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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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keit losreissenden Individuums am Werke erblicken, und zwar als das
eigentlich schöpferische, bahnbrechende Element. Als Kaufleute, nicht
als Gelehrte, führen die Polos ihre Entdeckungsreisen aus; auf der
Suche nach Gold entdeckt Columbus Amerika; die Erschliessung Indiens
ist (wie heute die Afrika's) lediglich das Werk der Kapitalisten; fast
überall wird der Betrieb der Bergwerke durch die Verleihung eines
Monopols an unternehmende Einzelne ermöglicht; bei den grossen
gewerblichen Erfindungen am Schlusse des vorigen Jahrhunderts hatte
stets der Einzelne gegen die Gesamtheit sein Leben lang zu kämpfen
und wäre ohne die Hilfe des unabhängigen, gewinnsüchtigen Kapitals
erlegen. Die Verkettung ist eine unendlich mannigfaltige, weil jene
beiden Triebkräfte stets gemeinsam am Werke bleiben und sich nicht
etwa bloss ablösen. So sahen wir Fugger, nachdem er sich kaum aus
dem Innungszwang herausgearbeitet hatte, freiwillig neue Verbindungen
mit Anderen eingehen. Immer wieder, in jedem Jahrhundert, in welchem
grosse Kapitalien sich ansammeln (wie jetzt in der zweiten Hälfte des
unsrigen) sehen wir die Bildung von Syndikaten, d. h. also eine be-
sondere Form von Kooperation; dadurch raubt aber der Kapitalist dem
Kapitalisten jede individuelle Freiheit; die Macht der einzelnen Persön-
lichkeit erlischt, und nun bricht sie sich an einem anderen Orte durch.
Andererseits besitzt die eigentliche Kooperation nicht selten von Anfang
an die Eigenschaften und die Ziele einer bestimmten Individualität:
das sieht man besonders deutlich an der Hansa während ihrer Blüte-
zeit und überall da, wo eine Nation zur Wahrung wirtschaftlicher
Interessen politische Massregeln ergreift.

Ich hatte Material vorbereitet, um das hier Angedeutete näher
auszuführen, doch gebricht es mir dazu an Raum und ich begnüge
mich damit, den Leser noch auf ein besonders lehrreiches Beispiel
aufmerksam zu machen. Ein einziger Blick auf das hier noch nicht
berührte Gebiet des Landbaues genügt nämlich, um das genannte
Grundgesetz unserer wirtschaftlichen Entwickelung besonders deutlich
am Werke zu zeigen.

Im 13. Jahrhundert, als die Germanen an den Ausbau ihrerBauer und
Gross-
grundbesitzer.

neuen Welt gingen, war der Bauer fast in ganz Europa ein freierer
Mann, mit einer gesicherteren Existenz als heute; denn die Erbpacht
war die Regel, so dass z. B. England -- heute eine Heimat des Gross-
grundbesitzes -- sich noch im 15. Jahrhundert fast ganz in den Händen
von Hunderttausenden von Bauern befand, die nicht allein juristische
Besitzer ihrer Scholle waren, sondern auch weitgehende unentgeltliche

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keit losreissenden Individuums am Werke erblicken, und zwar als das
eigentlich schöpferische, bahnbrechende Element. Als Kaufleute, nicht
als Gelehrte, führen die Polos ihre Entdeckungsreisen aus; auf der
Suche nach Gold entdeckt Columbus Amerika; die Erschliessung Indiens
ist (wie heute die Afrika’s) lediglich das Werk der Kapitalisten; fast
überall wird der Betrieb der Bergwerke durch die Verleihung eines
Monopols an unternehmende Einzelne ermöglicht; bei den grossen
gewerblichen Erfindungen am Schlusse des vorigen Jahrhunderts hatte
stets der Einzelne gegen die Gesamtheit sein Leben lang zu kämpfen
und wäre ohne die Hilfe des unabhängigen, gewinnsüchtigen Kapitals
erlegen. Die Verkettung ist eine unendlich mannigfaltige, weil jene
beiden Triebkräfte stets gemeinsam am Werke bleiben und sich nicht
etwa bloss ablösen. So sahen wir Fugger, nachdem er sich kaum aus
dem Innungszwang herausgearbeitet hatte, freiwillig neue Verbindungen
mit Anderen eingehen. Immer wieder, in jedem Jahrhundert, in welchem
grosse Kapitalien sich ansammeln (wie jetzt in der zweiten Hälfte des
unsrigen) sehen wir die Bildung von Syndikaten, d. h. also eine be-
sondere Form von Kooperation; dadurch raubt aber der Kapitalist dem
Kapitalisten jede individuelle Freiheit; die Macht der einzelnen Persön-
lichkeit erlischt, und nun bricht sie sich an einem anderen Orte durch.
Andererseits besitzt die eigentliche Kooperation nicht selten von Anfang
an die Eigenschaften und die Ziele einer bestimmten Individualität:
das sieht man besonders deutlich an der Hansa während ihrer Blüte-
zeit und überall da, wo eine Nation zur Wahrung wirtschaftlicher
Interessen politische Massregeln ergreift.

