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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Politik und Kirche.
Fürsten, Adel, Bürgertum, Volk zum Kampf aufruft, es durchaus nicht
bei diesem negativen Werke der Auflehnung gegen Rom bewenden
lässt, sondern im selben Augenblicke den Deutschen eine ihnen allen
gemeinsame, sie alle verbindende Sprache schenkt, und die eigentliche
politische Organisation an den zwei Punkten anfasst, die für die Zukunft
des Nationalismus entscheidend waren: Kirche und Schule.

Wie unmöglich es ist, eine Kirche halb-national, also unabhängig
von Rom zu halten, ohne sie aus der römischen Gemeinschaft ent-
schlossen auszuscheiden, hat die fernere Geschichte gezeigt. Sowohl
Frankreich wie Spanien und Österreich haben sich geweigert, die Be-
schlüsse des Konzils von Trient zu unterschreiben, und namentlich
Frankreich hat, so lange es Könige besass, wacker für die Sonderrechte
seiner gallikanischen Kirche und Priesterschaft gestritten; doch nach
und nach gewann die starreste römische Doktrin immer mehr Boden,
und heute wären diese drei Länder froh, wenn sie den längst über-
holten, verhältnismässig freiheitlichen Standpunkt der tridentiner Tage
als Gnadengeschenk erhielten. Und was Luther's Schulreformen be-
trifft -- von ihm mit all der Macht angestrebt, über die ein vereinzelt
stehender Riese verfügen kann -- so ist der beste Beweis seines poli-
tischen Scharfblickes daraus zu entnehmen, dass die Jesuiten sofort
in seine Fusstapfen traten, Schulen gründeten und Lehrbücher ver-
fassten mit genau denselben Titeln und derselben Anordnung wie
die Luther's.1) Gewissensfreiheit ist eine schöne Errungenschaft, inso-

Rom und für die Reformation sei, betont Aleander öfters. (Siehe die von Kalkoff
herausgegebenen Depeschen vom Wormser Reichstage, 1521.) Luther's Rolle in dieser
allgemeinen Erhebung der Geister hat Zwingli genau bezeichnet, indem er ihm
schrieb: "Nicht wenige Männer hat es früher gegeben, die die Summa und das
Wesen der evangelischen Religion ebenso gut erkannt hatten als Du. Aber aus
dem ganzen Israel wagte es Niemand, zum Kampfe hervorzutreten, denn sie
fürchteten jenen mächtigen Goliath, der mit dem furchtbaren Gewicht seiner
Waffen und Kräfte in drohender Haltung dastand."
1) Nie fühlt man den warmen Herzschlag des prächtigen Germanen mehr,
als jedesmal wenn Luther auf Erziehung zu sprechen kommt. Dem Adel hält er
vor, wenn er mit Ernst nach einer Reformation trachte, so solle er vor Allem
"eine gute Reformation der Universitäten" durchsetzen. In seinem Sendschreiben
an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte in deutschen Landen
ruft er in Bezug
auf die Schulen aus: "Hier wäre billig, dass, wo man einen Gulden gäbe, wider
die Türken zu streiten, wenn sie uns gleich auf dem Halse lägen, hier hundert
Gulden gegeben würden, ob man gleich nur einen Knaben könnte damit auf-
erziehen -- -- --", und er ermahnt jeden einzelnen Bürger, das viele Geld, das
er bisher auf Messen, Vigilien, Jahrtage, Bettelmönche, Wallfahrten "und was des
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Politik und Kirche.
Fürsten, Adel, Bürgertum, Volk zum Kampf aufruft, es durchaus nicht
bei diesem negativen Werke der Auflehnung gegen Rom bewenden
lässt, sondern im selben Augenblicke den Deutschen eine ihnen allen
gemeinsame, sie alle verbindende Sprache schenkt, und die eigentliche
politische Organisation an den zwei Punkten anfasst, die für die Zukunft
des Nationalismus entscheidend waren: Kirche und Schule.

Wie unmöglich es ist, eine Kirche halb-national, also unabhängig
von Rom zu halten, ohne sie aus der römischen Gemeinschaft ent-
schlossen auszuscheiden, hat die fernere Geschichte gezeigt. Sowohl
Frankreich wie Spanien und Österreich haben sich geweigert, die Be-
schlüsse des Konzils von Trient zu unterschreiben, und namentlich
Frankreich hat, so lange es Könige besass, wacker für die Sonderrechte
seiner gallikanischen Kirche und Priesterschaft gestritten; doch nach
und nach gewann die starreste römische Doktrin immer mehr Boden,
und heute wären diese drei Länder froh, wenn sie den längst über-
holten, verhältnismässig freiheitlichen Standpunkt der tridentiner Tage
als Gnadengeschenk erhielten. Und was Luther’s Schulreformen be-
trifft — von ihm mit all der Macht angestrebt, über die ein vereinzelt
stehender Riese verfügen kann — so ist der beste Beweis seines poli-
tischen Scharfblickes daraus zu entnehmen, dass die Jesuiten sofort
in seine Fusstapfen traten, Schulen gründeten und Lehrbücher ver-
fassten mit genau denselben Titeln und derselben Anordnung wie
die Luther’s.1) Gewissensfreiheit ist eine schöne Errungenschaft, inso-

