unterstützt vom Pöbel und von den Weibern, für diese
uralten Gebräuche eintraten. Rom schloss sich der ägyptischen Partei
an; der Kaiser, der Nestorius liebte, wurde nach und nach gegen
ihn aufgewiegelt. Hier handelt es sich aber, wie man sieht, nicht
um die eigentliche hellenische Sache, sondern vielmehr um den Beginn
einer neuen Periode: derjenigen der Einführung heidnischer Mysterien
in die christliche Kirche. Sie zu bekämpfen, war Sache des Nordens;
denn jetzt handelte es sich weniger um Metaphysik als um Gewissen
und Sittlichkeit; somit erscheint auch die mehrfache Behauptung,
Nestorius (aus der römischen Soldatenkolonie Germanicopolis gebürtig)
sei von Geblüt ein Germane gewesen, recht glaubwürdig; jedenfalls
war er ein Protestant.
Ein Wort aber noch über den Osten, ehe wir zum Norden
übergehen.
Zu ihrer Blütezeit hatte, wie schon hervorgehoben, die hellenische
Theologie sich der Hauptsache nach um jene Fragen gedreht, welche
auf der Grenze zwischen Mythik, Metaphysik und Mystik schweben.
Darum ist es auch beinahe unmöglich, in einem populären Werke
näher darauf einzugehen. Schon am Schlusse des ersten Kapitels habe
ich, bei Besprechung unseres hellenischen Erbes, darauf hingewiesen,
wie viel abstrakte Spekulation griechischen Ursprunges — doch meist
arg verunstaltet — in unser religiöses Denken übergegangen ist. 1)
Solange ein derartiges Denken im Flusse blieb, wie das im vorchrist-
lichen Griechenland der Fall war, wo der Wissbegierige von einer
»Häresie«, d. h. von einer »Schule« zur anderen über die Strasse
hinüber wandeln konnte, da bildeten diese Abstraktionen eine Er-
gänzung des intellektuellen Lebens, die vielleicht um so willkommener
war, als das griechische Leben sonst so ganz im künstlerischen Schauen
und in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der empirischen Welt
aufging. Die metaphysische Anlage des Menschen rächte sich durch
bodenlos kühne Phantasien. Betrachtet man jedoch das Leben und
die Worte Jesu Christi, so kann man nicht anders als empfinden, dass
vor ihnen diese stolzen Spekulationen keinen Bestand haben, sondern
1) Siehe S. 98 fg.
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/85>, abgerufen am 23.07.2024.
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