Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Weltanschauung und Religion. gegen gehandelt wird."1) Kant fordert also eine Religion "im Geistund in der Wahrheit" und den Glauben an einen Gott, "dessen Reich nicht von dieser Welt (d. h. nicht von der Welt der Erscheinung) ist". Dieser Übereinstimmung war er sich übrigens wohl bewusst. In seiner Schrift über die Religion, die in seinem 70. Lebensjahre er- schien, giebt er auf etwa vier Druckseiten eine gedrängte und schöne Darstellung der Lehre Christi, ausschliesslich nach dem Evangelium Matthäi, und schliesst: "Hier ist nun eine vollständige Religion, ..... überdies an einem Beispiele anschaulich gemacht, ohne dass weder die Wahrheit jener Lehren, noch das Ansehen und die Würde des Lehrers irgend einer anderen Beglaubigung bedürfte."2) Diese wenigen Worte sind für ausserordentlich wichtig zu erachten. Denn wie er- haben und erhebend alles auch sein mag, was Kant nach dieser Richtung hin geschaffen hat, es gleicht doch mehr, meine ich, der energischen, unerschrockenen Vorbereitung auf eine wahre Religion, als der Religion selbst; es ist ein Ausjäten von Aberglauben, um dem Glauben Luft und Licht zu verschaffen, ein Hinwegräumen des Afterdienstes, um den wahren Dienst zu ermöglichen. Das plastisch Sichtbare, das Gleichnis fehlt. Schon ein solcher Titel wie Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft lässt befürchten, dass Kant sich auf falscher Fährte befunden habe. Wie Lichtenberg warnt: "Suchet einmal in der Welt fertig zu werden mit einem Gott, den die Vernunft allein auf den Thron gesetzt hat! Ihr werdet finden, es ist unmöglich. Das Herz und das Auge wollen was haben."3) Und doch hatte gerade Kant gelehrt: "Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst." Sobald er aber auf Christus hinweist und sagt: "seht, hier habt ihr eine vollständige Religion! hier erblickt ihr das ewige Bei- spiel"! -- da besteht der Einwurf nicht mehr; denn dann ist Kant gleichsam ein zweiter Johannes, "der vor dem Herrn hergeht und seinen Weg bereitet". Dahin -- zu einem geläuterten Christentum -- drängte die neue germanische Weltanschauung alle grössten Geister am Schlusse 1) Die Religion u. s. w., 4. Stück, 2. Teil, Einführung. Erheiternd wirkt der der Titel des § 3 dieses Teiles: "Vom Pfaffentum als einem Regiment im After- dienst des guten Prinzips". 2) 4. Stück, 1. Teil, 1. Abschn. In jener Darstellung findet man eine Aus- legung, die beim "Afterdienstregiment" wenig Erfolg ernten dürfte; Kant deutet nämlich die Worte: "die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln", auf die Kirchen! 3) Politische Bemerkungen.
Weltanschauung und Religion. gegen gehandelt wird.«1) Kant fordert also eine Religion »im Geistund in der Wahrheit« und den Glauben an einen Gott, »dessen Reich nicht von dieser Welt (d. h. nicht von der Welt der Erscheinung) ist«. Dieser Übereinstimmung war er sich übrigens wohl bewusst. In seiner Schrift über die Religion, die in seinem 70. Lebensjahre er- schien, giebt er auf etwa vier Druckseiten eine gedrängte und schöne Darstellung der Lehre Christi, ausschliesslich nach dem Evangelium Matthäi, und schliesst: »Hier ist nun eine vollständige Religion, ..... überdies an einem Beispiele anschaulich gemacht, ohne dass weder die Wahrheit jener Lehren, noch das Ansehen und die Würde des Lehrers irgend einer anderen Beglaubigung bedürfte.«2) Diese wenigen Worte sind für ausserordentlich wichtig zu erachten. Denn wie er- haben und erhebend alles auch sein mag, was Kant nach dieser Richtung hin geschaffen hat, es gleicht doch mehr, meine ich, der energischen, unerschrockenen Vorbereitung auf eine wahre Religion, als der Religion selbst; es ist ein Ausjäten von Aberglauben, um dem Glauben Luft und Licht zu verschaffen, ein Hinwegräumen des Afterdienstes, um den wahren Dienst zu ermöglichen. Das plastisch Sichtbare, das Gleichnis fehlt. Schon ein solcher Titel wie Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft lässt befürchten, dass Kant sich auf falscher Fährte befunden habe. Wie Lichtenberg warnt: »Suchet einmal in der Welt fertig zu werden mit einem Gott, den die Vernunft allein auf den Thron gesetzt hat! Ihr werdet finden, es ist unmöglich. Das Herz und das Auge wollen was haben.