Rom und für die Reformation sei, betont Aleander öfters. (Siehe die von Kalkoff
herausgegebenen Depeschen vom Wormser Reichstage, 1521.) Luther’s Rolle in dieser
allgemeinen Erhebung der Geister hat Zwingli genau bezeichnet, indem er ihm
schrieb: »Nicht wenige Männer hat es früher gegeben, die die Summa und das
Wesen der evangelischen Religion ebenso gut erkannt hatten als Du. Aber aus
dem ganzen Israel wagte es Niemand, zum Kampfe hervorzutreten, denn sie
fürchteten jenen mächtigen Goliath, der mit dem furchtbaren Gewicht seiner
Waffen und Kräfte in drohender Haltung dastand.«
1) Nie fühlt man den warmen Herzschlag des prächtigen Germanen mehr,
als jedesmal wenn Luther auf Erziehung zu sprechen kommt. Dem Adel hält er
vor, wenn er mit Ernst nach einer Reformation trachte, so solle er vor Allem
»eine gute Reformation der Universitäten« durchsetzen. In seinem Sendschreiben
an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte in deutschen Landen
ruft er in Bezug
auf die Schulen aus: »Hier wäre billig, dass, wo man einen Gulden gäbe, wider
die Türken zu streiten, wenn sie uns gleich auf dem Halse lägen, hier hundert
Gulden gegeben würden, ob man gleich nur einen Knaben könnte damit auf-
erziehen — — —«, und er ermahnt jeden einzelnen Bürger, das viele Geld, das
er bisher auf Messen, Vigilien, Jahrtage, Bettelmönche, Wallfahrten »und was des
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[843/0322] Politik und Kirche. Fürsten, Adel, Bürgertum, Volk zum Kampf aufruft, es durchaus nicht bei diesem negativen Werke der Auflehnung gegen Rom bewenden lässt, sondern im selben Augenblicke den Deutschen eine ihnen allen gemeinsame, sie alle verbindende Sprache schenkt, und die eigentliche politische Organisation an den zwei Punkten anfasst, die für die Zukunft des Nationalismus entscheidend waren: Kirche und Schule. Wie unmöglich es ist, eine Kirche halb-national, also unabhängig von Rom zu halten, ohne sie aus der römischen Gemeinschaft ent- schlossen auszuscheiden, hat die fernere Geschichte gezeigt. Sowohl Frankreich wie Spanien und Österreich haben sich geweigert, die Be- schlüsse des Konzils von Trient zu unterschreiben, und namentlich Frankreich hat, so lange es Könige besass, wacker für die Sonderrechte seiner gallikanischen Kirche und Priesterschaft gestritten; doch nach und nach gewann die starreste römische Doktrin immer mehr Boden, und heute wären diese drei Länder froh, wenn sie den längst über- holten, verhältnismässig freiheitlichen Standpunkt der tridentiner Tage als Gnadengeschenk erhielten. Und was Luther’s Schulreformen be- trifft — von ihm mit all der Macht angestrebt, über die ein vereinzelt stehender Riese verfügen kann — so ist der beste Beweis seines poli- tischen Scharfblickes daraus zu entnehmen, dass die Jesuiten sofort in seine Fusstapfen traten, Schulen gründeten und Lehrbücher ver- fassten mit genau denselben Titeln und derselben Anordnung wie die Luther’s. 1) Gewissensfreiheit ist eine schöne Errungenschaft, inso- 2) 1) Nie fühlt man den warmen Herzschlag des prächtigen Germanen mehr, als jedesmal wenn Luther auf Erziehung zu sprechen kommt. Dem Adel hält er vor, wenn er mit Ernst nach einer Reformation trachte, so solle er vor Allem »eine gute Reformation der Universitäten« durchsetzen. In seinem Sendschreiben an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte in deutschen Landen ruft er in Bezug auf die Schulen aus: »Hier wäre billig, dass, wo man einen Gulden gäbe, wider die Türken zu streiten, wenn sie uns gleich auf dem Halse lägen, hier hundert Gulden gegeben würden, ob man gleich nur einen Knaben könnte damit auf- erziehen — — —«, und er ermahnt jeden einzelnen Bürger, das viele Geld, das er bisher auf Messen, Vigilien, Jahrtage, Bettelmönche, Wallfahrten »und was des 2) Rom und für die Reformation sei, betont Aleander öfters. (Siehe die von Kalkoff herausgegebenen Depeschen vom Wormser Reichstage, 1521.) Luther’s Rolle in dieser allgemeinen Erhebung der Geister hat Zwingli genau bezeichnet, indem er ihm schrieb: »Nicht wenige Männer hat es früher gegeben, die die Summa und das Wesen der evangelischen Religion ebenso gut erkannt hatten als Du. Aber aus dem ganzen Israel wagte es Niemand, zum Kampfe hervorzutreten, denn sie fürchteten jenen mächtigen Goliath, der mit dem furchtbaren Gewicht seiner Waffen und Kräfte in drohender Haltung dastand.« 54*

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/322>, abgerufen am 25.11.2024.