Ich hatte Material vorbereitet, um das hier Angedeutete näher
auszuführen, doch gebricht es mir dazu an Raum und ich begnüge
mich damit, den Leser noch auf ein besonders lehrreiches Beispiel
aufmerksam zu machen. Ein einziger Blick auf das hier noch nicht
berührte Gebiet des Landbaues genügt nämlich, um das genannte
Grundgesetz unserer wirtschaftlichen Entwickelung besonders deutlich
am Werke zu zeigen.

Im 13. Jahrhundert, als die Germanen an den Ausbau ihrerBauer und
Gross-
grundbesitzer.

neuen Welt gingen, war der Bauer fast in ganz Europa ein freierer
Mann, mit einer gesicherteren Existenz als heute; denn die Erbpacht
war die Regel, so dass z. B. England — heute eine Heimat des Gross-
grundbesitzes — sich noch im 15. Jahrhundert fast ganz in den Händen
von Hunderttausenden von Bauern befand, die nicht allein juristische
Besitzer ihrer Scholle waren, sondern auch weitgehende unentgeltliche

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[829/0308] Wirtschaft. keit losreissenden Individuums am Werke erblicken, und zwar als das eigentlich schöpferische, bahnbrechende Element. Als Kaufleute, nicht als Gelehrte, führen die Polos ihre Entdeckungsreisen aus; auf der Suche nach Gold entdeckt Columbus Amerika; die Erschliessung Indiens ist (wie heute die Afrika’s) lediglich das Werk der Kapitalisten; fast überall wird der Betrieb der Bergwerke durch die Verleihung eines Monopols an unternehmende Einzelne ermöglicht; bei den grossen gewerblichen Erfindungen am Schlusse des vorigen Jahrhunderts hatte stets der Einzelne gegen die Gesamtheit sein Leben lang zu kämpfen und wäre ohne die Hilfe des unabhängigen, gewinnsüchtigen Kapitals erlegen. Die Verkettung ist eine unendlich mannigfaltige, weil jene beiden Triebkräfte stets gemeinsam am Werke bleiben und sich nicht etwa bloss ablösen. So sahen wir Fugger, nachdem er sich kaum aus dem Innungszwang herausgearbeitet hatte, freiwillig neue Verbindungen mit Anderen eingehen. Immer wieder, in jedem Jahrhundert, in welchem grosse Kapitalien sich ansammeln (wie jetzt in der zweiten Hälfte des unsrigen) sehen wir die Bildung von Syndikaten, d. h. also eine be- sondere Form von Kooperation; dadurch raubt aber der Kapitalist dem Kapitalisten jede individuelle Freiheit; die Macht der einzelnen Persön- lichkeit erlischt, und nun bricht sie sich an einem anderen Orte durch. Andererseits besitzt die eigentliche Kooperation nicht selten von Anfang an die Eigenschaften und die Ziele einer bestimmten Individualität: das sieht man besonders deutlich an der Hansa während ihrer Blüte- zeit und überall da, wo eine Nation zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen politische Massregeln ergreift. Ich hatte Material vorbereitet, um das hier Angedeutete näher auszuführen, doch gebricht es mir dazu an Raum und ich begnüge mich damit, den Leser noch auf ein besonders lehrreiches Beispiel aufmerksam zu machen. Ein einziger Blick auf das hier noch nicht berührte Gebiet des Landbaues genügt nämlich, um das genannte Grundgesetz unserer wirtschaftlichen Entwickelung besonders deutlich am Werke zu zeigen. Im 13. Jahrhundert, als die Germanen an den Ausbau ihrer neuen Welt gingen, war der Bauer fast in ganz Europa ein freierer Mann, mit einer gesicherteren Existenz als heute; denn die Erbpacht war die Regel, so dass z. B. England — heute eine Heimat des Gross- grundbesitzes — sich noch im 15. Jahrhundert fast ganz in den Händen von Hunderttausenden von Bauern befand, die nicht allein juristische Besitzer ihrer Scholle waren, sondern auch weitgehende unentgeltliche Bauer und Gross- grundbesitzer.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 829. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/308>, abgerufen am 22.11.2024.