«3) Und doch hatte gerade Kant gelehrt: »Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst.« Sobald er aber auf Christus hinweist und sagt: »seht, hier habt ihr eine vollständige Religion! hier erblickt ihr das ewige Bei- spiel«! — da besteht der Einwurf nicht mehr; denn dann ist Kant gleichsam ein zweiter Johannes, »der vor dem Herrn hergeht und seinen Weg bereitet«. Dahin — zu einem geläuterten Christentum — drängte die neue germanische Weltanschauung alle grössten Geister am Schlusse 1) Die Religion u. s. w., 4. Stück, 2. Teil, Einführung. Erheiternd wirkt der der Titel des § 3 dieses Teiles: »Vom Pfaffentum als einem Regiment im After- dienst des guten Prinzips«. 2) 4. Stück, 1. Teil, 1. Abschn. In jener Darstellung findet man eine Aus- legung, die beim »Afterdienstregiment« wenig Erfolg ernten dürfte; Kant deutet nämlich die Worte: »die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln«, auf die Kirchen! 3) Politische Bemerkungen.
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Weltanschauung und Religion.
gegen gehandelt wird.« 1) Kant fordert also eine Religion »im Geist
und in der Wahrheit« und den Glauben an einen Gott, »dessen Reich
nicht von dieser Welt (d. h. nicht von der Welt der Erscheinung)
ist«. Dieser Übereinstimmung war er sich übrigens wohl bewusst.
In seiner Schrift über die Religion, die in seinem 70. Lebensjahre er-
schien, giebt er auf etwa vier Druckseiten eine gedrängte und schöne
Darstellung der Lehre Christi, ausschliesslich nach dem Evangelium
Matthäi, und schliesst: »Hier ist nun eine vollständige Religion, .....
überdies an einem Beispiele anschaulich gemacht, ohne dass weder
die Wahrheit jener Lehren, noch das Ansehen und die Würde des
Lehrers irgend einer anderen Beglaubigung bedürfte.« 2) Diese wenigen
Worte sind für ausserordentlich wichtig zu erachten. Denn wie er-
haben und erhebend alles auch sein mag, was Kant nach dieser Richtung
hin geschaffen hat, es gleicht doch mehr, meine ich, der energischen,
unerschrockenen Vorbereitung auf eine wahre Religion, als der Religion
selbst; es ist ein Ausjäten von Aberglauben, um dem Glauben Luft
und Licht zu verschaffen, ein Hinwegräumen des Afterdienstes, um den
wahren Dienst zu ermöglichen. Das plastisch Sichtbare, das Gleichnis
fehlt. Schon ein solcher Titel wie Religion innerhalb der Grenzen
der blossen Vernunft lässt befürchten, dass Kant sich auf falscher
Fährte befunden habe. Wie Lichtenberg warnt: »Suchet einmal in
der Welt fertig zu werden mit einem Gott, den die Vernunft allein
auf den Thron gesetzt hat! Ihr werdet finden, es ist unmöglich.
Das Herz und das Auge wollen was haben.« 3) Und doch hatte gerade
Kant gelehrt: »Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich
selbst.« Sobald er aber auf Christus hinweist und sagt: »seht, hier
habt ihr eine vollständige Religion! hier erblickt ihr das ewige Bei-
spiel«! — da besteht der Einwurf nicht mehr; denn dann ist Kant
gleichsam ein zweiter Johannes, »der vor dem Herrn hergeht und seinen
Weg bereitet«. Dahin — zu einem geläuterten Christentum — drängte
die neue germanische Weltanschauung alle grössten Geister am Schlusse
1) Die Religion u. s. w., 4. Stück, 2. Teil, Einführung. Erheiternd wirkt der
der Titel des § 3 dieses Teiles: »Vom Pfaffentum als einem Regiment im After-
dienst des guten Prinzips«.
2) 4. Stück, 1. Teil, 1. Abschn. In jener Darstellung findet man eine Aus-
legung, die beim »Afterdienstregiment« wenig Erfolg ernten dürfte; Kant deutet
nämlich die Worte: »die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis
abführet, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln«, auf die Kirchen!
3) Politische Bemerkungen.
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